Weihnachts-Blues [Adventskalender]

Der Weihnachtsmann hat uns diesen kleinen Weihnachts-Blues-Rant mit hoffnungsvollen Unter- und desillusionierten Obertönen zugespielt. Er brummelte etwas von „ihr mögt doch Kontroversen … polarisieren … was ihr wollt!“ in den Rauschebart und verschwand wieder im Winterhalbdunkel der großen Stadt.

Endlich Weihnachten!

Die Verlagsbranche folgt ihren eigen Gesetzen. Nach der Buchmesse muss dringend noch in diesem Jahr die Welt gerettet werden und jedes Projekt, jeder Schnellschuss abgeschlossen sein – als gäbe es kein Morgen …

Was für ein Jahr. Zeit, durch die Straßen zu ziehen und das Jahr Revue passieren zu lassen, Wünsche zu formulieren und … ja … Weihnachten ist ja auch die Zeit der Wunder. Es beginnt zu schneien. Der liebe Gott verdeckt den ganzen Dreck. Der Weihnachtsmarkt ist geschlossen, die Strassen leer und weihnachtlich beleuchtet, irgendwo höre ich die Strophen von meinem Lieblingsweihnachtslied Fairytale of New York

It was Christmas Eve, Babe
In the drunk tank
An old man said to me, „Won’t see another one“
And then he sang a song
‚The Rare Old Mountain Dew‘
I turned my face away
And dreamed about you

Es geht in dem Lied um Niederlagen, um Erfolg – und um viel Aufregung. Jo, das passt auch fürs durchlebte, lebendige, digitale Jahr 2014. Es fühlt sich so an, als sei mancher vom digitalen Erfolg überrollt worden, man steht plötzlich mehr als sehr gut da, aber jetzt will man im grossen Stil dabei sein. Das gewaschene Fell vom Bär will jeder.

Aber mit der Umsetzung, dem Tempo, dem Vorlauf für die Digitale Transformation der Bereitstellung der benötigten Resourcen, Schulung, Arbeitsmittel, dem Invest in das Vertrauen, ich korrigiere, das bezahlte Vertrauen – das ist ausbaufähig. Die Generation Praktikum wird’s schon bringen, Floskeln wie „tolle Herausforderung“, „spannend“, vollste Unterstützung“ fallen oft. Selbstverständlich soll alles irgendwie so bleiben, wie es ist, aber man möchte auch digital dabei sein. Und irgendwie fallen hinten E-Books raus. Ist das so schwer zu verstehen? E-Books sind eigene Produkte und keine Kopie vom Buch. Sie haben so also auch eine ganz eigene Genese, voll mit technischer DNA, aus dem Verlags-Know-How befüllt, verhalten sich gänzlich anders bei der Auslieferung, der „Verkaufsfläche“, den Experten, die von Apple und Amazon geforderten Ansprechpartern für Trouble-Shooting. Notfallbesetzung im Verlag auch über die Weihnachtszeit …? Wo doch der Verlag über die Tage geschlossen ist. Wie geht man damit um … „das ist doch spannend“, schauen Sie mal, wie machen das denn die anderen, melden Sie sich dann, wir sehen dann weiter!“ …

merry christmas

<meta-daten> rieseln nicht leise per Knopfdruck aus Onix-Exporten oder füllen wie ein durch einen Weihnachtszauber bis Ende des Jahres die Informationssysteme in den Häusern …

Das ist dann schon was Feines. Während die Geschäfte und die Mitarbeiter nun endlich durchatmen können, wir mit der Familie, Freunden schlemmend Weihnachten feiern, kann man im Live Ticker der Monitoring-Systeme verfolgen, wann wo gerade ein e-Reader, Tablet, Smartphone ausgepackt wird und die Downloadzahlen für eBooks in den Himmel steigen zum Morgenstern.

Man informiert sich über Buchreport, Börsenblatt und beobachtet sich in der Branche, man schimpft, blickt ängstlich auf das Tun von Amazon, blickt herablassend auf Selfpublisher. Festgefahrene Pfade in Verlagsstrukturen und Abläufen werden nur zaghaft verlassen. Man will rufen: „Es kann euch nichts passieren! Traut euch, lasst los, macht eure Erfahrungen!“ Hinfallen, aufstehen, Krone richten – hab ich meinem Sohn immer gesagt. So einfach kann es sein.

Mein Sohn studiert in einer andren Stadt, wir werden uns nicht sehen. Der Scheefall wird stärker und ich gehe gedeankenversunken weiter durch die menschenleere Stadt und summe vor mich hin.

