Feigheit? Zur Pseudo- und Anonymität in Online-Diskussionen

Inspiriert durch Kathrin Huemer von Buchbranchenbande möchte ich hier unter Pseudonym geäußerten Kommentaren nachspüren. Unsere Facebook-Diskussion darüber bezog sich auf die Kommentare unter Artikeln auf boersenblatt.net.

Gründe für die Pseudonymität

  • Man ist nicht in der Position, um offen seine Meinung äußern zu können. Das ist zwar schade und meines Erachtens könnte man es oft trotzdem tun, aber wenn man privat eine andere Meinung vertritt als in seiner beruflichen Position, wird es wirklich schwierig.
  • Man möchte eine extreme Meinung kundtun und unter Umständen sogar beleidigend auftreten. Kathrin meinte dazu:

Ich glaube, dass Kritik in einem anderen Ton geäußert würde, würden die Leute ihren Namen drunter setzen müssen. So ist das häufig im Stil von „Ewignörgler und Besserwisser“.

Folgen für die Diskussion

  • Man zweifelt sich gegenseitig an. Die anonymen Kommentatoren sind viel mehr als die anderen damit beschäftigt, herauszustellen, dass auch sie überBranchen-/Fachkenntnis verfügen. Was ganz schnell vom Thema ablenkt und auf eine „persönliche“ Ebene geht.
  • Unsachlichkeit: Im Falle eines Artikels zum Suhrkamp-Urteil bemühen sich die Kommentatoren nicht einmal um Sachlichkeit, sondern benutzen ihre Pseudonyme, um in Ruhe spotten zu können. Das erinnert dann eher an einen digitalen Stammtisch als an eine ernsthafte Branchendiskussion.
  • Im schlimmsten Fall: Unfreiwillige Komik. Sprechende Namen sind an sich nichts Schlechtes, aber wenn sich PR-Tante und PR-Onkel streiten und sich auch noch der Opa dazugesellt, fragt man sich früher oder später, wo man da gelandet ist.

Fazit

By Eagleal (Own work) [GFDL (https://www.gnu.org/copyleft/fdl.html), CC-BY-SA-3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/) or FAL], via Wikimedia Commons
By Eagleal (Own work) [GFDL, CC-BY-SA-3.0 or FAL], via Wikimedia Commons
Meist ist es also für die Diskussion als solche destruktiv, dass Pseudonyme verwendet werden. Gelegentliches Lästern zum Spaß ist die eine Sache, aber eine andere Sache ist die, nicht den Mut zu haben, sich offen zu seiner Meinung zu bekennen. Das schwächt meist die Diskussion insgesamt, weil es ein Unterschied ist, ob man für eine Position viele reale Namen auf seiner Seite hat oder „nur“ Pseudonyme – unter letzteren kann jeder alles schreiben, was es oft schwierig macht, sie überhaupt ernst zu nehmen. Daher: Mut zur Meinung!

Die Gretchenfrage

Guter Content ist wichtig, darin sind sich alle einig. Die Gretchenfrage der Neuen Medien scheint vielmehr zu lauten: Was ist denn guter Content?

t3n hat sich dieser Frage gewidmet und kommt auf fünf Erkennungszeichen (grau hinterlegt):

  • Neutral verwendbarer Informationsgehalt

Jein. Wenn, dann muss er auch als neutraler Informationsgehalt seine Daseinsberechtigung haben, siehe nächster Punkt.

  • Nutzwert für die Zielgruppe

Wichtiger Punkt. Nutzwert muss kein Nutzen im eigentlichen Sinn sein, die Erzeugung von Spaß oder Sympathie ist auch okay, aber irgendwas davon muss es geben. Idealerweise wird beim Nutzer ein positives Gefühl erzeugt, diesen Content konsumiert zu haben.

  • Ausreichende Informationsmenge

Ja, unbedingt, ABER auf keinen Fall zu viel davon. Jedenfalls nicht dort, wo die Informationen nichts zu suchen haben. Auf Facebook möchte ich kurze und übersichtliche Posts lesen, Romane haben dort nichts verloren.

  • Glaubhafte Quellen

Oft schwierig heutzutage, aber nichtsdestotrotz etwas, worum man sich bemühen sollte, Stichwort Hoaxes.

