Mehr Frust als Lust? [Adventskalender]

Ich bin frustriert. Ich versuche, ein guter Mensch zu sein und moralisch richtig zu handeln, aber bei meiner Buchbeschaffung fällt mir das im Moment schwerer denn je.

Unendliche Weihnachtsgeschichte 1: Letztens habe ich Bücher und einen Kalender bestellt. Da ich nicht über die Firma, die ihre Mitarbeiter ausbeutet, bestellen wollte, habe ich mir eine kleine unabhängige Buchhandlung bei mir in der Nähe ausgesucht und über deren Online-Shop die Einkäufe an meine Adresse bestellt. So weit, so gut – nur: als es Probleme mit DHL gab, hat sich außer mir niemand auch nur ansatzweise dafür zuständig gefühlt. Weder DHL noch die Buchhandlung, weil das System ja über ihren Zwischenbuchhändler läuft. Im Endeffekt habe ich meine Einkäufe zwar bekommen, hatte aber mindestens drei graue Haare mehr.

Unendliche Weihnachtsgeschichte 2: Da ich ja wirklich gern lese, habe ich mir ein weiteres Buch ausgeguckt, das ich gern haben wollte – dieses Mal war das Problem, dass es ein Erotikroman war und die Chancen, ihn in einer Buchhandlung zu finden, damit sowieso gegen Null gingen. Daher wollte ich ihn – wieder mit einem Kalender – bestellen, diesmal aber IN die Buchhandlung direkt. Gesagt, getan, unabhängige Buchhandlung angerufen (eine andere als beim vorigen Mal). Erster Anruf: Niemand nimmt ab. Zweiter Anruf: Niemand nimmt ab. Dritter Anruf: Ich werde in die Kalenderabteilung weiterverbunden und nach drei Minuten in der Warteschleife rausgeschmissen. Das Ende vom Lied: Ich habe das E-Book über die Verlagshomepage heruntergeladen, wo ich – das verstehe, wer will – unbedingt auch meine Postadresse für die Rechnung eingeben sollte. Aber ansonsten hat dieser Bestellvorgang geklappt und mich alles in allem nur ein graues Haar gekostet, weil ich irgendwie schon resigniert hatte.

Foto eines Geschenks
photo credit: katie-landry via photopin cc

Lieber Weihnachtsmann, für nächstes Jahr wünsche ich mir, dass ich auch in stressigen Phasen wie der Weihnachtszeit unkompliziert meine Bücher kriege! Und dass ich mir damit nicht vorkomme, als suchte ich den Goldtopf am Ende des Regenbogens …

P.S.: Den Kalender habe ich übrigens immer noch nicht. Ich denke darüber nach, mir kurz vor Silvester irgendeinen reduzierten zu kaufen.

Die frustrierte Kundin ist Dennis und Hanna bekannt. Sie möchte ihren Namen hier nicht lesen, weil sie sich ohne gute Ratschläge von ihrem traumatisierenden Weihnachtserfahrungen erholen möchte.

Brief ans Christkind, Variation über ein Thema [Adventskalender]

Liebes Christkind,

der heilige Augustinus (354–430 n. Chr.) sagte einmal: »Man betet für Wunder, aber arbeitet für Ergebnisse.«

Insofern wünsche ich mir für die Buchbranche eine gemeinsame Online-Plattform, welche die Kräfte aller Beteiligten bündelt und sie dank eines eigenen Kundenzugangs ökonomisch unabhängig von wie auch immer gearteten digitalen Supermächten macht.

Als Nutzer wünsche ich mir eine Plattform, die mir volle Datensouveränität bietet, die mich selbst entscheiden lässt, was von meinen Daten zu welchem Zweck gesammelt, gespeichert und verarbeitet wird – und dass ich meine Daten auch jederzeit wieder löschen kann.

Mit diesem Wunsch bin ich offensichtlich nicht ganz allein, wie beispielsweise die jüngste Initiative »Writers Against Mass Surveillance« zeigt.

Bild einer Krippe
photo credit: Alexander Rabb via photopin cc

Andererseits fürchte ich (siehe Eingangszitat), dass das Wünschen allein nicht helfen wird, da die Zeiten, als das Wünschen noch geholfen hat, längst perdu sind. Auch glaube ich nicht, dass es jemand anderes für uns richten wird. Wenn also eine Veränderung zu Gunsten der Buchbranche stattfinden soll, so kann diese Veränderung nur aus uns selbst, aus der Branche heraus kommen, sprich: wir müssen das Schicksal des Geschäfts mit den Büchern selbst in die Hand nehmen.

Hier ist gleichwohl viel Beistandund nicht zuletzt Durchhaltevermögen gefragt – und darum bitte ich Dich, liebes Christkind: um Beistand und Durchhaltevermögen, denn beides werden wir dringend benötigen auf unserem Weg in die Zukunft des Lesens. Vor allem aber gibt es auf diesem Weg keine Abkürzungen und auch kein Zurück. Wollen wir selbst Teil dieser Zukunft sein, müssen wir da durch, und zwar jetzt. Jeder weitere Tag, den wir im Gestern verharren, schmälert unsere Aussichten auf Erfolg.

