Brief ans Christkind, Variation über ein Thema [Adventskalender]

Liebes Christkind,

der heilige Augustinus (354–430 n. Chr.) sagte einmal: »Man betet für Wunder, aber arbeitet für Ergebnisse.«

Insofern wünsche ich mir für die Buchbranche eine gemeinsame Online-Plattform, welche die Kräfte aller Beteiligten bündelt und sie dank eines eigenen Kundenzugangs ökonomisch unabhängig von wie auch immer gearteten digitalen Supermächten macht.

Als Nutzer wünsche ich mir eine Plattform, die mir volle Datensouveränität bietet, die mich selbst entscheiden lässt, was von meinen Daten zu welchem Zweck gesammelt, gespeichert und verarbeitet wird – und dass ich meine Daten auch jederzeit wieder löschen kann.

Mit diesem Wunsch bin ich offensichtlich nicht ganz allein, wie beispielsweise die jüngste Initiative »Writers Against Mass Surveillance« zeigt.

Bild einer Krippe
photo credit: Alexander Rabb via photopin cc

Andererseits fürchte ich (siehe Eingangszitat), dass das Wünschen allein nicht helfen wird, da die Zeiten, als das Wünschen noch geholfen hat, längst perdu sind. Auch glaube ich nicht, dass es jemand anderes für uns richten wird. Wenn also eine Veränderung zu Gunsten der Buchbranche stattfinden soll, so kann diese Veränderung nur aus uns selbst, aus der Branche heraus kommen, sprich: wir müssen das Schicksal des Geschäfts mit den Büchern selbst in die Hand nehmen.

Hier ist gleichwohl viel Beistandund nicht zuletzt Durchhaltevermögen gefragt – und darum bitte ich Dich, liebes Christkind: um Beistand und Durchhaltevermögen, denn beides werden wir dringend benötigen auf unserem Weg in die Zukunft des Lesens. Vor allem aber gibt es auf diesem Weg keine Abkürzungen und auch kein Zurück. Wollen wir selbst Teil dieser Zukunft sein, müssen wir da durch, und zwar jetzt. Jeder weitere Tag, den wir im Gestern verharren, schmälert unsere Aussichten auf Erfolg.

Ob man nun den Auszug aus Ägypten, die Trecks der Siedler nach Westen oder die Digitalisierung als Beispiel nimmt, es gibt sinnbildlich nur ein Motto: »Kalifornien oder Tod!«, nur dass Kalifornien heute nicht mehr für das gelobte Land steht, sondern als Synonym der Bedrohung durch die Firmen des Silicon Valley (sofern man Seattle als Sitz von Amazon und Microsoft politisch und geografisch inkorrekt ebenfalls unter »Silicon Valley« subsumieren darf).

Um bei der Wildwest-Metapher zu bleiben: Mit mechanischen Waffen, die noch mit Blei ausschießen, werden wir nicht weit kommen. Auch die Waffen Fotosatz, DTP und CtP sind stumpf geworden. Ohnehin bringen uns Waffen und Gewalt nicht weiter. Wir leben in einem Zeitalter, in dem das Wort regiert.

Jetzt gilt es, als »digital immigrants« neue Sprachen zu erlernen, in Zungen zu sprechen, da nur die Sprache wirkliche Macht über die Dinge verleiht. Damit haben Religion, Programmiersprache und Literatur letztendlich eines gemeinsam: sie schaffen mit Hilfe der Sprache (virtuelle) Welten.

Am Anfang steht immer das Wort; womit wir wieder da wären, wo alles begann.

Es geht um nicht weniger als selbst schöpferisch tätig zu werden und eine virtuelle Welt der Bücher zu schaffen. Ein digitales Buch der Bücher, das alles, was Buch ist, in sich vereint.

Das wünsche (nicht nur) ich mir, liebes Christkind, und darauf arbeitet eine stetig wachsende Zahl von Gleichgesinnten (mit Stallgeruch) hin.

Volker Oppmann, Jahrgang 1975, Anbaugebiet Mainfranken, favorisiert rote Rebsorten, passionierter Leser, Gelegenheitsautor (von Gebrauchsprosa), Verleger von ONKEL & ONKEL, pensionierter Buchhändler bei textunes / Thalia, versucht mit LOG.OS nun Schöpfungsmythos (Johannes-Evangelium) und schöpferische Zerstörung (Schumpeter) miteinander zu kombinieren: www.log-os.info

Ziel von LOG.OS ist der Aufbau einer digitalen Universalbibliothek, die eine direkte Interaktion zwischen Privatpersonen (Autoren und Lesern), Branchenteilnehmern (Buchhandlungen und Verlagen) sowie öffentlichen Institutionen (Schulen, Universitäten und Bibliotheken) über eine gemeinsame technische Infrastruktur ermöglicht.