  • Bequem aufbereitete Informationen

Vgl. Erkenntnis Nummer 3: Richtige Informationsmenge für richtiges Medium und bitte auf den Punkt gebracht. Die Aufmerksamkeitsspanne im Internet ist meist ziemlich eng und alles, was nicht frühzeitig überzeugt, wird gar nicht erst zu Ende gelesen.

Wofür welche Art von Content gut ist

Nach diesen Weisheiten gibt’s auch noch eine Infografik zu dem Thema, in der es um konkrete Content-Formen geht. Den meisten Aufwand für Erzeuger und Nutzer verursachen interaktive Games, am wenigsten Social Media.

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Quelle: https://t3n.de/news/marketing-content-king-450831/

 

Die Unternehmen sind die Bösen

Es gibt mal wieder eine Studie zur Social-Media-Nutzung in Deutschland, die erfreulicherweise auch interessante Ergebnisse präsentiert. Weitere Informationen und das PDF der Roland-Berger-Studie („German Social Media Consumer Report 2012/2013“) finden sich hier.

Erstes essentielles Ergebnis:

No matter what age, educational background, or income, and no matter where in Germany they live, everyone uses social media.

Das führt dann auch zu „Folgeerscheinungen“ wie der, dass Soziale Netzwerke das zweitwichtigste Kommunikationsmedium nach dem Telefon sind (vor E-Mail und SMS). Und prinzipiell ist Social Media sowieso in allen Lebensbereichen relevant, nicht nur bei der Kommunikation.

Große Ausnahme: das Berufsleben. Soziale Netzwerke und Dienste werden nur von 3 bis 7 Prozent der Nutzer für Arbeitszwecke verwendet. In vielen Unternehmen gibt es Restriktionen oder Verbote für Social Media.

Zweites essentielles Ergebnis:

Companies have not fully adapted to this change in society yet.

By User:Wykis [Public domain], via Wikimedia Commons
By User:Wykis [Public domain], via Wikimedia Commons
Das beinhaltet zum Beispiel die Tatsache, dass der Werbeetats anteilsmäßig überproportional für „klassische“ Werbeformen eingesetzt werden, obwohl Webseiten und soziale Netzwerke bereits 22 Prozent der Kaufentscheidungen beeinflussen. Eine starke Beeinflussung durch Social Media lässt sich feststellen, wenn eine der folgenden Komponenten zutrifft:

  • wichtige Entscheidung
  • sehr aktiver Social-Media-Nutzer
  • niedriges Einkommen (da Kaufentscheidungen hier allgemein stärker hinterfragt werden)

Diesselben Faktoren treffen auch auf die Beeinflussung von Markenbindungen („brand relationships“) durch Social Media zu. Besonders wichtig ist der Einfluss von Social Media bei Kaufentscheidungen im Online-Handel und in der Medienbranche, bei Markenbindungen zusätzlich im Unterhaltungselektronik- und Kommunikationsdienstleistungsmarkt.

So weit, so gut. Allerdings geben etwa 60 Prozent der deutschen Konsumenten an, keinen Nutzwert durch die Verlautbarungen der Unternehmen in Sozialen Netzwerken zu erhalten. 37 Prozent fühlen sich durch die Nachrichten von Unternehmen sogar gestört. Das heißt, dass es an vielen Stellen Nachholbedarf in Sachen B2C-Kommunikation gibt, da die Nutzer sich zwar prinzipiell durch Social Media beeinflussen lassen, aber genau das an vielen Stellen als nutzlos und störend empfinden.

 Weitere interessante Ergebnisse:

  • Der durchschnittliche Internetnutzer ist bei drei Sozialen Netzwerken registriert und kontrolliert diese in der Regel mehrmals am Tag.
  • Ost-West-Unterschiede gibt es keine, dafür Nord-Süd-Differenzen: Internetnutzer aus nördlichen Bundesländern sind aktiver als die aus südlichen, was aber nicht am Gegensatz städtisch – ländlich liegt. (Ob man das wie die Leserevolution im 18. Jahrhundert mit Konfessionsunterschieden erklären kann?)
  • Ein Fünftel der Zeit, die in Sozialen Netzwerken verbracht wird, stammt aus der Nutzung mobiler Endgeräte.