Ob man nun den Auszug aus Ägypten, die Trecks der Siedler nach Westen oder die Digitalisierung als Beispiel nimmt, es gibt sinnbildlich nur ein Motto: »Kalifornien oder Tod!«, nur dass Kalifornien heute nicht mehr für das gelobte Land steht, sondern als Synonym der Bedrohung durch die Firmen des Silicon Valley (sofern man Seattle als Sitz von Amazon und Microsoft politisch und geografisch inkorrekt ebenfalls unter »Silicon Valley« subsumieren darf).

Um bei der Wildwest-Metapher zu bleiben: Mit mechanischen Waffen, die noch mit Blei ausschießen, werden wir nicht weit kommen. Auch die Waffen Fotosatz, DTP und CtP sind stumpf geworden. Ohnehin bringen uns Waffen und Gewalt nicht weiter. Wir leben in einem Zeitalter, in dem das Wort regiert.

Jetzt gilt es, als »digital immigrants« neue Sprachen zu erlernen, in Zungen zu sprechen, da nur die Sprache wirkliche Macht über die Dinge verleiht. Damit haben Religion, Programmiersprache und Literatur letztendlich eines gemeinsam: sie schaffen mit Hilfe der Sprache (virtuelle) Welten.

Am Anfang steht immer das Wort; womit wir wieder da wären, wo alles begann.

Es geht um nicht weniger als selbst schöpferisch tätig zu werden und eine virtuelle Welt der Bücher zu schaffen. Ein digitales Buch der Bücher, das alles, was Buch ist, in sich vereint.

Das wünsche (nicht nur) ich mir, liebes Christkind, und darauf arbeitet eine stetig wachsende Zahl von Gleichgesinnten (mit Stallgeruch) hin.

Volker Oppmann, Jahrgang 1975, Anbaugebiet Mainfranken, favorisiert rote Rebsorten, passionierter Leser, Gelegenheitsautor (von Gebrauchsprosa), Verleger von ONKEL & ONKEL, pensionierter Buchhändler bei textunes / Thalia, versucht mit LOG.OS nun Schöpfungsmythos (Johannes-Evangelium) und schöpferische Zerstörung (Schumpeter) miteinander zu kombinieren: www.log-os.info

Ziel von LOG.OS ist der Aufbau einer digitalen Universalbibliothek, die eine direkte Interaktion zwischen Privatpersonen (Autoren und Lesern), Branchenteilnehmern (Buchhandlungen und Verlagen) sowie öffentlichen Institutionen (Schulen, Universitäten und Bibliotheken) über eine gemeinsame technische Infrastruktur ermöglicht.

Oh Gott, jetzt gibt’s Schrott! [Adventskalender]

Foto von Robert MaroschikSehr geehrte Zivilisation, werte Literaturliebhaber, liebe Intellektuelle. Wir stehen vor der kulturellen Katastrophe, die wir so dringend über Jahrhunderte hinweg gesucht haben, zu vermeiden. Es gilt, sich nun einen festen Stand zu sichern, Haltung zu bewahren und durchzustehen, vor allem aber dem entgegen zu stehen, was nun auf uns zukommt. Schuld daran ist niemand geringerer als der Verursacher nahezu jeglichen unsagbaren intellektuellen Bauchwehs der vergangenen zwei Jahrzehnte. Ja, ihr ahnt es schon, es ist das Teufelsding, die Geißel des Ernsthaften, der Moloch des Jedermanns, die Tyrannei der Katzen(-videos): Das Internet. Und – hier sei dies bitte als bewusste Bemerkung notiert – ich bin mir freilich auch der Ironie bewusst, diese Worte gerade im Internet kundzutun.

Doch zum Kern der Sache. Über die Jahre hinweg beherrschten die Buchverlage als Leuchtfeuer des Pfads in die Welt der Intelligenz, was gut war, was schlecht war, was als massentauglich zu gelten hatte und was, salopp, aber treffend formuliert, Schund, nein, besser: schlichtweg Schrott war. Freilich gab es auch hier und da mal die etwas weniger gelungene Publikation, manche davon besorgte man sich sogar lieber klammheimlich am Bahnhofskiosk und schlug sie in einen namenlosen Einband ein, bevor noch irgendjemand die geradezu grotesk bebilderten Buchdeckel mit starken Männerarmen und sanften, hilflosen Damenhänden und wehenden Haaren erspähen konnte; wahlweise auch dasjenige knallpinke mit Pflaster drauf (Kenner wissen, was gemeint ist).

