Prototypen, Partys, M@rtha

Ein Insiderbericht von protoTYPE

Als Bayer freut man sich, in einer Bar rauchen zu dürfen, selbst wenn dort kein Bier sondern Beck's ausgeschenkt wird.

Die Messe ist vorbei. Und damit auch der Auftakt von protoTYPE. Insgesamt ist das keine schlechte Nachricht, denn nach 4 Messetagen, davon zwei für protoTYPE reservierten, sind die mentalen (und auch die körperlichen) Reserven erschöpft. Dass die beim Projekt präsenten Leute an mehreren Tagen ihre Feierkraft unter Beweis stellen musste, trägt sein Übriges bei. Work hard – party hard.

protoTYPE wurde nach Meinung der meisten Beteiligten (mir inclusive) ein voller Erfolg, die beiden Tage haben viel Spaß gemacht, man hat diverse interessante Leute kennen gelernt und wir haben ziemlich produktiv gearbeitet.

Am Anfang stand eine allgemeine, etwas konfuse Ideenfindung. Über die gefühlt 20 Ideen wurde „mit den Füßen abgestimmt“: Jeder „Ideenhoster“ musste mindestens zwei weitere Teilnehmer von seiner Idee überzeugen.

Danach bildeten wir Arbeitsgruppen, die die Ideen diskutierten und zu ersten groben Konzepten erweiterten. Die Selektion fand dann in einer „Elevator Pitch„-Stufe statt: Ziel war, in knapp bemessener Zeit (ich glaube 5 Minuten) den Rest vom eigenen Konzept zu überzeugen. „Gepitched“ wurde letztlich, indem jeder Teilnehmer fünf Punkte verteilen durfte. Ganz analog übrigens, mit Klebepunkten auf einem Flip-Chart.

Ich hatte mich zu diesem Zeitpunkt schon einer Gruppe angeschlossen, die sich mit einem zentralisierten Support-System für digitale Inhalte befasste. Der Name „M@rtha“ für das Projekt kam erst am zweiten Tag zu Stande – an dem sich jeder Teilnehmer einem Projekt zuordnen musste. Die (mehr oder minder) finalen Gruppen erarbeiteten dann ein feineres Konzept, überlegten sich Milestones (die zumindest bei uns mit den kommenden protoTYPE-Veranstaltungen etwa beim Buchcamp terminiert wurden) und verteilten Arbeit.

In meinem Team befinden sich Nicolai Eckerlein, der Projektsprecher (und ursprüngliche Hoster), Ariane Hesse, Steffen Meier, Luise Schitteck und Carina Waldmann. Zur Beratung stehen uns Katja Splichal und Michael Schneider zur Verfügung.

Ich bin sehr auf den Ausgang dieses Projekts gespannt, ebenso wie auf die kommenden Veranstaltungen. Wie eingangs erwähnt hat es neben vielen neuen (und vertieften) Kontakten auch eine Menge Spaß gebracht.

Und jetzt steht die Erholungszeit nach der Messe an. Also fast, wären da nicht noch vier andere Projekte.

Update: Eine Übersicht über die anderen projekte findet sich beim Börsenblatt.

Lautes Lesen + Leises Lesen = Interaktives Lesen?

Interaktives Lesen ist als Entwicklung gar nicht ganz neu, sondern war bis zum Mittelalter Usus – eine interessante Herangehensweise in einem Zeit-Artikel über Social Reading.

Leises Rezipieren war bis 400 nach Christus weitgehend unbekannt. Noch Augustinus wunderte sich über einen stumm lesenden Zeitgenossen. Die großen Bibliotheken der Antike, schreibt Alberto Manguel in Eine Geschichte des Lesens, könnten durchaus geräuschvolle Orte gewesen sein, erfüllt vom Gemurmel der sich selbst vorlesenden Gelehrten.

Was leider nicht erwähnt wird, ist der Aspekt, dass sich das laute Lesen vor allem aus einem Zwang heraus ergeben hat: Frühe Texte hatten keine Wortabstände, so dass das laute Lesen essentiell war, um den Text zu verstehen. Heute ist es laut der Autorin eher das Bemühen der Produzenten, sich von der Konkurrenz abzusetzen, das für interaktive Elemente beim Lesen sorgt:

Ein E-Book, mit dem man nichts anstellen kann außer es zu lesen, ist ein langweiliges E-Book.