Fazit

Interessant finde ich, dass Social Media als Breitenphänomen bestätigt wird. Oft wird es als Zeitvertreib der eher Jungen abgewertet, aber tatsächlich hat Social Media in allen Altersklassen erheblichen Einfluss (zumindest bei denen, die das Internet nutzen). Wahrscheinlich ist es genau dieser Punkt, der viele Unternehmen bislang verführt hat zu glauben, das Social-Media-Engagement könne man sich ruhig sparen. Jetzt ist klar: Social Media ist kein Hype, und er wird nicht vorbeigehen, sondern sich im Gegenteil noch mehr ausbreiten und immer stärkeren Einfluss gewinnen. Jetzt liegt es an den Unternehmen, das Beste aus diesen Erkenntnisse zu machen: sich auf das neue Medium und die neue Art der Kommunikation wirklich einzulassen.

 

Wer mag, bezahlt

Das Blog techdirt.com berichtet in einem Artikel über seine eBook-Verkäufe. Die Bezahlung ist freiwillig, trotzdem bezahlt etwa die Hälfte der Nutzer durchschnittlich 4,95$. Hier gibt’s die zugehörige Infografik:

Freiwillig bezahlen

Das Modell ist sympathisch: Jeder zahlt, so viel er möchte, und wenn er nicht möchte, zahlt er eben nicht. Eigentlich ein Modell, das man ruhig öfter verwenden könnte. Natürlich besteht immer ein Risiko, keine oder viel zu wenig Bezahlung zu erhalten, aber wenn ein Projekt/ein Unternehmen/eine Marke genug etabliert ist, sehe ich kein Problem. Die meisten Leute haben in ihrem Wertesystem durchaus die Prämisse, dass Leistung Geld kostet. Und wenn sie eine gute (!) Leistung bekommen, zahlen sie gern dafür.

Verbindung aufbauen

Selbst wenn sie nur wenig Geld haben. Ich erinnere mich an ein Studententheater, das den Eintrittspreis freiwillig gehalten hat: Fast jeder hat nach der Aufführung – obwohl selbst Student und in vielen Fällen knapp bei Kasse – etwas beigesteuert. Möglicherweise macht man mit diesem System insgesamt weniger Umsatz als mit festgesetzten Standardpreisen. Dafür kann man aber mit Käufern rechnen, die diese Art des Bezahlsystems schätzen und dadurch eine Verbindung zum Unternehmen aufbauen. Und genau das ist es ja, worauf es heutzutage ankommt.

Und immer wieder Überraschungen …

Dank einem Facebook-Hinweis von Alexander Vieß bin ich über ein paar sehr interessante Präsentationen des Börsenvereins gestolpert, die eine ganze Menge neuer Zahlen präsentieren. Anlass der Veröffentlichung war ein Wirtschaftspressegespräch zum Thema „Aufbruch oder Umbruch? Der deutsche Buchmarkt und das E-Book“.

Zurückgegangene Titelproduktion

Im Tabellenkompendium gibt’s erstmal wenig Aufsehenerregendes: Der Anteil des stationären Buchhandels geht leicht zurück, dafür steigt der des Internets. Dito der steigende Umsatz mit Online-Diensten. Gestolpert bin ich dafür über den Rückgang der Titelproduktion: Von ungefähr 84.000 Titeln auf 82.000 – und das auf Kosten der Belletristik. Sehr spannend, auch wenn ich bisher noch keine belastbare Erklärung gefunden habe, warum das so ist.

Weniger Vorbehalte, breiteres Angebot

Die aktuellen Branchendaten zeigen im Groben nochmal dasselbe, nur ein wenig hübscher aufbereitet. Die E-Book-Studie bietet anfangs auch gefühlt wenig Neues: Die Zahl der E-Books und E-Book-Nutzer steigt, und es gibt sowohl auf Produzenten- als auch auf Nutzerseite weniger Vorbehalte. Infolgedessen diversifiziert sich das Angebot auch. Interessant ist die Statistik auf S. 14, nach der die mittleren und die kleineren Buchhandlungen in Sachen E-Book- und E-Reader-Angebot stark aufgeholt haben. Das heißt, dass es bedeutend mehr Angebot an E-Books und E-Readern in Buchhandlungen gibt.

