Wenn alte Männer mit Humankapital Monopoly spielen und dabei Kätzchen sterben [Adventskalender]

Man soll ja mit seinen Wünschen vorsichtig sein: bekanntermaßen könnten diese in Erfüllung gehen. Zudem – was soll man dieser Branche denn wünschen? Mehr Innovation? Den einen wird es immer zu wenig sein, den anderen zu viel. Mehr Offenheit? Da gilt dasselbe wie bei „Innovation“. Mehr Mut? Nochmals siehe „Innovation“. Also was dann?

Vor kurzem schwirrte auf Facebook eines dieser Bonmots herum, von denen die meisten eher dröge, manche wenige aber sehr treffend sind. Es ging dabei um folgenden Dialog:

CFO asks CEO: "What happens if we invest in developing our people and then they leave us?" CEO: "What happens if we don't and they stay?"

Vielleicht könnte man dies vor allem den Verlagen wünschen: den richtigen, vernünftigen, zukunftsgewandten Umgang mit dem, was man heutzutage so brutal „humanes Kapital“ nennt.

Bei Licht betrachtet: mehr haben wir nicht. Wir Verlage produzieren nichts. Das machen, im handwerklichen Sinne, andere: Setzer, Drucker, Buchbinder. Wir vertreiben nicht einmal etwas, das machen auch andere. Verlage tun nur eines: eine Auswahl treffen, das geistige Produkt anderer veredeln, die Werbetrommel dafür rühren. Da sitzt niemand an einer Werkbank, da liegt kein Kapital in Maschinen, nur in Köpfen.

Aber was für Köpfe haben wir denn? Hört man auf Konferenzen, die sich mit dem Thema Personalentwicklung auseinandersetzen, zwischen den Zeilen zu, dann scheint die Branche nur aus älteren, veränderungsunwilligen Nesthockern oder jungen, aufmüpfigen, auch nicht besonders innovativen Berufsanfängern zu bestehen, die auch noch völlig weltfremde Vorstellungen in Sachen Entlohnung haben.

„Es gibt keine schlechten Mitarbeiter. Es gibt nur schlechte Arbeitsumgebungen“. Der Satz stammt von einem Personalleiter eines großen deutschen Verlagsunternehmens und ist mithin über 20 Jahre alt. Was er damit meinte: es liegt enormes Potenzial in Mitarbeitern, aber dieses Potenzial muss eben auch fortwährend entwickelt und unterstützt werden.
Es reicht nicht, Lippenbekenntnisse über moderne Arbeitsformen, die etwa ein halbwegs normales Familienleben erlauben (zeitlich wie finanziell) zu postulieren – am Ende des Tages aber nur die vermeintlich hohen Personalkosten im Auge zu haben.
Von sich selbst organisierenden, vernetzten, aber in der Zusammensetzung heterogenen Teams zu reden, aber mit strengem Auge auf Anwesenheitszeiten zu schielen und die Menge an abgesessenen Arbeitsstunden als qualitativen Faktor zu werten.
Von Familienfreundlichkeit zu lamentieren, aber hinter vorgehaltener Hand über die Probleme zu klagen, die durch permanente Schwangerschaften entstehen – in einer Branche, die weiblicher ist als die meisten anderen.
Es reicht nicht, vom geeigneten, dringend benötigten Nachwuchs zu träumen (jedesmal, wenn jemand „Digital native“ sagt, stirbt irgendwo ein Kätzchen!), diesem aber keinen Raum und keine angemessene Vergütung zu bieten nach dem Motto „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“ – und sich dabei auch noch als unattraktive, rückwärtsgewandte Branche zu präsentieren.
Und es ist eine pure Verschwendung von Lebens- wie Arbeitserfahrung, wenn Mitarbeiter ab Mitte 50 wie Ballast behandelt werden, weil sie angeblich „innovationsunwillig“ (und abgesehen davon auch viel zu teuer) seien.

Natürlich: schlimmer geht immer. Aber das Schielen auf andere Branchen kann hier nicht als Entschuldigung dienen. Nicht, wenn die Menschen, die jeden Tag in dieser Branche arbeiten, das eigentliche Kern-„Asset“ (noch so ein Managersprech) sind, nichts anderes.

Natürlich gelten diese Punkte auch nicht im eigenen Unternehmen, Gott bewahre! Man ist ja modern, offen, innovativ und praktiziere dies auch an den eigenen Mitarbeitern.