Got on a lucky one
Came eighteen to one
I’ve got a feeling
This year’s for me and you
So happy christmas
I love you baby
I cann see a better time
When all our dreams come true

Über den Autor: Anonym. Stellvertretend für die, die Digital denken, leben, über den Tellerrand schauen, die ausgebremst werden, mit blutiger Nase wieder aufstehen und weiter machen, die wissen, dass sie am Erfolg nicht nur teilnehmen, sondern diesen mitgestalten, dafür bloggen, sich vernetzten. Die, die ungeschätztes Kapital der Branche darstellen und selbstbewusst weiter ihren Weg gehen.

Im Detail [Adventskalender]

„Vielen Dank für Ihre Bewerbung! Leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass wir nur Bewerber in Betracht ziehen konnten, die im Detail unseren Anforderungen entsprachen.“ I-M D-E-T-A-I-L? Aha. Ich bin Anfang 30, ausgebildeter Verlagskaufmann und habe vor etwas über zwei Jahren zudem einen (fast sehr) guten Abschluss in Buchwissenschaft erlangt. Während des Studiums habe ich fünf Jahre in einem kleinen, auf eine bestimmte Art von Sachbüchern spezialisierten Verlag gearbeitet und bin danach durch eine Initiativbewerbung bei einem ebensolchen Konkurrenzverlag gelandet. Eine schöne Sache, nach dem Studium durch die gesammelte Berufserfahrung übergangslos einen festen und unbefristeten Job zu bekommen. Und das in der bevorzugten Region. Perfekt! Das war es, jetzt ist es das nicht mehr. Ich und die Menschen dort passen nicht so gut zusammen wie erhofft. Und ich würde mich gern weiterentwickeln, mehr Aspekte der Buchbranche kennenlernen. ABER: Ich habe das Gefühl, dass ich aus meiner Sachbuchecke nicht rauskomme. Bewerbungen als Sachbuchlektor/Produktmanager in thematisch anders orientierten Sachbuchverlagen, als Texter, Redakteur, Assistent der Geschäftsführung, auch für Stellen in Werbung, Marketing und PR … Bis jetzt nichts. Am Anfang ein paar Gespräche, bei einem Job die Nummer 2 auf der Liste. Aber es ist eben so, dass immer nur die Nummer 1 ein Angebot bekommt. Liegt es an mir? Bewerbungsunterlagen von Fachleuten gecheckt, Anforderungen in den Anzeigen meist zu 70–90 % erfüllt (Soll man es nicht sogar schon bei 60 % versuchen?), sehr gut ausgebildet (s.o.), vielfältige Erfahrungen (auch im Ausland), zwei Fremdsprachen (z.Zt. Auffrischung), E-Book-Erfahrung … der ganze aktuell zu leistende – Pardon! – Scheiß, um ein guter Bewerber zu sein. Andererseits: Örtlich nicht mehr so flexibel. Wohnung, Frau mit eigenem Job, Familienplanung. Da mag ich nicht mehr groß durch Deutschland ziehen. Mein Fehler? Bin ich zu teuer? Mein derzeitiges Gehalt ist noch das des Einstiegs von vor zwei Jahren. Okay zu Beginn. Mit der gewonnenen Erfahrung würde ich mich gern steigern. Ich muss Miete in einer Großstadt zahlen, und apropos Familienplanung… Oder ist es nach zwei Jahren schon Zeit für eine Weiterbildung, ein Abendstudium, einen zusätzlichen Master. Ja, prinzipiell gern. Aber die Kosten bei dem Gehalt? Jaja, und ich weiß: Die Verlage kriegen sooo viele Bewerbungen. Der Markt ist klein und die Buchmenschen werden immer mehr (auch ein Fluch der Studiengänge?). Und dann sieht man auch noch im Börsenblatt, wer den Job letztendlich bekommen hat. Ein Social Media-Mensch wird Sachbuchlektor? Aha. Das Gute ist: Ich hatte mehrere Vorstellungsgespräche in einer anderen Branche aufgrund des Themas meiner Sachbücher. Und gestern kam ein neues Angebot hinzu. Das könnte passen. Dann glaube ich, dass ich Dich verlasse, liebe Buchbranche. Auch wenn es weh tut. Und wenn es nicht klappt: Ich bin immerhin Buchmensch und verlasse mich auf Ratgeberliteratur: Selfbranding, Guerilla-Bewerbungen … sowas. Ansonsten bleibt mir noch die New Age-Philosophie: Ich bestell den Job beim Universum und irgendwann wird er zu mir kommen. Mein Wunsch an die Buchbranche? Versuch mich zu halten! Aber wenn nicht, dann eben nicht.

Der Autor möchte seinen Namen hier nicht lesen, ist Dennis und Hanna aber bekannt.