Keine einfachen Abläufe

Hauptgründe gegen die Beteiligung am E-Geschäft sind übrigens zu geringe Nachfrage, zu geringe Gewinn- und Umsatzmargen und (!) zu kompliziertes Handling – insbesondere gegen den letzten Punkt sollte man etwas tun können, daran arbeitet u.a. auch das ProtoTYPE-Projekt M@rtha.

DRM wird weich

Ähnlich spannend ist die Entwicklung, dass im Vergleich zum letzten Jahr mehr Verlage weiches statt hartes DRM nutzen: 64 % weichem DRM (Vorjahr: 41 %) stehen nur noch 50 % hartes DRM (Vorjahr: 63 %) gegenüber (s. S. 24). Es gibt also auch einige Verlage, die verschiedene Arten an Schutzmaßnahmen praktizieren. Dass so viele Verlage ihre Sichtweise zum nutzerfreundlicheren weichen DRM gewandelt haben, erstaunt mich etwas. Eine mögliche Erklärung dieser Entwicklung ist zunehmende Kompetenz und mehr Verständnis für den E-Book-Markt und seine Bedürfnisse.

Der Schein trügt

Allein schon die Erwartungen der Abnehmer und Konsumenten, die Gier nach Spektakulärem, geboren aus einem wahnwitzigen Überangebot an Bildern […].

In einem Zeit-Artikel geht um manipulierende Pressefotografie – ein italienischer Fotograf fotografierte seine Kollegen beim Fotografieren in Krisengebieten und zeigte dabei deutlich die Manipulation vieler Fotos. Und legt dabei den Finger in die Wunde: Fotos zeigen das, was sie zeigen sollen – das kann jeder Hobby-Fotograf bestätigen. Trotzdem will jeder die Fotos, sobald sie einmal gemacht sind, sehen – auch das kann jeder Hobby-Fotograf bestätigen. Unser Wille, von allem, was es gibt, Bilder zu sehen, treibt kuriose und bisweilen gefährliche Blüten.

Überall Bilder

Spätestens seit der Verbreitung der Digitalkameras kann man nicht mehr die Augen verschließen – vor alkoholbedingten Entgleisungen von Freunden, vor zweifelhaften Körperpräsentationen oder vor Fotos, die eigentlich gar nichts zeigen. Ich bin selbst leidenschaftliche Amateur-Fotografin und fotografiere im Rahmen dieses Hobbies auch jede Menge Schrott. Aber ich lade diese Fotos nicht ins Internet und schicke jedem in meinem Bekanntenkreis den Link dazu. Jegliche Vorauswahl hat abgenommen – und ist damit das Gegenteil der oben beschriebenen, überkorrigierenden Auswahl, das aber um keinen Deut besser ist, wie man in einem Telepolis-Artikel sehen kann. Die Verbrechen, die in diesem Artikel beschrieben werden, stehen hier außer Frage. Mich interessiert das Phänomen, dass derartige Taten mit der Digicam festgehalten werden – das scheint leider ein ganz typisches Verhalten unserer Zeit widerzuspiegeln.

Ohne Bilder?

Dass es auch anders gehen kann und das nicht zwangsläufig ein Schaden ist, zeigt die Pilotstudie einiger größerer Unternehmen, von der Spiegel Online berichtet. Dort wurde einige Zeit mit anonymisierten Bewerbungen, also auch ohne Foto, gearbeitet. Schlechte Erfahrungen gab es keine. Trotzdem wollen nicht alle Unternehmen dieses Vorgehen in Zukunft umsetzen – zu groß ist wohl auch die Gewohnheit, sich von den Bewerbern per Foto ein Bild zu machen.

„Über-Bedeutung“ von Bildern

Mir scheint es, dass Bildern zu viel Bedeutung zugemessen wird. So wichtig der aufklärerische Aspekt von ihnen ist, so bedenklich sind die Auswüchse, wenn quasi jedes Bild wichtig ist und der Fotograf durch die Reaktionen enorme Bestätigung erhält. Im Gegensatz zu vielen anderen Themen wird diese Bilderflut momentan noch nicht einmal hinterfragt, dabei ist das ein Thema, das wirklich jeden von uns betrifft. Distanzierteres Verhalten der Betrachter und sensibleres ebenso wie ehrlicheres Vorgehen der Ersteller von Fotos wären ein wichtige Schritte zum Ziel, unser Verhältnis zu Bildern wieder etwas ins Gleichgewicht zu rücken.

