Oh Gott, jetzt gibt’s Schrott! [Adventskalender]

Foto von Robert MaroschikSehr geehrte Zivilisation, werte Literaturliebhaber, liebe Intellektuelle. Wir stehen vor der kulturellen Katastrophe, die wir so dringend über Jahrhunderte hinweg gesucht haben, zu vermeiden. Es gilt, sich nun einen festen Stand zu sichern, Haltung zu bewahren und durchzustehen, vor allem aber dem entgegen zu stehen, was nun auf uns zukommt. Schuld daran ist niemand geringerer als der Verursacher nahezu jeglichen unsagbaren intellektuellen Bauchwehs der vergangenen zwei Jahrzehnte. Ja, ihr ahnt es schon, es ist das Teufelsding, die Geißel des Ernsthaften, der Moloch des Jedermanns, die Tyrannei der Katzen(-videos): Das Internet. Und – hier sei dies bitte als bewusste Bemerkung notiert – ich bin mir freilich auch der Ironie bewusst, diese Worte gerade im Internet kundzutun.

Doch zum Kern der Sache. Über die Jahre hinweg beherrschten die Buchverlage als Leuchtfeuer des Pfads in die Welt der Intelligenz, was gut war, was schlecht war, was als massentauglich zu gelten hatte und was, salopp, aber treffend formuliert, Schund, nein, besser: schlichtweg Schrott war. Freilich gab es auch hier und da mal die etwas weniger gelungene Publikation, manche davon besorgte man sich sogar lieber klammheimlich am Bahnhofskiosk und schlug sie in einen namenlosen Einband ein, bevor noch irgendjemand die geradezu grotesk bebilderten Buchdeckel mit starken Männerarmen und sanften, hilflosen Damenhänden und wehenden Haaren erspähen konnte; wahlweise auch dasjenige knallpinke mit Pflaster drauf (Kenner wissen, was gemeint ist).

Doch diese Institution ist nun gefallen. Denn das Internet hat es möglich gemacht, nein es uns gerade aufgezwungen, dass jeder Depp zu seinem Ruhm kommt. Und zwar mit einer noch so depperten Geschichte, die er im Eigenverlag als E-Book, kostenlos (der Nachsicht, für den Quatsch nicht irgendjemand noch sein hart verdientes Geld abnehmen zu wollen, gebührt hier durchaus Beifall) oder nicht, jedenfalls aber jedermann zugänglich macht. Geschichten, die in ihrer Abstrusität und Lächerlichkeit kaum noch zu überbieten sind und bei denen man sich unweigerlich fragen muss, ob die Autorin / der Autor sich nicht doch noch einmal auf ein Eins-zu-eins-Gespräch mit einem netten Psychologen ihrer / seiner Wahl verabreden sollte; oder fantasieren Sie etwa klammheimlich, von einem Tyrannosaurus Rex vergewaltigt zu werden? Kein Scherz, diese Bücher über Dino-Sex steigen in der Gunst der E-Book-Leser(innen!)! Vom Phänomen der gefühlten zwölfmilliardenachthundertzweinundsechzig Geschichten über heroisch-dominante Vampir-Jünglinge, die der Twilight-Scheiß, oh pardon, „-Hype“, verursacht hat, ganz zu schweigen.

Die „Werke“ dieser „Künstler“ sind meist kurz, doch kommen sie in immer schneller aufeinanderfolgenden Sequenzen heraus und rauben jedem mündigen Hirnnutzer das letzte Quäntchen Glauben an eine intellektuelle Welt.

Ja, ich weiß. Die ersten von Ihnen wetzen bereits ihre Mistgabel, zünden schon ihre Fackeln an und wollen nur noch schnell das nächste Kapitel von Shades of Grey fertiglesen, bevor Sie mich ausfindig machen und am Baum ihrer hirnlosen Banalstories aufknüpfen wollen. „Kunst liege doch im Auge des Betrachters“, „Kunst kann alles sein“, ja ich weiß: blablabla. Freilich ist sie das, die liebe Kunst. Aber das heißt noch lange nicht, dass ich Lieschen Müllers heimlichen, überaus beunruhigenden Fantasiewust als eben solche betrachten müsse. Denn nur, wer einen Pinsel halten kann – auch im übertragenen Sinne -, ist eben noch kein Künstler. Übrigens – das mit dem Pinsel kann sogar mittlerweile ein indischer Elefant. Sie glauben’s nicht? Schauen Sie nach. Im Internet finden Sie jeden Schrott.

Amen.

Robert Maroschik, Baujahr 1985, ehemals Gründer und Fahrzeugführer des Metal-Radiosenders „Hurricane Rock“, tankt gerade noch unverbleit Jura, während er am Gaspedal seiner eigenen Texteragentur für SEO-Texte und Marketing (www.juicymind.de) in München sitzt.