Doch diese Institution ist nun gefallen. Denn das Internet hat es möglich gemacht, nein es uns gerade aufgezwungen, dass jeder Depp zu seinem Ruhm kommt. Und zwar mit einer noch so depperten Geschichte, die er im Eigenverlag als E-Book, kostenlos (der Nachsicht, für den Quatsch nicht irgendjemand noch sein hart verdientes Geld abnehmen zu wollen, gebührt hier durchaus Beifall) oder nicht, jedenfalls aber jedermann zugänglich macht. Geschichten, die in ihrer Abstrusität und Lächerlichkeit kaum noch zu überbieten sind und bei denen man sich unweigerlich fragen muss, ob die Autorin / der Autor sich nicht doch noch einmal auf ein Eins-zu-eins-Gespräch mit einem netten Psychologen ihrer / seiner Wahl verabreden sollte; oder fantasieren Sie etwa klammheimlich, von einem Tyrannosaurus Rex vergewaltigt zu werden? Kein Scherz, diese Bücher über Dino-Sex steigen in der Gunst der E-Book-Leser(innen!)! Vom Phänomen der gefühlten zwölfmilliardenachthundertzweinundsechzig Geschichten über heroisch-dominante Vampir-Jünglinge, die der Twilight-Scheiß, oh pardon, „-Hype“, verursacht hat, ganz zu schweigen.

Die „Werke“ dieser „Künstler“ sind meist kurz, doch kommen sie in immer schneller aufeinanderfolgenden Sequenzen heraus und rauben jedem mündigen Hirnnutzer das letzte Quäntchen Glauben an eine intellektuelle Welt.

Ja, ich weiß. Die ersten von Ihnen wetzen bereits ihre Mistgabel, zünden schon ihre Fackeln an und wollen nur noch schnell das nächste Kapitel von Shades of Grey fertiglesen, bevor Sie mich ausfindig machen und am Baum ihrer hirnlosen Banalstories aufknüpfen wollen. „Kunst liege doch im Auge des Betrachters“, „Kunst kann alles sein“, ja ich weiß: blablabla. Freilich ist sie das, die liebe Kunst. Aber das heißt noch lange nicht, dass ich Lieschen Müllers heimlichen, überaus beunruhigenden Fantasiewust als eben solche betrachten müsse. Denn nur, wer einen Pinsel halten kann – auch im übertragenen Sinne -, ist eben noch kein Künstler. Übrigens – das mit dem Pinsel kann sogar mittlerweile ein indischer Elefant. Sie glauben’s nicht? Schauen Sie nach. Im Internet finden Sie jeden Schrott.

Amen.

Robert Maroschik, Baujahr 1985, ehemals Gründer und Fahrzeugführer des Metal-Radiosenders „Hurricane Rock“, tankt gerade noch unverbleit Jura, während er am Gaspedal seiner eigenen Texteragentur für SEO-Texte und Marketing (www.juicymind.de) in München sitzt.

Auf geht’s vom "Zweite-Klasse-Buch" zum Original der anderen Art [Adventskalender]

Wenn ich mich an meine Kindheit erinnere, dann haben sich die meisten Wünsche an den Weihnachtsmann auch erfüllt. Was also soll ich mir für 2014 vom Mann mit dem weißen Rauschebart und dem langen roten Mantel wünschen, damit es sich für die Buchbranche auch verwirklichen lässt und nicht ein unerfüllter Wunsch bleibt, der Gutes meint, aber nichts zustande bringt? Ich denke dabei an mein eigenes Leseverhalten und wie ich ständig zwischen E-Book-Lust und dem Verlangen nach bedrucktem Papier hin- und herhüpfe. Die E-Book-Branche hat sich in den letzten Jahren gute 10 % (so ungefähr) auf dem Buchmarkt gesichert und auch aus mir, einer Verfechterin des „echten Buches“, eine E-Reader-Liebhaberin werden lassen. Aus welchem Grund? Ganz pragmatisch der geringe Platzverbrauch und die Vorteile beim Reisen und jedem neuen Umzug (der Hass aller Umzugshelfer durch etliche Bücherkartons eingeschlossen).

Foto_c_privatAber können der geringe Platz, das wenige Gewicht und die Handlichkeit die einzigen Vorteile von E-Books und ihren Readern sein? Ein definitives Nein hierfür und doch bin ich als Büchersammlerin dem Hamstersyndrom verfallen und so horte ich unzählige E-Books, die ich bei Gratis-Aktionen erworben, oder im Anflug von „Ich brauche neuen Lesestoff“ gekauft habe, auf E-Reader, Tablet oder Smartphone. Eine Fülle an Lesematerial, das ich kaum noch überblicken kann.

Genau hier möchte ich einhaken, denn E-Books bieten mehr als lediglich eine digitale Welt aus belletristischer Unterhaltungsliteratur. In der Kombination von App, Social Reading und interessanten (Fach-)Themen können auch E-Books zur wahren Goldgrube für Kreativität und Ideenreichtum werden – sofern die Möglichkeiten zur digitalen Anbindung an andere Medien (wie etwa Communities oder insbesondere Apps mit interaktiven Techniken) bestehen. Wie wäre es also ein E-Book zu kaufen, und gleichzeitig damit in ein kleines digitales Universum einzutauchen, um weitere thematische Informationen zu erhalten, nicht nur zur Diskussion offen, sondern zu Filmen, Interviews, aktiver Teilnahme. Ein Beispiel: Nehmen wir ein Zeichenbuch, das Techniken vermittelt, aber gleichzeitig mit einem Klick, einem Link, einer einzigen Fingerbewegung anschauliche Zeichenvideos bereithält, vielleicht sogar Malvorlagen und andere Buchempfehlungen sowie eine Vernetzung zu Gleichgesinnten aufbaut. Ich weiß, dass wir diese Art von Vernetzung schon in den ersten Zügen über Communities, Schreibwerkstätten oder E-Book-Apps erleben dürfen. Aber noch ist das volle Potenzial nicht ausgenutzt.