 

Freiheit durch Eigenverantwortung

Auf Zeit Online gibt’s gleich zwei Artikel zum Thema Internetfreiheit. Neben meiner persönlichen Sympathie dafür werden dort einige interessante Aspekte angesprochen. Frank Rieger, Sprecher des Chaos Computer Clubs, plädiert in einem Interview u.a. für die Eigenverantwortung der Internetnutzer:

Wenn ich gerne ein Disney-kompatibles Familien-Internet haben möchte, kann ich mir einen Filter installieren, der dafür sorgt, dass ich den Rest nicht sehen muss. So, wie ich kein RTL 2 gucken will, gehe ich halt auch nicht auf bestimmte Websites. Die Möglichkeit, für sich persönlich zu entscheiden, was man tun oder sehen möchte, wird unterschätzt.

Dieser Vorgang der persönlichen Entscheidung wird auch in einem Leserbrief angesprochen:

Ich möchte im Internet bloß die Freiheiten, die im Alltagsleben selbstverständlich sind: als ich selbst und ohne Namensschild oder Barcode auf der Stirn agieren, kommunizieren und konsumieren. Meine Identität gehört mir und wie im Alltag möchte ich sie nur dann offenlegen, wenn ich es mag oder wenn es aus einem wichtigen Grund sinnvoll ist. Aber auch dann sollte die Entscheidung bei mir liegen und mir nicht aufgezwungen werden.

Problematische Regulierung

Jula Böge geht von einer sehr persönlichen Sicht aus, während Frank Rieger das Problem auf eine höhere Ebene hebt. Er spricht an, welche unüberwindbaren Schwierigkeiten eine stärkere Regulierung des Internets mit sich bringen würde:

Wir können nicht mehr sagen, das Internet ist unzensierbar. Es ist durchaus zensierbar. Wir müssen uns bewusst entscheiden, es nicht zu tun. […] Wenn wir in der Lage sind, den gesamten Internetverkehr in unserem Land anzugucken und nach bestimmten Merkmalen auszufiltern, wem wollen wir diese Macht anvertrauen? Soll es der Staat tun? Können wir uns darauf verlassen, dass in Deutschland die Strukturen demokratisch bleiben? Sind wir in der Lage, für alle Ewigkeit vorherzusagen, dass solche Werkzeuge nicht in die falschen Hände geraten?

Aufgrund dieses Dilemmas, dass Zensur und Regulierung zwangsläufig zu einem potenziellen Missbrauch befähigen, bleibt für Frank Rieger nur die Eigenverantwortung als gangbarer Weg. Ein Punkt, den ich sehr ähnlich sehe. Abgesehen vom persönlichen Wohlbefinden beim anonymen Surfen geht es hier um eine demokratische Grundsatzentscheidung. Das Recht auf Freiheit sollte nicht vom vermeintlichen Schutz des Bürgers abgelöst werden.

Eigenverantwortung als Lösung

Voraussetzung dafür ist jedoch auch, dass sich mehr Bürger ihrer Eigenverantwortung bewusst werden und entsprechend danach handeln. Konkret beinhaltet das für mich ein Bewusstsein für Datensensibilität, also wenn es zum Beispiel um persönliche Daten geht. Außerdem mehr Interesse für Anonymisierung bzw. allgemein für technisches Know-how, um zu wissen, was man denn da im Internet macht. Ich meine nicht, dass jeder zum Nerd werden sollte, aber für viele Möglichkeiten braucht man kein technisches Verständnis, sondern lediglich gesunden Menschenverstand und ein wenig Zeit.

Vermittlung bestimmter Grundlagen

Nicht zuletzt wäre auch zu überlegen, wie man bereits in Schule und anderen Bildungsstätten Voraussetzungen für die Entwicklung einer gewissen Eigenverantwortung schaffen könnte – insbesondere vor dem Hintergrund, dass Internetnutzung meist schon im Kindesalter anfängt. Wichtiger ist aber wohl der Umgang im jeweiligen Elternhaus, da der Großteil des Internetkonsums in privatem Rahmen stattfindet. Eine kindgerechte Auswahl an Seiten oder auch die Filterung nicht kindgerechter Inhalte – ähnlich wie beim Fernsehen – ist eigentlich unerlässlich. Statt einer kompletten Vermeidung der modernen Technik ist es meines Erachtens gerade hier wichtig, dass Eltern ihren Nachwuchs betreuen und begleiten, damit dieser langsam herangeführt wird.

