Freiheit durch Eigenverantwortung

Auf Zeit Online gibt’s gleich zwei Artikel zum Thema Internetfreiheit. Neben meiner persönlichen Sympathie dafür werden dort einige interessante Aspekte angesprochen. Frank Rieger, Sprecher des Chaos Computer Clubs, plädiert in einem Interview u.a. für die Eigenverantwortung der Internetnutzer:

Wenn ich gerne ein Disney-kompatibles Familien-Internet haben möchte, kann ich mir einen Filter installieren, der dafür sorgt, dass ich den Rest nicht sehen muss. So, wie ich kein RTL 2 gucken will, gehe ich halt auch nicht auf bestimmte Websites. Die Möglichkeit, für sich persönlich zu entscheiden, was man tun oder sehen möchte, wird unterschätzt.

Dieser Vorgang der persönlichen Entscheidung wird auch in einem Leserbrief angesprochen:

Ich möchte im Internet bloß die Freiheiten, die im Alltagsleben selbstverständlich sind: als ich selbst und ohne Namensschild oder Barcode auf der Stirn agieren, kommunizieren und konsumieren. Meine Identität gehört mir und wie im Alltag möchte ich sie nur dann offenlegen, wenn ich es mag oder wenn es aus einem wichtigen Grund sinnvoll ist. Aber auch dann sollte die Entscheidung bei mir liegen und mir nicht aufgezwungen werden.

Problematische Regulierung

Jula Böge geht von einer sehr persönlichen Sicht aus, während Frank Rieger das Problem auf eine höhere Ebene hebt. Er spricht an, welche unüberwindbaren Schwierigkeiten eine stärkere Regulierung des Internets mit sich bringen würde:

Wir können nicht mehr sagen, das Internet ist unzensierbar. Es ist durchaus zensierbar. Wir müssen uns bewusst entscheiden, es nicht zu tun. […] Wenn wir in der Lage sind, den gesamten Internetverkehr in unserem Land anzugucken und nach bestimmten Merkmalen auszufiltern, wem wollen wir diese Macht anvertrauen? Soll es der Staat tun? Können wir uns darauf verlassen, dass in Deutschland die Strukturen demokratisch bleiben? Sind wir in der Lage, für alle Ewigkeit vorherzusagen, dass solche Werkzeuge nicht in die falschen Hände geraten?

Aufgrund dieses Dilemmas, dass Zensur und Regulierung zwangsläufig zu einem potenziellen Missbrauch befähigen, bleibt für Frank Rieger nur die Eigenverantwortung als gangbarer Weg. Ein Punkt, den ich sehr ähnlich sehe. Abgesehen vom persönlichen Wohlbefinden beim anonymen Surfen geht es hier um eine demokratische Grundsatzentscheidung. Das Recht auf Freiheit sollte nicht vom vermeintlichen Schutz des Bürgers abgelöst werden.

Eigenverantwortung als Lösung

Voraussetzung dafür ist jedoch auch, dass sich mehr Bürger ihrer Eigenverantwortung bewusst werden und entsprechend danach handeln. Konkret beinhaltet das für mich ein Bewusstsein für Datensensibilität, also wenn es zum Beispiel um persönliche Daten geht. Außerdem mehr Interesse für Anonymisierung bzw. allgemein für technisches Know-how, um zu wissen, was man denn da im Internet macht. Ich meine nicht, dass jeder zum Nerd werden sollte, aber für viele Möglichkeiten braucht man kein technisches Verständnis, sondern lediglich gesunden Menschenverstand und ein wenig Zeit.

Vermittlung bestimmter Grundlagen

Nicht zuletzt wäre auch zu überlegen, wie man bereits in Schule und anderen Bildungsstätten Voraussetzungen für die Entwicklung einer gewissen Eigenverantwortung schaffen könnte – insbesondere vor dem Hintergrund, dass Internetnutzung meist schon im Kindesalter anfängt. Wichtiger ist aber wohl der Umgang im jeweiligen Elternhaus, da der Großteil des Internetkonsums in privatem Rahmen stattfindet. Eine kindgerechte Auswahl an Seiten oder auch die Filterung nicht kindgerechter Inhalte – ähnlich wie beim Fernsehen – ist eigentlich unerlässlich. Statt einer kompletten Vermeidung der modernen Technik ist es meines Erachtens gerade hier wichtig, dass Eltern ihren Nachwuchs betreuen und begleiten, damit dieser langsam herangeführt wird.

Das Crowdfunding-Phänomen

Crowdfunding, Crowdsourcing, Schwarmfinanzierung: Seit dem Erfolg einiger Projekte auf der Plattform Kickstarter sind die Begriffe in aller Munde. Und dabei stehen kreative und auch Buchprojekte im Vordergrund, wie der Reprint einiger Order of the Stick-Bände. Das Projekt Gutenberg finanziert sich bei flattr. Und natürlich die Games-Industrie: Die Double Fine Adventure-Explosion.

Das Rollenmodell des Crowdfunding (Wikipedia)

Trittbrettfahrer?

Und nun springen diverse Leute auf den Zug auf, oder, wie bei golem.de im IMHO-Kommentar ausgedrückt:

Nun melden sich echte und vermeintliche Entwicklerlegenden – offenbar von dem unerwarteten Geldsegen aus dem Tiefschlaf geweckt – mit Geldbitten zu Wort. Der Verdacht, dass einige nur die Hoffnung auf das große Geld zu Kickstarter lockt, gefährdet das Vertrauen der Nutzer in die Crowdfunding-Plattform.