Auf geht’s vom "Zweite-Klasse-Buch" zum Original der anderen Art [Adventskalender]

Wenn ich mich an meine Kindheit erinnere, dann haben sich die meisten Wünsche an den Weihnachtsmann auch erfüllt. Was also soll ich mir für 2014 vom Mann mit dem weißen Rauschebart und dem langen roten Mantel wünschen, damit es sich für die Buchbranche auch verwirklichen lässt und nicht ein unerfüllter Wunsch bleibt, der Gutes meint, aber nichts zustande bringt? Ich denke dabei an mein eigenes Leseverhalten und wie ich ständig zwischen E-Book-Lust und dem Verlangen nach bedrucktem Papier hin- und herhüpfe. Die E-Book-Branche hat sich in den letzten Jahren gute 10 % (so ungefähr) auf dem Buchmarkt gesichert und auch aus mir, einer Verfechterin des „echten Buches“, eine E-Reader-Liebhaberin werden lassen. Aus welchem Grund? Ganz pragmatisch der geringe Platzverbrauch und die Vorteile beim Reisen und jedem neuen Umzug (der Hass aller Umzugshelfer durch etliche Bücherkartons eingeschlossen).

Foto_c_privatAber können der geringe Platz, das wenige Gewicht und die Handlichkeit die einzigen Vorteile von E-Books und ihren Readern sein? Ein definitives Nein hierfür und doch bin ich als Büchersammlerin dem Hamstersyndrom verfallen und so horte ich unzählige E-Books, die ich bei Gratis-Aktionen erworben, oder im Anflug von „Ich brauche neuen Lesestoff“ gekauft habe, auf E-Reader, Tablet oder Smartphone. Eine Fülle an Lesematerial, das ich kaum noch überblicken kann.

Genau hier möchte ich einhaken, denn E-Books bieten mehr als lediglich eine digitale Welt aus belletristischer Unterhaltungsliteratur. In der Kombination von App, Social Reading und interessanten (Fach-)Themen können auch E-Books zur wahren Goldgrube für Kreativität und Ideenreichtum werden – sofern die Möglichkeiten zur digitalen Anbindung an andere Medien (wie etwa Communities oder insbesondere Apps mit interaktiven Techniken) bestehen. Wie wäre es also ein E-Book zu kaufen, und gleichzeitig damit in ein kleines digitales Universum einzutauchen, um weitere thematische Informationen zu erhalten, nicht nur zur Diskussion offen, sondern zu Filmen, Interviews, aktiver Teilnahme. Ein Beispiel: Nehmen wir ein Zeichenbuch, das Techniken vermittelt, aber gleichzeitig mit einem Klick, einem Link, einer einzigen Fingerbewegung anschauliche Zeichenvideos bereithält, vielleicht sogar Malvorlagen und andere Buchempfehlungen sowie eine Vernetzung zu Gleichgesinnten aufbaut. Ich weiß, dass wir diese Art von Vernetzung schon in den ersten Zügen über Communities, Schreibwerkstätten oder E-Book-Apps erleben dürfen. Aber noch ist das volle Potenzial nicht ausgenutzt.

So wünsche ich der E-Book-Branche, dass sie ihre Individualität findet, die Einmaligkeit, die sie ausmacht und die Möglichkeiten ausschöpft, welche die Digitalisierung von literarischen Werken bietet: gemeinsames Entdecken, Diskutieren und darüber hinaus eine Erweiterung und vielleicht auch Erleichterung für das alltägliche und praktische Leben von neugierigen Lesern und kreativen Köpfen.

Ramona Böhm bloggt im Netz als Kari auf El Tragalibros – der Bücherwurm über Literatur und ihre Buchleidenschaft. Nebenbei macht sie derzeit LovelyBooks als Praktikantin unsicher und ist auf der Suche nach neuen Abenteuern in der Verlagsbranche. Sie liebt gutes Essen, Spieleabende und zwischen all dem Trubel ihre kostbare Lesezeit. [Twitter] [Facebook]

"Der marxistische Müller mahlt nicht mehr, liest aber." [Adventskalender]