Von Mäusen und Clouds

Interessanterweise ist das Thema einiger Kommentare der letzten Tage der (richtige) Umgang mit Sprache im Hinblick auf IT-Themen. Meines Erachtens ein spannendes Phänomen, weil die „richtige“ Sprache der entscheidende Faktor ist, dass Botschafen bei Lesern ankommen.

Nebulöse Begrifflichkeiten

Was mich vielmehr wundert, ist die Tatsache, dass unter dem Titel „Cloud Computing“ überhaupt etwas verkauft wird. Warum? Weil der Begriff genauso nebelig und diffus ist wie die Wolke, für die er steht. Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass in jedem Beitrag über „Cloud Computing“ immer erst einmal der Begriff geklärt wird?

Damian Sicking setzt sich in einem Kommentar auf Heise Online mit dem Begriff des Cloud Computing auseinander – und trifft dabei zielsicher die wunden Punkte.

Angsterzeugende Phrasen

Der durchschnittliche Büromensch betätigt seine Maus grob geschätzt 5.000 Mal – pro Tag. Wie oft er dabei wohl denkt: „Wahnsinn, was so ein Mausklick bewirkt“?

Eine Satire auf Zeit Online über die Angstrhetorik des Mausklicks – gute Unterhaltung für zwischendurch.

Haben wir Angst?

Klaus Eck, Autor, Blogger und Reputation Manager, konstatiert in einem Interview eine „Social-Media-Angst“ in Deutschland:

Warum nutzt immer noch nur die Minderheit der Deutschen soziale Netzwerke?

Sie haben einfach pure Angst. In Deutschland frägt man sich immer „was kann ich falsch machen, wie kann ich mich am besten zurücknehmen“. Aus diesem Grund neigt man nicht dazu, sich in die Arme der Datenkraken der Welt zu werfen, sondern man sagt sich „dann mach ich lieber gar nichts, bevor ich etwas falsch machen kann“.

Sicherlich hat Klaus Eck mit der allgemeinen Tendenz, dass die Nutzung von Social Networks in Deutschland ausbaufähig ist, nicht ganz Unrecht. Aber grundlegender ist meines Erachtens die Frage, wo denn die gefühlte Angst herkommt bzw. was die Gründe dafür sind, dass viele Menschen so zurückhaltend sind.

  • Sind es wirklich datenschutzrechtliche Bedenken? Denn wenn es diese wären, könnte man sie Verweigerern nur schwerlich als Angst vorwerfen, da sie letztendlich in vielen Punkten gerechtfertigt sind.
  • Ist es bis zu einem gewissen Grad nicht einfach Desinteresse? Die Nutzung von Social Media ist keine Bedürfnisbefriedigung im engeren Sinne – jemandem, der ein Nice-to-have nicht nutzt, Angst vorzuwerfen, ist sicher zu weit gegriffen.

Die Grundaussage des Interviews ist trotzdem kaum abzustreiten – es gibt zweifelsohne Nationen, die neue technische Entwicklungen schneller und umfassender in ihr Leben integrieren. Aber es ist falsch, den Eindruck zu erwecken, als handle es sich hierbei um einen Status Quo, weil wir Deutschen eben so ängstlich und langweilig sind. Viel wichtiger ist doch, dass sich in den letzten Jahren, auch im Bereich der Sozialen Netzwerke, vieles getan hat – und weiter tun wird. Trotz diverser Verzögerungen bin ich immer wieder dankbar, dass in Deutschland eben nicht jede Erfindung samt Hype unübersehen übernommen wird. Im Hinblick auf diese Testfunktion ist eine gewisse Angst sogar recht nützlich.