So wünsche ich der E-Book-Branche, dass sie ihre Individualität findet, die Einmaligkeit, die sie ausmacht und die Möglichkeiten ausschöpft, welche die Digitalisierung von literarischen Werken bietet: gemeinsames Entdecken, Diskutieren und darüber hinaus eine Erweiterung und vielleicht auch Erleichterung für das alltägliche und praktische Leben von neugierigen Lesern und kreativen Köpfen.

Ramona Böhm bloggt im Netz als Kari auf El Tragalibros – der Bücherwurm über Literatur und ihre Buchleidenschaft. Nebenbei macht sie derzeit LovelyBooks als Praktikantin unsicher und ist auf der Suche nach neuen Abenteuern in der Verlagsbranche. Sie liebt gutes Essen, Spieleabende und zwischen all dem Trubel ihre kostbare Lesezeit. [Twitter] [Facebook]

"Der marxistische Müller mahlt nicht mehr, liest aber." [Adventskalender]

Das Lesen ist des Müllers Lust, heißt es schon im Volksmund. Doch der Volksmund irrt, wenn er nicht gerade lügt. Das ist weniger selten, als man denkt.
Doch der Reihe nach.
Was ist ein Müller überhaupt?
Wenn es heutzutage noch Müller geben sollte, so finden wir diese nicht in Mühlen, weil Mühlen, außer denen, die es in Freilichtmuseen zu belangweilen gibt, nicht mehr bestehen. Das ist dem technischen Fortschritt geschuldet, dem ja alle so enthusiastisch entgegenblicken. Und was bringt er? Ersten Weltkrieg, zweiten Weltkrieg, Mühlensterben. Müllersterben.
Foto von Robert HofmannDeshalb – und hier schaffe ich es, den Bogen zum Anfang zu schlagen – weil der Müller keine Mühle hat, findet man ihn heute womöglich doch in den Lesesälen der Republik, um sich von dem Handwerk seiner Väter und Großväter zu emanzipieren wie der Falter vom Kokon, die Frau vom Mann oder der Fortschritt von der Assoziation mit tödlichen Weltkriegen.
Und weil der Müller liest, ist der Volksmund doch wieder ganz nah am Zeitgeist, beobachtet das Entstehen von Veränderungen direkt aus dem Schoße der Gesellschaft heraus. Was er da verloren hat, sei dahingestellt. Aus dem Schoße der Bildung erwuchs die Gewissheit, dass nur durch Bildung bestehende Verhältnisse, die in der Unbildung entstanden waren, zu verändern seien.
Bildungsexpansion machte dem Müller das Lesen möglich. Aber was liest der Müller? Liest der Müller Bücher über das Mahlen?
Weil der Müller zuerst mal aus der bildungsfernen Schicht kommt, die Bildungsexpansion sich erst langsam und unbemerkt von hinten angeschlichen hat, um ihn letztlich liebevoll zu umarmen und zärtlich aber bestimmt auf den Boden der intellektuellen Tatsachen zu ziehen, beginnt der Müller nicht mit der Kantlektüre.
Des Müllers Habitus lässt ihn vermutlich, solange er sich durch Bildung, gekonntem Netzwerken und der Anhäufung von Kapital noch nicht die oberen gesellschaftlichen Schichten erschlossen hat, erst mal die seichtere, leichtere Literatur genießen. Die guten Philosophen fallen da leider nicht rein, sonst könnte der Müller erstmals erahnen, dass das Rattenrennen, in das die Liberalisierung der Gesellschaft, ihn unvermittelt geworfen hat, gar nicht im Interesse der Mehrzahl der Menschen ist.
Deshalb spielt der Müller erst mal mit, bleibt Klasse an sich und beneidet die gewitzten Klassen für sich, die über ihm den Kaviar verschlingen und auf den kleinen Müller mit seiner minderwertigen Bildung und dem belächelnswerten Habitus herunterspucken. Da bleibt nur Bukowski. Aber dann droht der Absturz in die Alkoholabhängigkeit und den Nichtsnutz. Und wer nichts nützt, der kriegt auch nichts. Es sei denn, es gibt ein bedingungsloses Grundeinkommen. Dann können auch Taugenichtse wieder aufleben. Doch das wird the Man schon noch zu verhindern wissen.