Das Lesen ist des Müllers Lust, heißt es schon im Volksmund. Doch der Volksmund irrt, wenn er nicht gerade lügt. Das ist weniger selten, als man denkt.
Doch der Reihe nach.
Was ist ein Müller überhaupt?
Wenn es heutzutage noch Müller geben sollte, so finden wir diese nicht in Mühlen, weil Mühlen, außer denen, die es in Freilichtmuseen zu belangweilen gibt, nicht mehr bestehen. Das ist dem technischen Fortschritt geschuldet, dem ja alle so enthusiastisch entgegenblicken. Und was bringt er? Ersten Weltkrieg, zweiten Weltkrieg, Mühlensterben. Müllersterben.
Foto von Robert HofmannDeshalb – und hier schaffe ich es, den Bogen zum Anfang zu schlagen – weil der Müller keine Mühle hat, findet man ihn heute womöglich doch in den Lesesälen der Republik, um sich von dem Handwerk seiner Väter und Großväter zu emanzipieren wie der Falter vom Kokon, die Frau vom Mann oder der Fortschritt von der Assoziation mit tödlichen Weltkriegen.
Und weil der Müller liest, ist der Volksmund doch wieder ganz nah am Zeitgeist, beobachtet das Entstehen von Veränderungen direkt aus dem Schoße der Gesellschaft heraus. Was er da verloren hat, sei dahingestellt. Aus dem Schoße der Bildung erwuchs die Gewissheit, dass nur durch Bildung bestehende Verhältnisse, die in der Unbildung entstanden waren, zu verändern seien.
Bildungsexpansion machte dem Müller das Lesen möglich. Aber was liest der Müller? Liest der Müller Bücher über das Mahlen?
Weil der Müller zuerst mal aus der bildungsfernen Schicht kommt, die Bildungsexpansion sich erst langsam und unbemerkt von hinten angeschlichen hat, um ihn letztlich liebevoll zu umarmen und zärtlich aber bestimmt auf den Boden der intellektuellen Tatsachen zu ziehen, beginnt der Müller nicht mit der Kantlektüre.
Des Müllers Habitus lässt ihn vermutlich, solange er sich durch Bildung, gekonntem Netzwerken und der Anhäufung von Kapital noch nicht die oberen gesellschaftlichen Schichten erschlossen hat, erst mal die seichtere, leichtere Literatur genießen. Die guten Philosophen fallen da leider nicht rein, sonst könnte der Müller erstmals erahnen, dass das Rattenrennen, in das die Liberalisierung der Gesellschaft, ihn unvermittelt geworfen hat, gar nicht im Interesse der Mehrzahl der Menschen ist.
Deshalb spielt der Müller erst mal mit, bleibt Klasse an sich und beneidet die gewitzten Klassen für sich, die über ihm den Kaviar verschlingen und auf den kleinen Müller mit seiner minderwertigen Bildung und dem belächelnswerten Habitus herunterspucken. Da bleibt nur Bukowski. Aber dann droht der Absturz in die Alkoholabhängigkeit und den Nichtsnutz. Und wer nichts nützt, der kriegt auch nichts. Es sei denn, es gibt ein bedingungsloses Grundeinkommen. Dann können auch Taugenichtse wieder aufleben. Doch das wird the Man schon noch zu verhindern wissen.

Wenn er nicht in dunklen Berliner Eckkneipen schläft, studiert Robert Hofmann [Facebook] Geschichte und Soziologie. Die Studierendenzeitschrift „Zur Quelle“, die er nebenbei leitet, ist die einzige, die wirklich gut ist und im Zeichen der großen Loona steht. [Homepage] [Facebook]

Vom Halben zum Ganzen gekommen und nicht auf den Hund [Adventskalender]

Foto von Su SteigerIch gebe zu, ich habe erst einmal in den Blogbeiträgen gestöbert, will ja nicht gleiches erzählen und langweilen. Das Datum aus dem Halbadventskalender [Wir hatten danach gefragt, wie Weihnachten 2022 gefeiert wird. Anm. d. Red.] hat mich gepackt, darum muss ich ein bisschen ausholen. Also: Am ersten Weihnachtsfeiertag zwanzigzweiundzwanzig würde mein derzeit treuester Begleiter, der eigentlich eine Begleiterin ist, ihren zweiundzwanzigsten Geburtstag feiern. Auch wenn Salukis, als eine der ältesten Hunderassen, älter als so mache andere große Hunde werden, kann ich mir das nicht vorstellen. Es wir also auf jeden Fall ein eher hundeloses Fest sein. Ein Buch kann diese Gesellschaft nicht ersetzen – das wäre ein Wunsch, den die Buchbranche mir zumindest heute und in absehbarer Zeit nicht erfüllen werden kann. Überhaupt, Wünsche erfüllen.

Je älter ich werde, umso bedeutsamere Inhalte finden sich in meinen Wünschen. Zumindest empfinde ich es so. Da war gerade diese Frage, wofür ich bereit wäre, mein Leben zu geben, in einer Umfrage von Dradio Kultur. Das hat mich sehr nachdenklich gemacht, was es denn wert ist, dafür zu sterben. Und gleichzeitig nachdenklich darüber, was ich mir denn (von und in meinem Leben) wünsche. Da ich es gerade aufschreibe, entdecke ich, dass dieser Wunsch und die Überlegungen sehr gut zu Weihnachten – egal welches Jahr wir schreiben – passt. Im Grunde dreht sich alles um Frieden und Freiheit. Freiheit, so zu leben, wie ich es will – und Freiheit für andere, selbstbestimmt agieren zu können. Glücklich sein und zufrieden, mit dem was ich habe und was ich erreiche – mit anderen gemeinsam – und am liebsten auch mit ihnen zusammen sein und dieses Glück gespiegelt zu sehen.