Die angeblichen Milliardenschäden durch "Piraterie"

Dass es sich bei den angeblichen Schäden durch Filesharing und nicht-lizenziertes Streaming um Mythen handelt, dürfte mittlerweile klar geworden sein. Eine Studie zeigt nun den geringen Einfluss, den illegale Vorveröffentlichungen in der Filmbranche ausüben. Ein Kommentar über mögliche Schlüsse für die Verwerter von Dennis Schmolk

meier meint verlinkte letzte Woche auf eine sehr gut gemachte, inhaltlich aber strittige Online-Graphik. Darin wird festgestellt, dass 70% der „Online User“ nichts gegen Online Piracy einzuwenden haben – aber auch, dass 12,5 Milliarden Dollar Schaden pro Jahr alleine in der Musikindustrie entstehen, dass 70.000 Leute in den USA ihren Job verlieren und 2,7 Milliarden Dollar an Löhnen verloren gehen.

Wo liegt nun angeblich der Schaden, der durch Filesharing und Streaming entstehen soll? Es handelt sich bei „Online-Piraterie“ nicht um Diebstahl (oder gar „Raub“, der ja mit körperlicher Gewalt oder deren Androhung einhergeht): Urheber und Verwerter verfügen noch über die Sache, selbst wenn sie illegal vertrieben wurde. Das Argument der Verwerterindustrie ist momentan eher, dass der Schaden durch „entgangene Gewinne“ verursacht würde. Eine Studie scheint dem nun zu wiedersprechen:

Eine heute veröffentlichten Studie der US-Wissenschaftler Brett Danaher und Joel Waldfogel bringt Erkentnisse zutage, die der Verwertungsindustrie nicht schmecken dürften:

So wird in der statistischen Erhebung, die sich auf US-Produktionen im Zeitraum von 2003 bis 2006 bezieht, belegt, dass illegale Filmdownloads kaum Einfluss auf die Einspielergebnisse in den USA hat. (netzpolitik vom 16.2.12)

Das heißt also: Es entsteht gar kein Schaden. Lediglich in Europa hat das Filesharing Einfluss auf Umsatzzahlen an den Kinokassen:

Die Ergebnisse an europäischen Kinokassen gingen allerdings um bis zu 7% zurück, und zwar umso mehr, je mehr Zeit zwischen der US- und europäischen Kinopremiere lag.

Was man aus Nutzerperspektive in einer globalisierten Medienwelt sogar verstehen kann: Nachfrage entsteht heute eben schneller, und viele Nutzer wollen nicht auf einen lokalisierten Release warten, der teilweise Monate braucht, während sich Freunde in den USA schon längst über einen neuen Film unterhalten.

Bei TV-Serien, deren Prinzip ja die permanente Nachfrage nach neuen Inhalten ist, widerspricht eine monatelange Wartezeit noch viel stärker dem Nutzerverhalten. Und das Verhalten der peer group wirkt verstärkend: Wenn meine Kollegen und Freunde schon wissen, wie es weiter geht, will ich nicht warten, bis mir (vielleicht) ein deutscher Sender irgendwann den Zugang zu einer synchronisierten Fassung ermöglicht, während sich dieselben Freunde bereits über die neue Staffel unterhalten.

Das ist nicht als Rechtfertigung von illegalen Handlungen zu verstehen: Eher als Erklärung – und als Aufruf, sich diese Kenntnis des Nutzerverhaltens zu Nutze zu machen und mit schnellen und komfortablen Angeboten aufzuwarten.

Auf absehbare Zeit halte ich es nicht für praktikabel, Online Piracy zu unterdrücken – und auch nicht für wünschenswert, denn jede Infrastruktur, die dies ermöglicht, unterdrückt andere Freiheitsrecht. (Und zwangsläufig auch wichtigere Rechte als das auf aktuellen Zugang zum neuesten Content.) Da kann sich etwa der Börsenverein (in der Content Allianz) oder das Öffentlich-Rechtliche lange Bemühen und dabei Nutzer vergraulen.

Daraus folgt: Wenn die Content-Industrien es nicht schaffen, ihre Inhalte in einer Form zum Nutzer zu bringen, die ebenso einfach und komfortabel ist wie illegale Angebote, dann wird sie gegen diese unterliegen. Es ist Zeit, umzudenken, und solche Angebote zu schaffen, für alle Medien von Musik bis zum Buch. International, denn wenigstens englischsprachiger Content wird überall konsumiert.