Wenn er nicht in dunklen Berliner Eckkneipen schläft, studiert Robert Hofmann [Facebook] Geschichte und Soziologie. Die Studierendenzeitschrift „Zur Quelle“, die er nebenbei leitet, ist die einzige, die wirklich gut ist und im Zeichen der großen Loona steht. [Homepage] [Facebook]

Vom Halben zum Ganzen gekommen und nicht auf den Hund [Adventskalender]

Foto von Su SteigerIch gebe zu, ich habe erst einmal in den Blogbeiträgen gestöbert, will ja nicht gleiches erzählen und langweilen. Das Datum aus dem Halbadventskalender [Wir hatten danach gefragt, wie Weihnachten 2022 gefeiert wird. Anm. d. Red.] hat mich gepackt, darum muss ich ein bisschen ausholen. Also: Am ersten Weihnachtsfeiertag zwanzigzweiundzwanzig würde mein derzeit treuester Begleiter, der eigentlich eine Begleiterin ist, ihren zweiundzwanzigsten Geburtstag feiern. Auch wenn Salukis, als eine der ältesten Hunderassen, älter als so mache andere große Hunde werden, kann ich mir das nicht vorstellen. Es wir also auf jeden Fall ein eher hundeloses Fest sein. Ein Buch kann diese Gesellschaft nicht ersetzen – das wäre ein Wunsch, den die Buchbranche mir zumindest heute und in absehbarer Zeit nicht erfüllen werden kann. Überhaupt, Wünsche erfüllen.

Je älter ich werde, umso bedeutsamere Inhalte finden sich in meinen Wünschen. Zumindest empfinde ich es so. Da war gerade diese Frage, wofür ich bereit wäre, mein Leben zu geben, in einer Umfrage von Dradio Kultur. Das hat mich sehr nachdenklich gemacht, was es denn wert ist, dafür zu sterben. Und gleichzeitig nachdenklich darüber, was ich mir denn (von und in meinem Leben) wünsche. Da ich es gerade aufschreibe, entdecke ich, dass dieser Wunsch und die Überlegungen sehr gut zu Weihnachten – egal welches Jahr wir schreiben – passt. Im Grunde dreht sich alles um Frieden und Freiheit. Freiheit, so zu leben, wie ich es will – und Freiheit für andere, selbstbestimmt agieren zu können. Glücklich sein und zufrieden, mit dem was ich habe und was ich erreiche – mit anderen gemeinsam – und am liebsten auch mit ihnen zusammen sein und dieses Glück gespiegelt zu sehen.

Dazu gehört auch, sich von manchem befreien zu können – das stelle ich mir vor, passiert. Weg gehen und loslassen von starren Mustern, von Zwängen und vom Gegeneinander ankämpfen. Und das wünsche ich mir auch von denen, die mit Worten handeln. Seien es gedruckte, gepixelte oder handgeschriebene oder erzählte. Wichtig ist doch, die Kultur, die Geschichte, unsere Geschichte zu erzählen und unsere Phantasie (Verzeihung, dieses Wort muss! so geschrieben werden) anzuregen. Ob das auf Papier, in Bilder, in Lauten oder auf uns bisher vielleicht noch undenkbare andere Übertragungswege in unsere Köpfe gelangt, soll dann egal sein. Was mir nicht egal ist, sich darüber mit anderen austauschen zu können. Und genau das sollte auch die Buchbranche. Sich austauschen und über den Tellerrand schauen – Austausch mit denen, die lesen, mit denen die Geschichten erzählen und denen, die die diese auf unterschiedlichste Weise zum Leben erwecken und am Leben halten.

Ich glaube, wir müssen wieder mehr mit statt gegen oder über -einander reden. Und noch viel wichtiger finde ich, wir sollten lernen, wieder richtig zuhören zu können. Am besten geht das, wenn wir zusammen sind. Und genau so stelle ich mir auch Weihnachten vor. Nur, dass das eigentlich das ganze Jahr so sein könnte. Die Bereitschaft, miteinander Altes und Neues zu entdecken, die wünsche ich mir. An Weihnachten besonders. Vielleicht gibt es ja ein Buch, das uns alle zusammenbringt und einen Diskurs führen lässt – über das Leben, das Glück und die Zukunft. Wer kennt sie schon, die Welt von 2022? Und so würde das Buch* doch noch etwas zu meiner Gesellschaft beitragen, auch wenn mein vierpfötiger Begleiter nicht mehr (dabei) ist.

*wahlweise einen Begriff einsetzen, der ebenfalls etwas erzählt/zeigt/bewegt

Lesen (unter der Bettdecke schon immer) und Schreiben (kennt ihr das noch, Brieffreundschaften?) zieht sich wie ein roter Faden durch die Vita von Su Steiger, die professionelle Kommunikation zum Beruf gemacht hat und im Herzen eine Bücherfrau ist – bis sie irgendwann endlich das eigene Buch geschrieben und die verlegerische Form gefunden hat, die ihrem Ideal entspricht.

Wenn du beim Weihnachtsmann/Christkind einen Wunsch bezüglich der Buchbranche hättest, wie würde der lauten? [Adventskalender]

Mein Mann und ich sind Büchermenschen. Mein Mann als Lesender und Schreibender, ich als Leserin und Buchhändlerin. So eine Übereinstimmung ist wahrscheinlich eine gute Voraussetzung für jede Ehe.