Dazu gehört auch, sich von manchem befreien zu können – das stelle ich mir vor, passiert. Weg gehen und loslassen von starren Mustern, von Zwängen und vom Gegeneinander ankämpfen. Und das wünsche ich mir auch von denen, die mit Worten handeln. Seien es gedruckte, gepixelte oder handgeschriebene oder erzählte. Wichtig ist doch, die Kultur, die Geschichte, unsere Geschichte zu erzählen und unsere Phantasie (Verzeihung, dieses Wort muss! so geschrieben werden) anzuregen. Ob das auf Papier, in Bilder, in Lauten oder auf uns bisher vielleicht noch undenkbare andere Übertragungswege in unsere Köpfe gelangt, soll dann egal sein. Was mir nicht egal ist, sich darüber mit anderen austauschen zu können. Und genau das sollte auch die Buchbranche. Sich austauschen und über den Tellerrand schauen – Austausch mit denen, die lesen, mit denen die Geschichten erzählen und denen, die die diese auf unterschiedlichste Weise zum Leben erwecken und am Leben halten.

Ich glaube, wir müssen wieder mehr mit statt gegen oder über -einander reden. Und noch viel wichtiger finde ich, wir sollten lernen, wieder richtig zuhören zu können. Am besten geht das, wenn wir zusammen sind. Und genau so stelle ich mir auch Weihnachten vor. Nur, dass das eigentlich das ganze Jahr so sein könnte. Die Bereitschaft, miteinander Altes und Neues zu entdecken, die wünsche ich mir. An Weihnachten besonders. Vielleicht gibt es ja ein Buch, das uns alle zusammenbringt und einen Diskurs führen lässt – über das Leben, das Glück und die Zukunft. Wer kennt sie schon, die Welt von 2022? Und so würde das Buch* doch noch etwas zu meiner Gesellschaft beitragen, auch wenn mein vierpfötiger Begleiter nicht mehr (dabei) ist.

*wahlweise einen Begriff einsetzen, der ebenfalls etwas erzählt/zeigt/bewegt

Lesen (unter der Bettdecke schon immer) und Schreiben (kennt ihr das noch, Brieffreundschaften?) zieht sich wie ein roter Faden durch die Vita von Su Steiger, die professionelle Kommunikation zum Beruf gemacht hat und im Herzen eine Bücherfrau ist – bis sie irgendwann endlich das eigene Buch geschrieben und die verlegerische Form gefunden hat, die ihrem Ideal entspricht.

"Mehr Katzen in Führungspositionen!" [Adventskalender]

Ich wünsche mir zu Weihnachten, dass es keine Schreibblockaden mehr gibt. Jeder, der muss, soll oder will, sollte auch schreiben können. Kein stundenlanges Starren auf den Bildschirm (wahlweise das gute alte Blatt Papier), kein Prokrastinieren, keine Ideenlosigkeit, kein Ideenklau und kein tagelanges Feilen am ersten Satz. Im Interesse aller Autoren, Blogger, Journalisten, Studenten, Texter und sonstiger Schreiberlinge! Wer weiß, wie viele gute Romane uns schon durch die Lappen gegangen sind, weil so ein mieser kleiner Schreibblockadenwicht sich im Kopf des potenziellen Autors eingenistet hatte. Damit soll jetzt Schluss sein. Ich will, dass alle Menschen ihr kreatives Potenzial voll entfalten können. Nicht, dass ich alles lesen will, was dabei heraus kommt… Aber es geht, wie so oft, ums Prinzip.

Ich wünsche mir außerdem mehr Katzenliteratur. Literatur über und von Katzen! Eine Katze für jeden Verlag. Einen Katzenkalender für jeden Verlag. Und dass YouTube wieder ausschließlich für seinen ursprünglichen Zweck verwendet wird: Katzenvideos. Ich bin außerdem für mehr Katzen in Führungspositionen!