So wie bei Leisure Suit Larry, weshalb dem Projekt auch zuvorderst die Frage gestellt wird, warum ausgerechnet jetzt Geld eingesammelt wird. Angekündigt wurde das Remake bereits im Oktober. Vertrauen ist die relevante Währung für den Erfolg von Projekten.

Wirklich vertrauen werden die Nutzer der Plattform auf Dauer nur, wenn tatsächlich eine ausreichend große Anzahl wirklich guter Games erscheint und Tim Schafers Adventure, Wasteland 2 oder Shadowrun Returns die hohen Erwartungen erfüllen. Lediglich zur Finanzierung von Designern, die wohlige Erinnerungen an die Jugend wecken, ist das tolle Konzept von Kickstarter zu schade. (golem.de)

Technologie und Popkultur: An Kickstarter führt kein Weg vorbei

Nach Double Fine Adventure und Order of the Stick sind unter den meist-finanzierten Projekte hauptsächlich solche aus dem Technik- und Design-Bereich, z.B. ein 3D-Printer und eine iPhone-Docking-Station. Die aktuelle Top 10 findet sich in der englischsprachigen Wikipedia. Ansonsten hat „Popkultur“ mit Comics und Spielen die Nase vorn. (U.a. auch Rollenspiel-Projekte.)

Und die Nase vorn hat vor allem Kickstarter – alternative Plattformen nehme ich selten wahr, schon gar nicht die deutschen bzw. deutschsprachigen. Da gibt es zwar Pling, mySherpas, VisionBakery, mit denselben Kategorien und dem gleichen Aufbau, aber größtenteils sehr unterfinanzierten Projekten mit wenig Chance auf Verwirklichung – bei Meldungen zu Kickstarter stehen die Erfolgserlebnisse im Vordergrund, hier sieht man hauptsächlich halbprofessionelle, „gut gemeinte“ Ideen. Aber immerhin: Es passiert etwas. (Natürlich sind die Amis insgesamt schon weiter als das Entwicklungsland Germany – dort gibt es schon Gesetzesvorlagen zum Crowdfunding, während das Phänomen hierzulande erst entdeckt wird.)

Die deutschen Plattformen (Wikipedia)

Das Gemeinschaftsgefühl

Man hat bei Kickstarter das Gefühl, etwas Gutes zu machen, den Mittelsmann auszuklammern und Teil einer Community von Gleichgesinnten zu sein. (Darauf beruht der Erfolg von KickingItForward, einer Initiative, deren Button sich Projekte anheften, um zu signalisieren, dass sie ihre Projekteinkünfte in andere Kickstarter-Projekte reinvestieren und die Community am Laufen halten.)

Und gerade im Medienbereich ist es immer viel sexier, zu den Kleinen zu gehören, es den „Big 6„, wie Joe Konraths Feindbild heißt, zu zeigen. Die Selektionsfunktion von Verlagen, Produktionsfirmen, Studios wird durch Crowdfunding ersetzt, damit auch durch eine Schwarmintelligenz, die entscheidet, welche Dinge verwirklicht werden und welche nicht.

Was bedeutet das Phänomen für die Buchbranche?

Bislang funktioniert das gut: Die Projekte werden günstiger als mit einem Verwerter in der Mitte realisiert, die Produkte (bei Kickstarter: die Rewards für verschiedene „Level“, also unterschiedliche Summen, die einem Projekt gegeben werden) sind individualisierter als bei Massenware, und es bleibt immer die Befriedigung, dem Urheber direkt geholfen zu haben. Es entstehen gute Produkte, die ihre Nachfrage schon vor Produktion gefunden haben. Urheber investieren kein Geld in die falschen (nicht marktfähigen Produkte), wie das Verwerter tun. Das „verlegerische Risiko“ können sie sich auch gar nicht leisten. Kickstarter ist ideal für ambitionierte Self-Publisher. (Und das gesammelte Geld könnte helfen, die Mär zu entkräften, nur Verlage könnten gute Bücher herstellen.)

Was bedeutet das nun für die Verwerter? Verlieren sie Kunden an Kickstarter und co? Ich denke nicht. Meine These ist: Hier geben Kunden vorläufig mehr Geld aus, sie verteilen es nicht nur um. Der Hype sorgt für offene Geldbeutel, auch über das häufig postulierte „Unterhaltungskontingent“ im Haushalt hinaus.

Und außerdem: Niemand hält die Verlage ab, Buchprojekte auf diesen Plattformen zu finanzieren. White Wolf Pbl. hat das mit einem sehr erfolgreichen (fast 200% Funding) Projekt getan – und sehr geschickt agiert, indem der Creative Director Richard Thomas dem Projekt sein Gesicht geliehen hat. Das können auch andere.

 

Wer kann und wer nicht kann

Ein Kommentar von Hanna Hartberger zu technischer Kompetenz in Zeiten von Social Media

So sehr ich aus datenschutztechnischen und einigen weiteren Gründen Facebook bedenklich finde, verbirgt sich dahinter eine beachtliche Leistung: Alle nehmen daran teil. Es ist keinerlei technisches Know-how notwendig, um alle Welt über seine Gedanken und Gefühle – seien sie noch so privat – auf dem Laufenden zu halten. Facebook hat viele Hemmungen abgebaut, die in Zeiten von Web 2.0-Anfängen noch vorhanden waren. Jeder, jeder und wirklich jeder kann alles tun, was Facebook bietet, und dabei an einem Community-Gefühl gigantischen Ausmaßes teilhaben. „Wer kann und wer nicht kann“ weiterlesen