CONTENTshift: Fünf Fragen an Dorothee Werner

CONTENTshift (Website), das Accelerator-Programm des Börsenvereins für die Content-Branchen, befindet sich seit April 2016 in der Bewerbungsphase und läuft am 1. Juli an. Wir haben Dorothee Werner, die das Programm auf Seiten des Börsenvereins betreut, fünf Fragen gestellt!

Von wem kam die Idee zum Accelerator „CONTENTshift“ des Börsenvereins?

CONTENTshift: Dorothee Werner, Börsenverein
Dorothee Werner. (c) Börsenverein

Die Idee entstand im Rahmen der Eisbrecher-Tour und der Events des Börsenvereins für den startup-club. Das sind Netzwerkveranstaltungen in ganz Deutschland, bei denen wir Start-ups mit der Buchbranche zusammenführen. Dabei wurde deutlich, dass ein riesiges Interesse auf beiden Seiten besteht. Auf Seiten der Start-ups, weil sie mehr über die Branche erfahren und sich mit den Menschen vernetzen wollen, und auf Seiten der Verlage und Buchhandlungen, die von den Arbeitsweisen kleiner, agiler Teams lernen wollen. Aber auch, weil die Unternehmen sehen, dass notwendige Innovationen oftmals erst durch Start-ups und innovative Kooperationen in die Branche gebracht werden.

Welche Ideen stehen im Fokus – für welche Startups ist es sinnvoll, sich zu bewerben?

Generell möchten wir das nicht allzu weit eingrenzen. Die Branchengrenzen verschwimmen, es wäre töricht mit Abgeschlossenheit darauf zu antworten. Letztlich hängt der Wert eines Start-ups für die Branche aber auch nicht von der ursprünglichen Idee ab, sondern von dem Markt, den die Gründer betreten wollen. Ein Beispiel: Start-ups, die auf NFC- und anderen Lokalisierungs-Technologien aufbauen, sind in den letzten Jahren aus dem Boden geschossen. Ob sie aber Lösungen für Heimwerkermärkte oder für Buchhandlungen entwickeln, ist zunächst zweitrangig. Deswegen ist für uns wichtig, dass sich das Geschäftsmodell unabhängig von der Idee auf das Konzept Inhalte übertragen lässt. Denn im Grunde ist die Buchbranche keine, die nur von papierenen Seiten zwischen einem Deckel abhängt. Vielmehr transportiert sie Inhalte in die vom Kunden gewünschte Form.

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Welche „etablierten Unternehmen“ sollten sich einkaufen – und was bekommen sie dafür?

Sechs Unternehmen haben jeweils 10.000 Euro in den Accelerator investiert: Bonnier Deutschland, Holtzbrinck Digital, Thalia, die Thieme Gruppe, StoryDocks und die österreichische MANZ’sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung. Diese Unternehmen beteiligen sich, weil sie auf diese Art exklusiv eine große Zahl von Ideen und internationale Start-ups zugeführt bekommen. Sie werden Teil der Jury, die die spannendsten Geschäftsmodelle bewertet. Außerdem unterstützen wir die Unternehmen durch unseren Partner Media Deals bei allen Fragen des Investitionsprozesses. Aber nicht nur die Start-ups profitieren vom Wissen der Investoren. Umgekehrt können die Investoren die unverbrauchten Herangehensweisen und den Input der Gründer auch für ihre eigenen unternehmensinternen Fragestellungen nutzen.

Viele Accelerator-Programme laufen über längere Zeit und schließen mit einem Demo-Day ab. Was soll am Ende des dreimonatigen „Content Shift“ stehen?

Acceleratoren haben grundsätzlich eher eine kürzere Laufzeit als Inkubatoren. Bei CONTENTshift müssen die sich bewerbenden Start-ups die Ideenfindungsphase bereits abgeschlossen haben und ein Geschäftsmodell vorlegen können. Das Programm läuft zur Frankfurter Buchmesse aus. Dort können die verbliebenen fünf Start-ups vor internationalen Investoren pitchen und das Sieger-Start-up wird mit 10.000 Euro prämiert. Außerdem bieten wir den Gründern die Möglichkeit, gemeinsam in einer Start-up-WG zu wohnen und führen sie vor Ort in die Branche ein. Auch eine Messepräsenz für die Jungunternehmer ist garantiert.

Abschließend: Wie zufrieden ist der Börsenverein insgesamt bislang mit den Start-up-Aktionen von protoTYPE bis zur Start-up-Area auf der Frankfurter Buchmesse?

Sehr. Neben protoTYPE, der Konferenz digital*litera und den Eisbrecher-Events gibt es auch den startup club. Und bei allen Projekten und Aktionen spüren wir eine große Offenheit, Neugier und Begeisterungsfähigkeit auf den Seiten der Gründer und der etablierten Branchenunternehmen. Dass Austausch stattfinden muss, damit eine Branche innovativ bleibt, daran zweifelt heute niemand mehr. Und der Erfolg hat unserem Riecher recht gegeben: Aus 16 Projekten bei protoTYPE sind drei echte Unternehmen hervorgegangen – eine gute Bilanz!

Content-Marketing und das Forbes-Modell

Der Wikipedia-Artikel zu Content-Marketing ist entstanden, als ich gerade mit meiner Bachelorarbeit fertig war. Im Kern ging es darin um Content-Marketing und Marketing-Content. (Nein, mit dem Wikipedia-Artikel habe ich leider nichts zu tun.) Dazu eine dringende Lektüreempfehlung: Das Forbes-Modell, Content-Marketing und der verkaufte Kanal bei meier meint. U.a. geht es um Aufmerksamkeitsökonomie:

Und warum sollte die werbetreibende Industrie mitspielen?