Abgesehen davon, was soll man dieser Branche wünschen? Ich mache mir keine Sorgen um das Buch und seine Zukunft im digitalen Zeitalter. Das wäre ungefähr so, wie wenn man sich um die Zukunft der Erde sorgt. Dabei ist es der doch schnurzpiepegal, ob wir uns das Klima hier versauen. Sicher, man hat sich in den ersten Jahren etwas schwer getan mit der Digitalisierung und dem ganzen E-Book-Thema. Aber ist das nicht immer so, wenn ein neues Mitglied in die Familie kommt? Man muss sich halt erst daran gewöhnen, dass man die Aufmerksamkeit der Eltern nun teilen muss. Neuland will eben erst erkundet werden, bevor man sich dort ansiedelt. [Anmerkung der Autorin: Dieser Absatz wurde mit so wenig Sarkasmus wie möglich formuliert.]

Fot Lena AugustinVielleicht sollte ich meinen Wunsch, gemäß meiner Rolle als Fast-Absolventin, auch lieber dem Nachwuchs widmen? Aber ach, das Thema ist irgendwie auch schon durch und man verfällt viel zu leicht entweder in wütende Raserei oder in gequältes Jammern. Und das passt doch irgendwie nicht zu Weihnachten. Fassen wir also zusammen: Wenn sich nichts ändert, dann heißt es bald „Ich wollte mal was mit Büchern machen“.

Apropos, vielleicht sollte ich was mit Büchern und Internet machen. Was könnte man…? Ich hab’s, ich verkaufe Bücher über das Internet. Die Leute wählen sie online aus und ich schicke sie ihnen dann direkt nach Hause. Bis morgen. Ohne Lieferkosten. Und das Ganze braucht noch einen Namen, einen guten, starken Namen, der die Größe dieser Idee ausdrückt. Vielleicht benenne ich es nach einem riesigen Fluss. Vielleicht was mit A…

Da ich eh kein großer Weihnachtsfan bin und Wünsche doch auch immer irgendwie etwas Passives haben, wünsche ich der Branche lieber keine Wünsche mehr zu haben, sondern mehr Ideen. Ideen, bei denen der Kunde, nennen wir ihn Leser, im Fokus steht und nicht (oder nur indirekt) die Rettung eines Formats, einer Tradition oder eines antiquierten Geschäftsmodells.

Lena Augustin, Masterandin an der HTWK Leipzig, hat gerade ihre Arbeit zu „Markenführung in Buchverlagen“ abgegeben und ist deshalb außergewöhnlich gut gelaunt. Das könnte auch so bleiben, wenn sie bald eine spannende Aufgabe in einem Verlag findet. Außerdem steht sie total auf ihren Job als Schatzmeisterin im Vorstand der Jungen Verlagsmenschen, weil sie auf einmal viel mehr analoge Post bekommt. Bücher gehen digital. Briefe auch, aber nur doof.  XingTwitter

Wenn du beim Weihnachtsmann/Christkind einen Wunsch bezüglich der Buchbranche hättest, wie würde der lauten? [Adventskalender]

Mein Mann und ich sind Büchermenschen. Mein Mann als Lesender und Schreibender, ich als Leserin und Buchhändlerin. So eine Übereinstimmung ist wahrscheinlich eine gute Voraussetzung für jede Ehe.

Was für ein wundervolles Produkt ist das Buch! Welch ein Vergnügen, ein schönes Exemplar in Händen zu halten: dieser Geruch, die Gestaltung, das Papier. Da spiegelt sich Zeitgeist. Ebenso wie sich in der Vielfalt der Bücherwelt die Vielfalt unserer Gesellschaft spiegelt. Die Buchbranche ist immer in Bewegung: Messen, Lesefeste, Preisverleihungen, Buchvorstellungen. Laufend gibt es interessante Neuerscheinungen, tagtäglich ist das Buch in der Presse vertreten, es wird besprochen, diskutiert. Bücher befördern Werte, die bleiben, behüten zeitlose Figuren, wie Pippi Langstrumpf, frech und farbig. Wir Leser sehnen uns nach Neuem, aber auch nach Beständigkeit.

Mein Mann und ich gehen in jede unabhängige Buchhandlung: da gibt es eine ganz eigene Buchauswahl, da werden ganz persönliche Buchempfehlungen kommuniziert. Hier in der Buchhandlung ist man Mensch, hier bleibt Persönliches im Haus. Hier werden keine Profile von Kunden angelegt, hier landen keine Drohnen und hier werden die Steuern in Deutschland bezahlt.

Mein Mann und ich sind überzeugte Anhänger des gedruckten Buches. Doch unterschiedliche Lebensweisen verlangen nach unterschiedlichen Formaten, et voilà: Bücher gibt nicht mehr nur gedruckt oder vorgelesen, sondern auch elektronisch.

Mein Mann und ich reden darüber, welches Glück es ist, in einem Land zu leben, in dem Demokratie und Meinungsfreiheit herrschen und Weltwissen für jeden jederzeit zugänglich ist. Das Buchangebot – ob neu oder antiquarisch – ist bestens erschlossen.