Foto von Steffen MeierLieber Weihnachtsmann, wenn denn einen Wunsch, dann diesen: lass im nächsten Jahr den wohlfeilen Lippenbekenntnissen auch mal die eine oder andere Tat folgen. Danke!

Steffen Meier ist Leiter des Verlagsbereichs Online im Verlag Eugen Ulmer, Sprecher des AKEP und (Branchen)Blogger unter meier-meint.de. Seine Hashtags sind #ebooks # socialmedia #kaffeetrinken und #weltherrschaft. [Facebook], [Twitter]

"Der Buchbranche fehlt der Coolness-Faktor"

Wir haben zu unserer Blogparade Die “Neuen” – Aus- und Weiterbildung in der Buchbranche eine Reihe (zahlenmäßig und vor allem inhaltlich) erfreulicher Beiträge erhalten. Um das entsprechend zu würdigen, fassen wir hier zusammen, lesen nach und bedanken uns bei allen Teilnehmern und Beiträgern!

Ein schönes Mosaik: Diese Beiträge erntete unsere Blogparade.
Ein schönes Mosaik.

Azubis als Umdenker und Kommunikationsverbesserer

Postwendend nach unserem Aufruf beteiligte sich die künftige Medienkauffrau Anna-Lena Wingerter. Dafür vielen Dank! Anna-Lena hebt als Alleinstellungsmerkmal der Azubis die intime Kenntnis mit dem ausbildenden Haus hervor und plädiert für eine bessere Nutzung dieser Ressource.

Tigerenten 2.0

Frank Krings hat sich entschieden, nicht nur seinen früheren Tigerenten-Artikel für die Blogparade zu recyceln, sondern einen frischen Tipp zu geben: Nachwuchs, biete dem Unternehmen etwas, was es noch nicht hat! Er selbst zeigt sich in den Kommentaren etwas enttäuscht von der geringen Online- und Social-Media-Affinität vieler Nachwuchskräfte.

„Ich lese gerne“ reicht nicht!

Luise Schitteck hat ihr neues (lesenswertes!) Blog gleich genutzt, unserer Blogparade einen Beitrag beizusteuern. Sie moniert, dass Auszubildende, mit denen sie Workshop-Erfahrung gesammelt hat, sehr häufig in den Bereichen eReading und eCommerce unzureichend ausgebildet werden. Die Liebe zum Papier reicht eben einfach nicht.

„Berufsleben ist das, was ihr daraus macht!“

Dagmar Eckhardt alias GeschichtenAgentin hat viele Jahre Erfahrung als Ausbilderin. In ihrem Artikel beleuchtet sie, welche Eigenschaften gute Berufsanfänger haben oder entwickeln sollten: Neugierde, Weitblick, Eigeninitiative. Außerdem berichtet sie, welche Fortbildungen und Erfahrungen ihr besonders geholfen haben.

„Und was wird morgen aus uns?“

Hilke-Gesa Bußmann beklagt, dass der digitale Wandel zu häufig gar nicht oder ohne den Nachwuchs passiert. Sie moniert außerdem, dass Nachwüchsler vor dem Mitmischen in etablierten Organisationen wie dem AKEP viele Hürden überwinden müssen. Hilke wünscht sich ein stimmiges Bild der Buchbranche, zusammengesetzt aus Nachwuchs und alten Hasen.

Eine Kritik und Vision für junge Verleger

Charlotte Reimann berichtet als JVM-Städtegruppensprecherin ähnliches wie Frank Krings: Der Nachwuchs hat noch zu viele Vorbehalte gegenüber sozialen Medien und verkennt insbesondere deren Chancen, an etablierten Branchenstrukturen zu rütteln. Zur besseren Vernetzung und Auffindbarkeit von Buch(nachwuchs)-Blogs schlägt sie weiterhin vor, „1) eine Buchbranchen-Bloggergruppe zu gründen, die sich gegenseitig mit Rat und Tat zur Seite steht, und 2) auf der JVM-Website ein Blogroll mit allen Nachwuchsbloggern einzurichten, um die Wahrnehmung bestehender Blogs zu verbessern“.

„Lehrjahre sind keine Herrenjahre“

Last but not least: Mit spannenden und zitierwürdigen Ansichten beehrte uns auch Steffen Meier, der gefühlt drei Minuten vor der Deadline seinen Beitrag einreichte. Warum fehlt es der Branche an Coolness? Warum beweist sie keine Kreativität in den Arbeitsmodellen und -bedingungen, gerade für die viel vertretenen Frauen? Kurz: Was hat die und was hätte die Branche ihrem Nachwuchs zu bieten, wenn es nicht Geld ist?