Vom Rest des Artikels, in dem über die Datenschutzdimensionen des „gläsernen Lesers“ spekuliert wird, bin ich nicht überzeugt. Natürlich ist der Datenschutz ein Punkt, der hier äußerst wichtig ist, aber im Moment steckt Social Reading noch in den Kinderschuhen und die weitere Entwicklung ist mehr als ungewiss. Also zu früh, um bereits jetzt die Negativpunkte zu betonen, wenn man noch gar nicht weiß, ob sie kommen werden. Interessant finde ich eher den Punkt, ob sich Social Reading auf breiter Basis ausbreiten oder ein nettes Spielzeug der netzaffinen Spezies bleiben wird.

 

Piraten auf der LBM 2012

Immerhin zwei Veranstaltungen habe ich nun an den beiden nicht protoTYPE verpflichteten Messetagen gesehen, an denen Piraten partizipierten: Gestern sprach Wätzold Plaum über sein Buch „Die Wiki-Revolution“ (Rotbuch). Vor Veranstaltungsbeginn klärte eine blonde Dame neben mir ihren Begleiter auf, dass die FDP nun im Ab-, die Piraten im Aufstieg und ihr recht sympathisch wären. Und dann berichtete sie noch von ihrem Dienst als Wahlhelfer, wo sie meinte, die Zahlen gingen schon auf, wenn man den einen oder anderen Zettel verschwinden ließe. Das klang erschreckend ernstgemeint. Vielleicht endete die Leipziger Wahlfälschung doch nicht 1989 …

Wätzold Plaum erläuterte dann zunächst, dass dieses Buchprojekt deutlich vor dem Erfolg der Piraten in Bundesumfragen und in Berlin geplant wurde. Das war „damals“ anscheinend gar nicht so leicht, das Thema Piraten wurde von Verlagen eher distanziert betrachtet. Das erklärt auch den heutigen Mangel an Literatur zu dieser Partei.

In „Die Wiki-Revolution“ geht es kurz gesagt um die Probleme unserer Gesellschaft, einen alternativen Zielentwurf und die Frage, welche (technischen, strukturellen) Instrumente helfen können, diese zu verwirklichen. Ein relevanter Faktor vieler größerer gesellschaftlicher Krisen sind laut Plaum Schuldenkrisen – wie unsere aktuelle oder die vor der Französischen Revolution. Und: Diese Krisen können zu (positiven wie negativen) sozialen Entwicklungen führen. Ich werde mir das Buch bei Zeit und Gelegenheit mal zu Gemüte führen, es klingt nach einer anregenden Lektüre.

Heute diskutierte dann Enno Lenze über ACTA:

Der Börsenverein des deutschen Buchhandels hatte eingeladen und Dr. Torsten Casimir, der Chefredakteur des Börsenblattes, moderierte die Runde. Neben mir, als Vertreter der Piratenpartei, saßen Heike Rost (freie Journalistin und Fotografin) sowie Dietrich zu Klampen (Verleger) auf der – zugegebenermaßen recht niedrigen – Bühne. (ELs Blog)

Die Diskussion drehte sich leider nur am Anfang um ACTA und sagte auch nicht viel zur Panik, dafür wurden diverse der klassischen Reibungspunkte zwischen Piraten und Verwertern abgearbeitet – vor allem natürlich die Gestaltung des Urheberrechts. Lenze taugt als Vermittler hier ganz gut, denn er ist sowohl Pirat als auch Verleger und als solcher zudem Mitglied im Börsenverein. Die Diskussion wurde dann auch keineswegs hitzig, schlechte Diskussionskultur, Trolle und Shitstorms wurden aber thematisiert:

Zwischendurch gab es noch einen kleinen Exkurs zum Umgang mit Shitstorms, und direkt im Anschluss an die Podiumsdiskussion wurde ich von zwei Unternehmen gefragt, ob ich bei ihnen nicht mal etwas über den Umgang mit neuen Medien erzählen könne. Mache ich gerne, wir sind nunmal die #1 im Umgang mit Trollen und Internet 🙂

Dürer in Stuttgart?! Über fehlleitende Werbeslogans …

Vor ein paar Tagen ist mir eine Plakatwerbung an einer Stuttgarter Stadtbahn-Haltestelle ins Auge gestochen: „Dürer findet Stadt“. Gemeint war damit nicht Stuttgart, wie ich zuerst irritiert angenommen hatte, sondern Nürnberg. Dort läuft die Ausstellung „Der frühe Dürer“ im Germanischen Nationalmuseum.

Nürnberg-Stuttgart?!

Mal abgesehen von der Frage, warum man in Stuttgart eine Nürnberger Ausstellung großflächig bewirbt (falls hier reger Austausch oder Fremdenverkehr stattfindet, habe ich bis dato nichts davon bemerkt), bin ich nach wie vor ratlos über den Werbeslogan des Plakats. Warum hängt man einen derart stadtbezogenen Slogan in anderen Städten als Nürnberg auf? Oder verstehe ich den Slogan einfach gar nicht?