Haben wir mit unseren Kunden schon einmal über all das geredet? Klappern gehört zum Handwerk sagt eine Binsenweisheit. Binsenweisheit besteht aus Binsen und Weisheit, sie muss es also wissen. Ebenso beinhaltet das Wort Buchhandel nicht nur das Buch, sondern auch den Handel – vielleicht geht ja da noch was?

πάντα ῥεῖ – alles fließt: mein Mann und ich wünschen uns vom Weihnachtsmann für die Buchbranche weiterhin viel Begeisterung und Innovationskraft und für den Buchhandel ein lächelndes Gesicht und viele zündende Ideen, damit der Funke überspringt.

Dagmar Mück, Buchhändlerin, von Franken nach Berlin gezogen und auf der Suche nach neuen Aufgaben. [Mail]

Im Detail [Adventskalender]

„Vielen Dank für Ihre Bewerbung! Leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass wir nur Bewerber in Betracht ziehen konnten, die im Detail unseren Anforderungen entsprachen.“ I-M D-E-T-A-I-L? Aha. Ich bin Anfang 30, ausgebildeter Verlagskaufmann und habe vor etwas über zwei Jahren zudem einen (fast sehr) guten Abschluss in Buchwissenschaft erlangt. Während des Studiums habe ich fünf Jahre in einem kleinen, auf eine bestimmte Art von Sachbüchern spezialisierten Verlag gearbeitet und bin danach durch eine Initiativbewerbung bei einem ebensolchen Konkurrenzverlag gelandet. Eine schöne Sache, nach dem Studium durch die gesammelte Berufserfahrung übergangslos einen festen und unbefristeten Job zu bekommen. Und das in der bevorzugten Region. Perfekt! Das war es, jetzt ist es das nicht mehr. Ich und die Menschen dort passen nicht so gut zusammen wie erhofft. Und ich würde mich gern weiterentwickeln, mehr Aspekte der Buchbranche kennenlernen. ABER: Ich habe das Gefühl, dass ich aus meiner Sachbuchecke nicht rauskomme. Bewerbungen als Sachbuchlektor/Produktmanager in thematisch anders orientierten Sachbuchverlagen, als Texter, Redakteur, Assistent der Geschäftsführung, auch für Stellen in Werbung, Marketing und PR … Bis jetzt nichts. Am Anfang ein paar Gespräche, bei einem Job die Nummer 2 auf der Liste. Aber es ist eben so, dass immer nur die Nummer 1 ein Angebot bekommt. Liegt es an mir? Bewerbungsunterlagen von Fachleuten gecheckt, Anforderungen in den Anzeigen meist zu 70–90 % erfüllt (Soll man es nicht sogar schon bei 60 % versuchen?), sehr gut ausgebildet (s.o.), vielfältige Erfahrungen (auch im Ausland), zwei Fremdsprachen (z.Zt. Auffrischung), E-Book-Erfahrung … der ganze aktuell zu leistende – Pardon! – Scheiß, um ein guter Bewerber zu sein. Andererseits: Örtlich nicht mehr so flexibel. Wohnung, Frau mit eigenem Job, Familienplanung. Da mag ich nicht mehr groß durch Deutschland ziehen. Mein Fehler? Bin ich zu teuer? Mein derzeitiges Gehalt ist noch das des Einstiegs von vor zwei Jahren. Okay zu Beginn. Mit der gewonnenen Erfahrung würde ich mich gern steigern. Ich muss Miete in einer Großstadt zahlen, und apropos Familienplanung… Oder ist es nach zwei Jahren schon Zeit für eine Weiterbildung, ein Abendstudium, einen zusätzlichen Master. Ja, prinzipiell gern. Aber die Kosten bei dem Gehalt? Jaja, und ich weiß: Die Verlage kriegen sooo viele Bewerbungen. Der Markt ist klein und die Buchmenschen werden immer mehr (auch ein Fluch der Studiengänge?). Und dann sieht man auch noch im Börsenblatt, wer den Job letztendlich bekommen hat. Ein Social Media-Mensch wird Sachbuchlektor? Aha. Das Gute ist: Ich hatte mehrere Vorstellungsgespräche in einer anderen Branche aufgrund des Themas meiner Sachbücher. Und gestern kam ein neues Angebot hinzu. Das könnte passen. Dann glaube ich, dass ich Dich verlasse, liebe Buchbranche. Auch wenn es weh tut. Und wenn es nicht klappt: Ich bin immerhin Buchmensch und verlasse mich auf Ratgeberliteratur: Selfbranding, Guerilla-Bewerbungen … sowas. Ansonsten bleibt mir noch die New Age-Philosophie: Ich bestell den Job beim Universum und irgendwann wird er zu mir kommen. Mein Wunsch an die Buchbranche? Versuch mich zu halten! Aber wenn nicht, dann eben nicht.