Praktikum – Praktikum – Volo – Assistenz?

Keinen eigentlichen Beitrag, sondern eine kommentierende Zusammenfassung liefert uns Alena Dausacker von type:area. Sie greift Steffen Meiers These von der Un-Coolness der Branche auf und führt sie u.a. auf verkrustete universitäre Strukturen zurück. Und sie spricht einen wichtigen Punkt an: „Es kann nicht sein, dass man für ein Praktikum in der Branche bereits ein Praktikum in der Branche braucht – das widerspricht dem genuinen Sinn eines Praktikums.“

Die Zuspätgekommenen

Aufgrund vereinzelter Nachfragen entschlossen wir uns zum Ablauf der eigentlichen Deadline, noch eine „Nachzüglerphase“ einzuräumen.

Im Curriculum des Nachwuchses muss „Gender“ enthalten sein

Darüber sind wir froh, denn so erreichte uns noch Frauke Ehlers Beitrag „Ein Curriculum mit Gender-Perspektive“. Frauke knüpft an Steffens Überlegungen zur „weiblichen Branche“ an und stellt vor, was die BücherFrauen auf diesem Gebiet leisten.

Es ist schwierig, wahrgenommen zu werden

Jakob Jochmann ist neu in der Buchbranche – allerdings kein Nachwuchs, sondern ein Quereinsteiger: „Mir selbst geht es als Unternehmer mit eigenem Kapital (ich finanziere mich mit angespartem Geld aus meiner Zeit bei einer Unternehmensberatung) natürlich etwas anders als dem Nachwuchs, der sich erst noch um bezahlte Stellen oder gar unbezahlte Praktika balgen muss. Meine Probleme sind eher, als potentieller Geschäftspartner überhaupt von den Alteingesessenen wahrgenommen zu werden und Verständnis für meine neue Perspektive zu gewinnen.“

Fazit

Wir haben bekommen, was wir wollten: Einen guten Überblick und viele Einblicke in die Situation von Leuten, die in der Branche Fuß fassen wollen. Zwischenzeitlich tagte ein Nachwuchsparlament und wählte eine neue Doppelspitze. Das heißt: Es bleibt spannend. Wir danken allen Teilnehmern und Lesern und freuen uns schon auf die nächste Blogparade!

Weihnachten 2022 – die überleben wollen! [Halbadventskalender]

Vielen Dank an Steffen Meier, Leitung Verlagsbereich Online beim Ulmer Verlag, für die Antwort auf unsere Halbadventskalenderfrage!

Die feine Ironie des Titels erschließt sich vermutlich eher den Senioren unter den Lesern dieses Blogbeitrags. Für die Nachgeborenen: es handelt sich um eine Anspielung auf den Film „Soylent Green“, auf deutsch eben „Jahr 2022 … die überleben wollen„. Eher eine Dystopie von Regisseur Richard Fleischer mit dem damals omnipotenten Charlton Heston in der Hauptrolle.

Quelle: Wikipedia

Aus der Sicht des Jahres 1973, in dem der Film gedreht wurde, eine potentiell durchaus denkbare Zukunft, in der industrieller Kannibalismus betrieben wird, um Hungersnöte zu vermeiden. Wir Gegenwärtigen, die wir viel näher an diesem Datum leben, empfinden eher amüsiertes Gruseln – undenkbar, dass so etwas in einem zivilisierten Staat in 10 Jahren passieren könnte. Und da kommen wir eben auch zu den prognostischen Problemen, auf die schon Matthias Horx, seines Zeichens Trendforscher, hingewiesen hat: „Wir können uns die Zukunft immer nur als Apokalypse, Konsumhölle oder absurden Comic-Strip vorstellen. Wenn wir aber einmal dort sind, wird sie sich als ganz normaler Ort zum Lieben, Heiraten, Autofahren und Kinderkriegen erweisen.“

Jetzt stellt sich der Schreiber dieser Zeilen natürlich kopfkratzend die Frage, wie er denn elegant den Bogen vom Kannibalismus zum Weihnachtsfest hinbekomme? Am besten durch Ignoranz des vorher Geschriebenen („Was gehen mich meine dummen Worte zwei Absätze weiter oben an?“) und den direkten Sprung zu Horx: Auch Weihnachten 2022 wird ein ganz normaler Ort zum Feiern, Trinken, Beschenken und Familienstreiten sein. Das liegt aber immanent in solchen traditionsbeladenen Festivitäten verankert – wir wollen ja gar nicht Veränderung im Ruheraum Weihnachten, wir brauchen diesen Fixpunkt mit Bezug meist zur eigenen Kindheit.