Künstliche Werbung

Was man dem Slogan lassen muss: Er hat meine Aufmerksamkeit erregt. Aber ich habe so gar kein Verständnis für unverständliche Werbung. Deswegen werde ich auch aus Protest nicht hingehen. Gerade Werbung sollte meine Erachtens schnell und unkompliziert zu verstehen sein. Auch die zweite Bedeutung (falls man „statt“ anstelle von „Stadt“ liest), ist zwar aus germanistischer Sicht eine wirklich nette Zugabe, aber kommt nicht an. Viel zu verkünstelt.

Komplette Fehl-Interpretation meinerseits?

Nach wie vor die zentrale Frage: Verstehe ich die Grundaussage nicht? Oder haben da ganz viele Leute vor lauter Bäumen keinen Wald mehr gesehen? Aufklärung erbeten!

Überteuerte Spiele, Verlage als Dienstleister und das Ende einer Legende

Ein paar kurze Linktipps vor der Messe:

  • Konsolenspiele sind zu teuer – frei übersetzt: „Das Modell, 60$ für 40 Stunden Spielspaß auszugeben, ist Vergangenheit.“ Das sollten auch andere Medienbranchen bedenken. (via Slashdot)
  • Leander schreibt über die Probleme, die Autoren mit ihren Verlagen haben – und dass sich viele daher von ihren Verlagen trennen. Und natürlich weist er auf das Autorencamp am Wochenende hin, wo es um Verlage als Dienstleister, neue Modelle für Autoren und vermutlich noch viel mehr gehen wird. Mein Bedauern, nicht da zu sein, habe ich ja schon bekundet.
  • Die Encyclopedia Britannica geht zu Ende. Jedenfalls die gedruckte. Ein Grund ist die Wikipedia: „[I]n recent years, print reference books have been almost completely overtaken by the Internet and its vast spread of resources, including specialized Web sites and the hugely popular — and free — online encyclopedia Wikipedia.“ Ich denke, das letzte Mal zu einer gedruckten allgemeinen Enzyklopädie gegriffen, um wirklich etwas nachzuschlagen, habe ich zu Mittelstufenzeiten.
  • Twitter durch die User finanzieren, die die meisten Follower haben? Darüber denkt man bei den Sozialtheoristen nach.

Wie jedes jahr ruft Leipzig

Allzu viel Programm der Leipziger Messe habe ich noch nicht gewälzt, aufgefallen ist mir bislang eigentlich nur eine Veranstaltung:

Podiumsdiskussion „ACTA-Panik in Europa – berechtigt oder übertrieben?“

Wofür steht ACTA und welche Auswirkungen ergeben sich für das deutsche Urheberrecht? Kann das Urheberrecht im digitalen Zeitalter des Internets überhaupt noch adäquat geschützt werden? Um diese und weitere Fragen geht es bei der Podiumsdiskussion „ACTA-Panik in Europa – berechtigt oder übertrieben?“ am Freitag, 16. März, um 14 Uhr. Gäste sind Enno Lenze (Piratenpartei), Dietrich zu Klampen (Verleger des zu Klampen! Verlag) und Heike Rost (Journalistin und Fotografin). Die Diskussion findet am Gemeinschaftsstand des Arbeitskreises kleinerer und unabhängiger Verlage (AKV) in Halle 4, Stand B 300 / B 400 statt und wird von Torsten Casimir, Chefredakteur des Börsenblatts, moderiert.

Da muss man hin, wenn sich der Börsenverein schon dazu durchringt, einen Piraten einzuladen. Ansonsten sind Donnerstag und Freitag erfreulich terminfrei, also kann ich etwa der Frage nachgehen, was im „Rollenspielbereich“ vor sich geht. (Donnerstagabend steht natürlich die Eröffnungsfeier an.)

Das Wochenende steht dann im Zeichen von protoTYPE, was mich wohl auch daran hindern wird, dem Autorencamp viel Aufmerksamkeit zu widmen. Außer natürlich, da ergibt sich Kooperationspotenzial.

Habt ihr dringende Veranstaltungsvorschläge? Oder den Bedarf nach einem Treffen?

Träge Institutionen, Zukunft für Nischenverlage?

Bei Leander Wattig findet sich ein interessantes Video des Buchreport:

Darin spricht Karl-Ludwig von Wendt über die Chancen des sich wandelnden Buch- und Medienmarkts. Von Wendt hat gerade das Beratungsunternehmen Briends mitgegründet – klingt nach einem spannenden Unternehmen.