Der Autor möchte seinen Namen hier nicht lesen, ist Dennis und Hanna aber bekannt.

Weniger Schafe, mehr Liebe! [Adventskalender]

Wir danken Andy Artmann für seinen Adventskalender-Beitrag zum Internationalen Tag der Menschenrechte:

Hinter dieser Adventskalendertür finden sich Menschen: 2013 durfte ich so viele tolle Menschen treffen und sprechen. Uli Lang, ein leider schon verstorbener Kollege aus einer Stadt, deren Namen wir Kölner nicht aussprechen (D’dorf), sagte mir einmal: „Denk an die Demut“.

Demut? Mein Dankeschön dieses Jahr richtet sich an all die Kollegen, die es deutlich schlechter haben als wir. NSA hin, Verfassungsschutz her. Wir haben Arbeitsverdichtung. In vielen Ländern der Welt gibt es Arbeitsvernichtung. In einigen Staaten geht es sogar ums pure Überleben: Reporter ohne Grenzen e. V. zählt dieses Jahr 57 getötete JournalistenInnen und 34 getötete BloggerInnen. Über 350 KollegenInnen sind während ihr diese Zeilen lest im Gefängnis. Bei Pen lese ich, dass eine 50jährige Dichterin in Haft ist. Eine Dichterin im chinesischen Kerker? Hallo? Liu Xia wird immer wieder inhaftiert und steht unter Hausarrest aus Liebe zu Ihrem Mann und mein Kollege Andreas Lorenz berichtet aus Peking darüber.
Wer helfen möchte kann einfach Liu Xia auf Twitter folgen und damit ein kleines Zeichen setzen.

Screenshot der iPad-App Reporter ohne Grenzen von TDSoftware GmbHDemut? Die überkommt mich, wenn ich an den älteren Rollstuhlfahrer denke, der zu einer aus China stammenden Mitarbeiterin der Frankfurt Bookfair sagte: „Die einzige Veranstaltung für Informationsfreiheit auf der Buchmesse und es sind weniger Menschen da als bei Shaun das Schaf.“ So grausam kann die Wahrheit sein. Denn gerade präsentierte Art Director Gaudenz Bock und die weiteren Sponsoren, TDSoftware und die MarkStein Software, die Kiosk-App von Reporter ohne Grenzen. Gaudenz Bock gestaltete wochenlang auf eigene Kosten den digitalen Bildband „Fotos für die Informationsfreiheit 2013„. Der Reinerlös der Fotobuch-App fließt an die Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen. Die Fotoserien und Texte, zum Beispiel aus der verborgenen Welt saudi-arabischer Frauen, sind sensationell.

Mein demütiger Weihnachtswunsch wäre, dass sich möglichst viele KollegenInnen die App runter laden und diese weiterempfehlen. Mein Weihnachtswunsch wäre, dass niemand Furcht um sein Leben und seine Gesundheit mehr haben muss – nur weil er eine Meinung hat. Mein Weihnachtswunsch wäre, dass Frau Liu Xia ihren Mann bald in Liebe umarmen kann.

Ohne jede Demut – voller Wut, wünsche ich mir – weniger „Schafe“ und mehr Liebe und Gerechtigkeit.

Andreas "Andy" Artmann. (c) privat.Andreas (Andy) Artmann ist Art Director, Dozent, Publizist, Begleiter des digitalen Wandels bei diversen großen Verlagen, engagiert sich für Pressefreiheit, Menschenrechte und eBooks. Facebook, Xing, Twitter.

Magische Orte, magische Geschichten [Adventskalender]

Liebes Buchbranchenchristkind!

Auch wenn ich in diesem Jahr nicht immer brav zu Dir war und manchmal sogar recht garstig über Dich geredet habe, möchte ich dennoch den einen oder anderen Wunsch loswerden.
Rienksz-boekwinkelDu hast eine lange Tradition im Finden und Verkaufen von Geschichten. Und dann kommt auf einmal dieses böse digitale Dingsda und statt Dich auf Deine Wurzeln zu besinnen und mit diesen Werten in eine neue Zeit zu marschieren, verbarrikadierst Du Dich hinter Bergen von Papier. Egal wie digital die neue Welt da draußen erscheint: Sie ist immer noch aus Menschen gemacht, die gute Geschichten lieben!

Ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass Du und die Buchbranche mehr zu passionierten Geschichtenerzählern in eigener Sache werden und ihr euch dem Erzählkosmos öffnet, der nur darauf wartet, erforscht und mit neuen Geschichten besiedelt zu werden. Du bist auch nicht mehr ganz allein da draußen. Unzählige begeisterte Leser und mutige Geschichtenerzähler haben Dir und der Buchbranche bereits den Weg in die Zukunft der Geschichten bereitet und warten nur darauf, dass ihr die Einladung annehmt. Ich bin mir sicher, dass ihr euch eine Menge zu erzählen haben werdet. Ihr solltet unbedingt reden!
Barefoot Books, Concord MALiebes Buchbranchenchristkind. Ich mache mir allerdings große Sorgen um den stationären Buchhandel. Ich will ja nicht gleich die drei Geister der Weihnacht auf den Plan rufen, aber Durchhalteparolen und Lippenbekenntnisse werden den Handel nicht retten. Ich wünsche mir, dass Buchhandlungen auch in Zukunft die magischen Orte sind, an denen ich Geschichten aufstöbern kann. Ganz gleich, ob ich sie als eBook oder hochwertigen Einband lesen werde.

Amos (Alexander Maximilian Otto Serrano) erzählt mit soma-labs Geschichten, konzipiert transmediale Kampagnen und liebt gute Bücher. Facebook, Xing

Lasst uns an den Gegnern wachsen! [Adventskalender]

In der Zeit, die ich nun in der Buchbranche arbeite, war (und ist) ein Thema kaum zu übersehen. Ich bin nun kein Fan von Amazon, ich schwanke zwischen Unmut gegen eine große, unüberwindbare Marktmacht, die Preise diktieren kann und Arbeitsbedingungen schafft, in denen ich nicht arbeiten könnte. Wollte. Für die andere aber wohl dankbar sind. Auf der anderen Seite sind Bewunderung und Neugier durchaus auch dabei. Amazon ist ein Phänomen, gewachsen, ohne Gewinne, zielstrebig, kundenorientiert, innovativ. Amerikanisch. Ich bin ehrlich gespannt, was sich Amazon als nächstes ausdenkt.

Ich sehe die Schwierigkeit darin, einen so übermächtigen Gegner zu haben wie Amazon. Ich finde es aber schade, wenn so viel Zeit darauf verloren geht, sich mit diesem Gegner zu messen, zu vergleichen, zu jammern, manchmal ziemlich selbstgerecht, wie unfair doch alles ist, wie böse Amazon.

digitaliseren

Wenn Dennis mich also fragt, was ich mir wünsche bezüglich der Buchbranche, wäre es Folgendes:

Ich wünsche mir, dass die Buchbranche einen Weg findet, an Gegnern wie Amazon zu wachsen, sich inspirieren zu lassen, zu agieren statt zu reagieren. Ich wünsche mir, dass die Buchbranche ihren großen Vorteil nutzt, nämlich dass sie, im Verhältnis gesehen, klein ist und sehr eng verbunden mit ihrem Produkt. Eine Branche, in der jeder jeden kennt, real oder virtuell, in der das fast keine Rolle spielt, weil man sich vernetzt, sich auf Branchenevents sieht oder sich im Nachhinein austauscht. Und eine Branche, in der so viele Ideen sprudeln. Projekte wie LOG.OS, sobooks, NextBookStop, flipintu – und das sind jetzt nur die, die mir auf Anhieb einfallen – und besondere Buchhandlungen wie die Münchner glatteis Krimibuchhandlung, Isarflimmern oder ocelot in Berlin, das ich nur aus dem Web kenne, aber zu dem ich unbedingt mal hin will. Das Buch hat Zukunft, ob gedruckt oder digital oder Enhanced oder als App, E-Book oder im Browser, ich bin fest davon überzeugt.

wsm3-kleinIch wünsche mir aber auch, dass in dieser Branche Raum ist für großartige Mitarbeiter, die kommen und leider manchmal schon wieder gegangen sind, mit einer Bücherleidenschaft und mit Ideen, mit einem Gefühl für Digitales, Soziales, Mobiles. Ich wollte zuerst „Nachwuchs“ schreiben, weil ich mich noch dazu zähle und er mir wichtig ist, besonders, weil es in der Buchbranche nicht gerade leicht ist, Fuß zu fassen. Im Grunde meine ich aber nicht unbedingt jungen Nachwuchs, sondern alle, die in dieser Branche arbeiten wollen. Ich wünsche mir, dass Raum da ist, sich entfalten zu können und kreativ zu sein, denn ich bin überzeugt, dass das der beste Nährboden ist, um Ideen wie die obigen zu generieren.

Ob das naiv ist? Vielleicht. Wahrscheinlich. Wie so viele Wünsche. Trotzdem bin ich im Herzen eine Optimistin, und das gerne.

Sarah Söhlemann vermarktet Seminare zu Digitalthemen und begeistert sich privat wie beruflich für alles, was mit (E-)Publishing und Social Media zu tun hat. Bücher liest sie geliehen und gekauft, print und digital, Magazine und Zeitschriften dagegen lieber digital und gerne als App statt im Browser. Twitter, Xing