Ob wir entfernte Verwandte per Fernsehvideofonie belämmern, den einen oder anderen E-Book-Gutschein verschenken oder gar eines der neuen, rollbaren Smartphones, ob wir inzwischen erste Geschenke dem hauseigenen 3D-Drucker entlocken – es wird am Kern des Weihnachtsfestes wenig ändern, es vielleicht in der medial durchdrungenen Alltagshektik zum überlebensnotwendigen Panic Room der Ruhe machen.

Abseits des Weihnachtsfestes wird es aber mit Sicherheit zu Veränderungen kommen, die fortschreitende Digitalisierung unserer Lebens- und Arbeitswelt wird alltäglich sein, Datenbrillen und Digitale Identitäten werden uns beschäftigen, der Schutz unseres digitalen Selbst versus durch Post Privacy erreichbare Mehrwerte bestimmt die Diskussionen. Die Welt wird weitgehend endgültig zum digitalen Dorf – mit allen Nachteilen, die eine Dorfkultur so mit sich bringt. Unsere Loyalitäten verschieben sich hin zu globalen Tribes, weniger zum regionalen Raum, in den wir hineingeboren wurden. Mit Sicherheit wird aber die Wissenschaft weder die Mechanik eines Warpantriebs noch das Geheimnis der sockenfressenden Waschmaschinen geklärt haben (das geschieht erst zehn Jahre später und hat mit schwarzen Miniatur-Löchern und der Entdeckung eines von intelligenten Socken bewohnten Paralleluniversums zu tun).

Insofern wird zumindest Weihnachten 2022 so bleiben wie wir es gewohnt sind – außer, uns fällt doch noch der Himmel auf den Kopf. Oder die Vogonen bauen ihre Umgehungsstraße …

Ich wünsche mir seit Jahren, wenn meine Mutter mich nach meinen Weihnachtswünschen fragt, immer dasselbe: „Ruhe und Frieden“. Das wünsche ich den Lesern dieser Zeilen natürlich auch.

Content-Marketing und das Forbes-Modell

Der Wikipedia-Artikel zu Content-Marketing ist entstanden, als ich gerade mit meiner Bachelorarbeit fertig war. Im Kern ging es darin um Content-Marketing und Marketing-Content. (Nein, mit dem Wikipedia-Artikel habe ich leider nichts zu tun.) Dazu eine dringende Lektüreempfehlung: Das Forbes-Modell, Content-Marketing und der verkaufte Kanal bei meier meint. U.a. geht es um Aufmerksamkeitsökonomie:

Und warum sollte die werbetreibende Industrie mitspielen?

Ganz einfach: das Medienbudget des Nutzers ist begrenzt. Sollte die Industrie tatsächlich selber als Content-Player auftreten, muss sich dieser zwischen zwei Angeboten entscheiden. Die Aufmerksamkeit für den einen wird zwangsläufig auf Kosten des anderen gehen. Und noch (!) haben zumindest im Zeitungs- und Zeitschriftenbereich die Medien in ihren Zielgruppen eines: eine Marke.

Darüber habe ich am Rande ebenfalls in meiner BA geschrieben:

Die Überlegungen etwa zur „Währung Aufmerksamkeit“ machen deutlich, dass wir es gerade beim Publikumsmarkt für Bücher mit einem Nachfragemarkt zu tun haben: Die Nutzer haben die dominante Marktstellung inne, da sie ihre Aufmerksamkeit frei auf ein Überangebot von Inhalten verteilen können. Die Unternehmen konkurrieren folglich um diese Aufmerksamkeit, stehen aber vor dem Problem, sie nicht durch herkömmliche und häufig langweilige Werbekampagnen erringen zu können.

([Eigenwerbung] Die Arbeit gibt es jetzt übrigens bei GRIN zu bestellen. [/Eigenwerbung]

Gastbeitrag im Blog des Branchennachwuchses


Hanna hat mit ihrem Artikel „Das Schlachten verstehen und gestalten“ eine Replik auf Steffen Meiers Rant „Das Schlachten beginnt – das ängstliche Blöken der Verlage ist die Antwort“ geliefert, auf die ich hier gerne hinweise.

Bildquelle: Huhu Uet via Wikimedia CommonsCreative Commons Lizenzvertrag Dieses Werk bzw. Inhalt steht unter einer Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.5 US-amerikanisch (nicht portiert) Lizenz.