Was für ein wundervolles Produkt ist das Buch! Welch ein Vergnügen, ein schönes Exemplar in Händen zu halten: dieser Geruch, die Gestaltung, das Papier. Da spiegelt sich Zeitgeist. Ebenso wie sich in der Vielfalt der Bücherwelt die Vielfalt unserer Gesellschaft spiegelt. Die Buchbranche ist immer in Bewegung: Messen, Lesefeste, Preisverleihungen, Buchvorstellungen. Laufend gibt es interessante Neuerscheinungen, tagtäglich ist das Buch in der Presse vertreten, es wird besprochen, diskutiert. Bücher befördern Werte, die bleiben, behüten zeitlose Figuren, wie Pippi Langstrumpf, frech und farbig. Wir Leser sehnen uns nach Neuem, aber auch nach Beständigkeit.

Mein Mann und ich gehen in jede unabhängige Buchhandlung: da gibt es eine ganz eigene Buchauswahl, da werden ganz persönliche Buchempfehlungen kommuniziert. Hier in der Buchhandlung ist man Mensch, hier bleibt Persönliches im Haus. Hier werden keine Profile von Kunden angelegt, hier landen keine Drohnen und hier werden die Steuern in Deutschland bezahlt.

Mein Mann und ich sind überzeugte Anhänger des gedruckten Buches. Doch unterschiedliche Lebensweisen verlangen nach unterschiedlichen Formaten, et voilà: Bücher gibt nicht mehr nur gedruckt oder vorgelesen, sondern auch elektronisch.

Mein Mann und ich reden darüber, welches Glück es ist, in einem Land zu leben, in dem Demokratie und Meinungsfreiheit herrschen und Weltwissen für jeden jederzeit zugänglich ist. Das Buchangebot – ob neu oder antiquarisch – ist bestens erschlossen.

Haben wir mit unseren Kunden schon einmal über all das geredet? Klappern gehört zum Handwerk sagt eine Binsenweisheit. Binsenweisheit besteht aus Binsen und Weisheit, sie muss es also wissen. Ebenso beinhaltet das Wort Buchhandel nicht nur das Buch, sondern auch den Handel – vielleicht geht ja da noch was?

πάντα ῥεῖ – alles fließt: mein Mann und ich wünschen uns vom Weihnachtsmann für die Buchbranche weiterhin viel Begeisterung und Innovationskraft und für den Buchhandel ein lächelndes Gesicht und viele zündende Ideen, damit der Funke überspringt.

Dagmar Mück, Buchhändlerin, von Franken nach Berlin gezogen und auf der Suche nach neuen Aufgaben. [Mail]

Im Detail [Adventskalender]

„Vielen Dank für Ihre Bewerbung! Leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass wir nur Bewerber in Betracht ziehen konnten, die im Detail unseren Anforderungen entsprachen.“ I-M D-E-T-A-I-L? Aha. Ich bin Anfang 30, ausgebildeter Verlagskaufmann und habe vor etwas über zwei Jahren zudem einen (fast sehr) guten Abschluss in Buchwissenschaft erlangt. Während des Studiums habe ich fünf Jahre in einem kleinen, auf eine bestimmte Art von Sachbüchern spezialisierten Verlag gearbeitet und bin danach durch eine Initiativbewerbung bei einem ebensolchen Konkurrenzverlag gelandet. Eine schöne Sache, nach dem Studium durch die gesammelte Berufserfahrung übergangslos einen festen und unbefristeten Job zu bekommen. Und das in der bevorzugten Region. Perfekt! Das war es, jetzt ist es das nicht mehr. Ich und die Menschen dort passen nicht so gut zusammen wie erhofft. Und ich würde mich gern weiterentwickeln, mehr Aspekte der Buchbranche kennenlernen. ABER: Ich habe das Gefühl, dass ich aus meiner Sachbuchecke nicht rauskomme. Bewerbungen als Sachbuchlektor/Produktmanager in thematisch anders orientierten Sachbuchverlagen, als Texter, Redakteur, Assistent der Geschäftsführung, auch für Stellen in Werbung, Marketing und PR … Bis jetzt nichts. Am Anfang ein paar Gespräche, bei einem Job die Nummer 2 auf der Liste. Aber es ist eben so, dass immer nur die Nummer 1 ein Angebot bekommt. Liegt es an mir? Bewerbungsunterlagen von Fachleuten gecheckt, Anforderungen in den Anzeigen meist zu 70–90 % erfüllt (Soll man es nicht sogar schon bei 60 % versuchen?), sehr gut ausgebildet (s.o.), vielfältige Erfahrungen (auch im Ausland), zwei Fremdsprachen (z.Zt. Auffrischung), E-Book-Erfahrung … der ganze aktuell zu leistende – Pardon! – Scheiß, um ein guter Bewerber zu sein. Andererseits: Örtlich nicht mehr so flexibel. Wohnung, Frau mit eigenem Job, Familienplanung. Da mag ich nicht mehr groß durch Deutschland ziehen. Mein Fehler? Bin ich zu teuer? Mein derzeitiges Gehalt ist noch das des Einstiegs von vor zwei Jahren. Okay zu Beginn. Mit der gewonnenen Erfahrung würde ich mich gern steigern. Ich muss Miete in einer Großstadt zahlen, und apropos Familienplanung… Oder ist es nach zwei Jahren schon Zeit für eine Weiterbildung, ein Abendstudium, einen zusätzlichen Master. Ja, prinzipiell gern. Aber die Kosten bei dem Gehalt? Jaja, und ich weiß: Die Verlage kriegen sooo viele Bewerbungen. Der Markt ist klein und die Buchmenschen werden immer mehr (auch ein Fluch der Studiengänge?). Und dann sieht man auch noch im Börsenblatt, wer den Job letztendlich bekommen hat. Ein Social Media-Mensch wird Sachbuchlektor? Aha. Das Gute ist: Ich hatte mehrere Vorstellungsgespräche in einer anderen Branche aufgrund des Themas meiner Sachbücher. Und gestern kam ein neues Angebot hinzu. Das könnte passen. Dann glaube ich, dass ich Dich verlasse, liebe Buchbranche. Auch wenn es weh tut. Und wenn es nicht klappt: Ich bin immerhin Buchmensch und verlasse mich auf Ratgeberliteratur: Selfbranding, Guerilla-Bewerbungen … sowas. Ansonsten bleibt mir noch die New Age-Philosophie: Ich bestell den Job beim Universum und irgendwann wird er zu mir kommen. Mein Wunsch an die Buchbranche? Versuch mich zu halten! Aber wenn nicht, dann eben nicht.

