Verlage werden unwichtig

Die jüngere Generation von Lesern erinnert sich schlechter an den Verlag des Buchs, das sie zuletzt gelesen hat, als die ältere – so die Ergebnisse einer Kurzstudie des Instituts für Kreativwirtschaft an der HdM Stuttgart. Unzeitgemäßer Markenaufbau oder Folge eines komplett neuen Leseverhaltens?

Wichtigste Ergebnisse

© Institut für Kreativwirtschaft
© Institut für Kreativwirtschaft

Über 90 Prozent der Teilnehmer können sich an das zuletzt gelesene Buch erinnern, aber nur etwa ein Drittel an den Verlag des Buchs. Interessant wird das Ergebnis vor allem dann, wenn man einen Blick auf die Altersstruktur der Teilnehmer wirft. Am besten kennen die 30- bis 60-Jährigen den Verlag ihres zuletzt gelesenen Buchs und von diesen vor allem die Personen mit Hochschulabschluss. Im Fazit resümieren die Autoren:

Es ist zu erkennen, dass die Personengruppe, die sich nicht mehr an den Verlag erinnert, überwiegend aus der Altersklasse 17 bis 29 Jahre stammt und über einen hohen Schulabschluss (Abitur/Fachhochschulreife) verfügt. Dies ist besonders markant, da sich diese Zielgruppe am intensivsten mit neuen Medien auseinandersetzt, in denen Verlage aktuell versuchen ihre Marke zu platzieren.

Geändertes Leseverhalten

Content scheint wirklich King zu sein: Die jüngere Generation orientiert sich augenscheinlich vermehrt am Inhalt des Buchs – denn an dieses können sie sich in den meisten Fällen noch erinnern – und weniger am Verlag. Es scheint, als habe die repräsentative Funktion des Buchs ausgedient, weil es in der digitalen oder elektronischen Bibliothek anders als im Bücherregal wenig auffällt, von welchem Verlag welches Buch kommt.

Und es ist verständlich: Der große Belletristikverlag, der verschiedenste Genres wie Krimi, Thriller, Frauenroman, historischer Roman und Fantasyepos verlegt, ist per se kein Qualitätsprädikat – hat er doch viel zu viele Titel im Angebot, als dass diese alle den Geschmack eines Lesers treffen könnten. Anders ist es bei kleinen oder spezialisierten Verlagen und natürlich bei vielen Verlagen im Bereich Sach- und Fachliteratur.

Sind Marken überflüssig?

Die Autoren sprechen im Fazit bereits selbst die Alternative zu Marken an: Themenfelder oder Produktmarken. Und auch ich denke, dass dieser Fokus sinnvoll ist. Wie gesagt bietet eine entsprechend umfangreiche Marke keine Orientierung, und überhaupt sind der Autor des Buchs, die Serie oder die Geschichte, die erzählt wird, oft viel spannender als die Verlagsmarke an sich. Daher ist es wichtig, dafür zu sorgen, dass der Leser von einem Buch erfährt und von ihm begeistert wird – ob das durch eine interessante Leseprobe, eine Rezension in seinem Lieblingsblog oder durch ein Alternate Reality Game geschieht, ist egal. Wichtig ist einzig, dass das Buch beim Leser ankommt und ihm gefällt. Selbst wenn das heißt, dass jedes Buch seinen eigenen Vertriebsweg bekommt.

Lautes Lesen + Leises Lesen = Interaktives Lesen?

Interaktives Lesen ist als Entwicklung gar nicht ganz neu, sondern war bis zum Mittelalter Usus – eine interessante Herangehensweise in einem Zeit-Artikel über Social Reading.

Leises Rezipieren war bis 400 nach Christus weitgehend unbekannt. Noch Augustinus wunderte sich über einen stumm lesenden Zeitgenossen. Die großen Bibliotheken der Antike, schreibt Alberto Manguel in Eine Geschichte des Lesens, könnten durchaus geräuschvolle Orte gewesen sein, erfüllt vom Gemurmel der sich selbst vorlesenden Gelehrten.

Was leider nicht erwähnt wird, ist der Aspekt, dass sich das laute Lesen vor allem aus einem Zwang heraus ergeben hat: Frühe Texte hatten keine Wortabstände, so dass das laute Lesen essentiell war, um den Text zu verstehen. Heute ist es laut der Autorin eher das Bemühen der Produzenten, sich von der Konkurrenz abzusetzen, das für interaktive Elemente beim Lesen sorgt:

Ein E-Book, mit dem man nichts anstellen kann außer es zu lesen, ist ein langweiliges E-Book.

Vom Rest des Artikels, in dem über die Datenschutzdimensionen des „gläsernen Lesers“ spekuliert wird, bin ich nicht überzeugt. Natürlich ist der Datenschutz ein Punkt, der hier äußerst wichtig ist, aber im Moment steckt Social Reading noch in den Kinderschuhen und die weitere Entwicklung ist mehr als ungewiss. Also zu früh, um bereits jetzt die Negativpunkte zu betonen, wenn man noch gar nicht weiß, ob sie kommen werden. Interessant finde ich eher den Punkt, ob sich Social Reading auf breiter Basis ausbreiten oder ein nettes Spielzeug der netzaffinen Spezies bleiben wird.