Einige Erkenntnisse aus dem Interview:

  • Institutionen sind träge, und zwar umso träger, je größer sie sind. Amazon kann nur große Projekte verfolgen, und kleine, „wendige“ Unternehmen könnten hier mit Geschwindigkeit punkten.
  • Um eine starke „Contentmarke“ aufzubauen, müsste sich ein Verlag stärker spezialisieren – denn die heutigen Programme umfassen zu viel, als dass sich der Endkunde etwas unter dem Verlagsprogramm vorstellen kann.

Sofern diese Einschätzung richtig ist: Deutet das darauf hin, dass kleine, spezialisierte Content-Anbieter (kleine Verlage, aber z.B. auch kleinere Games-Schmieden, gecrowdfundete Filmprojekte etc.pp.) künftig besser auf Userbedürfnisse reagieren? Handelt es sich um eine Gegenbewegung zur Zentralisierung?

Social Media, Social Reading: Zwei Links zum Wochenende

  • Bei netzwertig lesen wir „Wie die Buchwelt und das Netz sich langsam kennenlernen“ von Alexander Vieß. Ein interessanter Artikel zu Social Reading-Modellen. Darum ging es auch auf  einer Veranstaltung bei der Cebit – und darum könnte es auch bei protoTYPE gehen. Auf das projekt bin ich schon sehr gespannt – morgen in einer Woche geht es los.
  • Eine launige Replik auf die auch hier von Hanna bebloggte „German Social Media Angst“ gibt es bei den Sozialtheoristen von Stefan Schulz. Die Quintessenz: „Umso mehr sich über konkrete Rezeption erfahren lässt, desto deutlicher wird: Kaum eine Annahme darüber, wie Medien wirken, lässt sich bestätigen.“

Ein schönes, noch stress- weil messefreies Wochenende allen Lesern!

Literaturhotels, Bücherorte: Viele, viele Möglichkeiten ….

Im Börsenblatt ist ein Artikel über Literaturhotels in Österreich und der Schweiz erschienen, einen Vorgänger-Artikel mit den deutschen Pendants gab es bereits. Ein an sich interessantes Konzept, das mich sofort an das der Bücherorte erinnert hat, über die ich mit Freunden seinerzeit in der Marginalglosse einen Artikel verfasst habe. So spannend allein das Konzept war, habe ich mich bezüglich der Umsetzung gefragt, inwieweit etwas Derartiges wirtschaftlich rentabel ist – auch der Spiegel stolpert in einem Artikel zu Literaturhotels über diese Frage.

Und doch sind das alles keine Argumente gegen die Konzepte – eher für bessere Vermarktung. Ähnlich wie bei den Bücherorten stößt man oft nur über entsprechende Artikel in der Branchenpresse oder Fachliteratur darauf (den Spiegel-Artikel behandle ich als Ausnahme). Gerade durch die steigende Verbreitung von Internet und digitalem Lesen wird das reale Buch-Event nicht nur für die Bibliophilen unter uns immer wichtiger. Literaturhotels können einzigartige Erlebnisse schaffen, ohne dabei aufdringlich oder marktschreierisch agieren zu müssen – aber wenigstens gehört sollten sie werden.

J. A. Konrath zu pornographischen Büchern

Der hier schon mehrfach zitierte Blogger und Autor Joe Konrath regt sich in seinem Blog darüber auf, dass Paypal und andere Unternehmen pornographische eBooks boykottieren:

It is not unfair if PayPal or Amazon doesn’t want to be associated with „Daddy’s BDSM Billy Goat Rape-A-Thon“ (which, incidentally, I would probably buy, as long as the goat wasn’t underage).

Though it isn’t censorship, and it isn’t unfair, I certainly do agree that it sucks. I’m not a fan of limiting choice. I dislike those who dictate morality. As a libertarian and a consumer, I should be able to get my smut where I want it, when I want it.

Und er schlägt auch gleich eine Lösung vor:

This isn’t a set-back for authors. This is an opportunity to corner a huge market. If online retailers can’t or won’t sell „Spank My Donkey, Mommy: A Barely Legal Tale of Non-Consent“ then artists need to stop complaining and figure out a way to sell it themselves.

There is an audience for this stuff. A big audience who is willing to pay. If the regular ebook outlets won’t take their money, find a way to get it on your own. Hint: see what the porn sites are doing and copy them.

Wie immer ein sehr launiger und lesenswerter Artikel – das Blog zu verfolgen lohnt sich!