Der Autor möchte seinen Namen hier nicht lesen, ist Dennis und Hanna aber bekannt.

Wenn alte Männer mit Humankapital Monopoly spielen und dabei Kätzchen sterben [Adventskalender]

Man soll ja mit seinen Wünschen vorsichtig sein: bekanntermaßen könnten diese in Erfüllung gehen. Zudem – was soll man dieser Branche denn wünschen? Mehr Innovation? Den einen wird es immer zu wenig sein, den anderen zu viel. Mehr Offenheit? Da gilt dasselbe wie bei „Innovation“. Mehr Mut? Nochmals siehe „Innovation“. Also was dann?

Vor kurzem schwirrte auf Facebook eines dieser Bonmots herum, von denen die meisten eher dröge, manche wenige aber sehr treffend sind. Es ging dabei um folgenden Dialog:

CFO asks CEO: "What happens if we invest in developing our people and then they leave us?" CEO: "What happens if we don't and they stay?"

Vielleicht könnte man dies vor allem den Verlagen wünschen: den richtigen, vernünftigen, zukunftsgewandten Umgang mit dem, was man heutzutage so brutal „humanes Kapital“ nennt.

Bei Licht betrachtet: mehr haben wir nicht. Wir Verlage produzieren nichts. Das machen, im handwerklichen Sinne, andere: Setzer, Drucker, Buchbinder. Wir vertreiben nicht einmal etwas, das machen auch andere. Verlage tun nur eines: eine Auswahl treffen, das geistige Produkt anderer veredeln, die Werbetrommel dafür rühren. Da sitzt niemand an einer Werkbank, da liegt kein Kapital in Maschinen, nur in Köpfen.

Aber was für Köpfe haben wir denn? Hört man auf Konferenzen, die sich mit dem Thema Personalentwicklung auseinandersetzen, zwischen den Zeilen zu, dann scheint die Branche nur aus älteren, veränderungsunwilligen Nesthockern oder jungen, aufmüpfigen, auch nicht besonders innovativen Berufsanfängern zu bestehen, die auch noch völlig weltfremde Vorstellungen in Sachen Entlohnung haben.

„Es gibt keine schlechten Mitarbeiter. Es gibt nur schlechte Arbeitsumgebungen“. Der Satz stammt von einem Personalleiter eines großen deutschen Verlagsunternehmens und ist mithin über 20 Jahre alt. Was er damit meinte: es liegt enormes Potenzial in Mitarbeitern, aber dieses Potenzial muss eben auch fortwährend entwickelt und unterstützt werden.
Es reicht nicht, Lippenbekenntnisse über moderne Arbeitsformen, die etwa ein halbwegs normales Familienleben erlauben (zeitlich wie finanziell) zu postulieren – am Ende des Tages aber nur die vermeintlich hohen Personalkosten im Auge zu haben.
Von sich selbst organisierenden, vernetzten, aber in der Zusammensetzung heterogenen Teams zu reden, aber mit strengem Auge auf Anwesenheitszeiten zu schielen und die Menge an abgesessenen Arbeitsstunden als qualitativen Faktor zu werten.
Von Familienfreundlichkeit zu lamentieren, aber hinter vorgehaltener Hand über die Probleme zu klagen, die durch permanente Schwangerschaften entstehen – in einer Branche, die weiblicher ist als die meisten anderen.
Es reicht nicht, vom geeigneten, dringend benötigten Nachwuchs zu träumen (jedesmal, wenn jemand „Digital native“ sagt, stirbt irgendwo ein Kätzchen!), diesem aber keinen Raum und keine angemessene Vergütung zu bieten nach dem Motto „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“ – und sich dabei auch noch als unattraktive, rückwärtsgewandte Branche zu präsentieren.
Und es ist eine pure Verschwendung von Lebens- wie Arbeitserfahrung, wenn Mitarbeiter ab Mitte 50 wie Ballast behandelt werden, weil sie angeblich „innovationsunwillig“ (und abgesehen davon auch viel zu teuer) seien.