Ganz einfach: das Medienbudget des Nutzers ist begrenzt. Sollte die Industrie tatsächlich selber als Content-Player auftreten, muss sich dieser zwischen zwei Angeboten entscheiden. Die Aufmerksamkeit für den einen wird zwangsläufig auf Kosten des anderen gehen. Und noch (!) haben zumindest im Zeitungs- und Zeitschriftenbereich die Medien in ihren Zielgruppen eines: eine Marke.

Darüber habe ich am Rande ebenfalls in meiner BA geschrieben:

Die Überlegungen etwa zur „Währung Aufmerksamkeit“ machen deutlich, dass wir es gerade beim Publikumsmarkt für Bücher mit einem Nachfragemarkt zu tun haben: Die Nutzer haben die dominante Marktstellung inne, da sie ihre Aufmerksamkeit frei auf ein Überangebot von Inhalten verteilen können. Die Unternehmen konkurrieren folglich um diese Aufmerksamkeit, stehen aber vor dem Problem, sie nicht durch herkömmliche und häufig langweilige Werbekampagnen erringen zu können.

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Die angeblichen Milliardenschäden durch "Piraterie"

Dass es sich bei den angeblichen Schäden durch Filesharing und nicht-lizenziertes Streaming um Mythen handelt, dürfte mittlerweile klar geworden sein. Eine Studie zeigt nun den geringen Einfluss, den illegale Vorveröffentlichungen in der Filmbranche ausüben. Ein Kommentar über mögliche Schlüsse für die Verwerter von Dennis Schmolk

meier meint verlinkte letzte Woche auf eine sehr gut gemachte, inhaltlich aber strittige Online-Graphik. Darin wird festgestellt, dass 70% der „Online User“ nichts gegen Online Piracy einzuwenden haben – aber auch, dass 12,5 Milliarden Dollar Schaden pro Jahr alleine in der Musikindustrie entstehen, dass 70.000 Leute in den USA ihren Job verlieren und 2,7 Milliarden Dollar an Löhnen verloren gehen.

Wo liegt nun angeblich der Schaden, der durch Filesharing und Streaming entstehen soll? Es handelt sich bei „Online-Piraterie“ nicht um Diebstahl (oder gar „Raub“, der ja mit körperlicher Gewalt oder deren Androhung einhergeht): Urheber und Verwerter verfügen noch über die Sache, selbst wenn sie illegal vertrieben wurde. Das Argument der Verwerterindustrie ist momentan eher, dass der Schaden durch „entgangene Gewinne“ verursacht würde. Eine Studie scheint dem nun zu wiedersprechen:

Eine heute veröffentlichten Studie der US-Wissenschaftler Brett Danaher und Joel Waldfogel bringt Erkentnisse zutage, die der Verwertungsindustrie nicht schmecken dürften:

So wird in der statistischen Erhebung, die sich auf US-Produktionen im Zeitraum von 2003 bis 2006 bezieht, belegt, dass illegale Filmdownloads kaum Einfluss auf die Einspielergebnisse in den USA hat. (netzpolitik vom 16.2.12)

Das heißt also: Es entsteht gar kein Schaden. Lediglich in Europa hat das Filesharing Einfluss auf Umsatzzahlen an den Kinokassen:

Die Ergebnisse an europäischen Kinokassen gingen allerdings um bis zu 7% zurück, und zwar umso mehr, je mehr Zeit zwischen der US- und europäischen Kinopremiere lag.

Was man aus Nutzerperspektive in einer globalisierten Medienwelt sogar verstehen kann: Nachfrage entsteht heute eben schneller, und viele Nutzer wollen nicht auf einen lokalisierten Release warten, der teilweise Monate braucht, während sich Freunde in den USA schon längst über einen neuen Film unterhalten.

Bei TV-Serien, deren Prinzip ja die permanente Nachfrage nach neuen Inhalten ist, widerspricht eine monatelange Wartezeit noch viel stärker dem Nutzerverhalten. Und das Verhalten der peer group wirkt verstärkend: Wenn meine Kollegen und Freunde schon wissen, wie es weiter geht, will ich nicht warten, bis mir (vielleicht) ein deutscher Sender irgendwann den Zugang zu einer synchronisierten Fassung ermöglicht, während sich dieselben Freunde bereits über die neue Staffel unterhalten.

Das ist nicht als Rechtfertigung von illegalen Handlungen zu verstehen: Eher als Erklärung – und als Aufruf, sich diese Kenntnis des Nutzerverhaltens zu Nutze zu machen und mit schnellen und komfortablen Angeboten aufzuwarten.

Auf absehbare Zeit halte ich es nicht für praktikabel, Online Piracy zu unterdrücken – und auch nicht für wünschenswert, denn jede Infrastruktur, die dies ermöglicht, unterdrückt andere Freiheitsrecht. (Und zwangsläufig auch wichtigere Rechte als das auf aktuellen Zugang zum neuesten Content.) Da kann sich etwa der Börsenverein (in der Content Allianz) oder das Öffentlich-Rechtliche lange Bemühen und dabei Nutzer vergraulen.

Daraus folgt: Wenn die Content-Industrien es nicht schaffen, ihre Inhalte in einer Form zum Nutzer zu bringen, die ebenso einfach und komfortabel ist wie illegale Angebote, dann wird sie gegen diese unterliegen. Es ist Zeit, umzudenken, und solche Angebote zu schaffen, für alle Medien von Musik bis zum Buch. International, denn wenigstens englischsprachiger Content wird überall konsumiert.