Natürlich: schlimmer geht immer. Aber das Schielen auf andere Branchen kann hier nicht als Entschuldigung dienen. Nicht, wenn die Menschen, die jeden Tag in dieser Branche arbeiten, das eigentliche Kern-„Asset“ (noch so ein Managersprech) sind, nichts anderes.

Natürlich gelten diese Punkte auch nicht im eigenen Unternehmen, Gott bewahre! Man ist ja modern, offen, innovativ und praktiziere dies auch an den eigenen Mitarbeitern.

Foto von Steffen MeierLieber Weihnachtsmann, wenn denn einen Wunsch, dann diesen: lass im nächsten Jahr den wohlfeilen Lippenbekenntnissen auch mal die eine oder andere Tat folgen. Danke!

Steffen Meier ist Leiter des Verlagsbereichs Online im Verlag Eugen Ulmer, Sprecher des AKEP und (Branchen)Blogger unter meier-meint.de. Seine Hashtags sind #ebooks # socialmedia #kaffeetrinken und #weltherrschaft. [Facebook], [Twitter]

Miteinander reden! [Adventskalender]

Foto von Johannes Kambylis
Fotograf: Otto Danwerth

„Die Grundlage ist das Fundament der Basis.“ Die schöne und gleich dreifache Tautologie wirkt wie eine wohltuende Bremse im Alltag: sie lässt den Zuhörer innehalten und überlegen, was eigentlich der Unterschied zwischen den Dreien sein mag, die doch das Gleiche meinen? Und ob der Satz auch andersherum funktioniert? Und was soll das?

Seit ich diesen (dem Architekten Le Corbusier zugeschriebenen) Satz zum ersten Mal hörte, warte ich auf die Gelegenheit, ihn in einer Gesprächsrunde anzubringen. Auf die Reaktionen freue ich mich schon! Wahrscheinlich herrscht dann für einen kurzen Moment Stille. Als nächstes würden die Anwesenden den Sprecher durch intensiven Blickkontakt prüfen, ob er den Verstand verloren habe. Und mit diesen beiden Momenten wäre schon das Wichtigste gewonnen: eine kurze Schleife, die uns aus der den Alltag bestimmenden Kausalkette(n) herauskatapultiert – und erst nach einem meditativen Moment wieder einreihen lässt. „I am still confused, but on a higher level!“ ließe sich dann (den Physiker Enrico Fermi zitierend) erfreut ausrufen.

Die Buchbranche handelt mit Texten, die sehr viel länger sind als bloß wenige Worte. Ein Roman wie beispielsweise „Die Liebeshandlung“ von Jeffrey Eugenides besteht aus etwa zweihunderttausend Wörtern. Umso bedeutsamer ist, dass schon ein einziger Satz so viel bewirken kann. Das sagt sehr viel über die unendlichen Möglichkeiten sprachlichen Ausdrucks.

In noch viel größerem Maß gilt dies für gesprochene Sprache, denn sie übermittelt weitaus mehr Informationen als „lediglich“ den Gehalt des Textes. Untersuchungen haben ergeben, dass Tonhöhe, Sprechgeschwindigkeit, Modulation, Pausen, Gestik und Mimik – um nur einige wenige Aspekte von Gesprächssituationen zu nennen – in Einzelfällen deutlich stärker über die Wirkung des Gesprochenen entscheiden als sein Inhalt. Eine sehr erhellende Lektüre zu der Art und Weise, wie Kommunikation funktioniert, liegt in den drei Taschenbüchern „Miteinander reden“ von Friedemann Schulz von Thun und – nicht zu vergessen – in der „Anleitung zum Unglücklichsein“ des legendären Paul Watzlawick.

Wenn ich mir etwas wünschen darf für die Buchbranche: Nach erholsamen Feiertagen im Kreise der Lieben (und nach inspirierender Lektüre!) starten wir ins neue Jahr mit einem frischen Blick für das Wesentliche, schauen unter die Oberfläche und interessieren uns noch etwas mehr für einander und die Motive des Anderen. Mit Missverständnissen können wir dank gewachsener Kenntnisse über die Komplexität zwischenmenschlicher Kommunikation gelassener umgehen und den Wert unseres eigenen Lebens (wie auch das unserer Mitmenschen) noch besser schätzen – weil wir uns über die wirklich wichtigen Dinge austauschen.

„Life is short, Break the rules, Forgive quickly, Kiss slowly, Love truly, Laugh uncontrollably, And never regret anything that made you smile!” sagt Mark Twain und im Film „The Best Exotic Marigold Hotel“ beruhigt ein Junghotelier seine wegen der täglichen Kalamitäten verzweifelnden Gäste mit dem Satz „Am Ende wird alles gut. Und wenn es nicht gut ist, ist es nicht das Ende!”.

Johannes Kambylis [Facebook, Xing] ist in den Wissenschaftsverlagen Meiner und Buske (Philosophie bzw. Sprachen) für Marketing, PR, Rechte und Lizenzen verantwortlich und Vorsitzender des AVP (Arbeitskreis Verlags-Pressesprecherinnen und -Pressesprecher e.V.).