Spaß, Neugierde und Idealismus: Interview mit einem Verlagsgründer [Teil II]

Das ist der zweite Teil unseres astikos-Interviews. Zu Teil I geht’s hier.

Hanna: Du hast in einem aktuellen Blogbeitrag geschrieben, dass ihr „pay what you want“ als Zahlmethode präferiert. Ist das schon sicher, dass es so läuft, oder steht das noch in der Diskussion? Daran anschließend: Wie viel Input und Ideen bekommt ihr schon von außerhalb eures Genossenkreises? Diskutieren schon die ersten mit oder werdet ihr noch kritisch beobachtet?

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Nikk Schmitz

Nikk: Ob wir pay-what-you-want bevorzugen, ist noch offen. Ich persönlich halte es aber auf jeden Fall für ein Konzept, das man ausprobieren sollte. Es besteht natürlich gerade bei diesem Versuch ein großes finanzielles Risiko für alle Beteiligten. Wir haben aber auch schon eine Idee, wie wir das bald mal ausprobieren – das wird ein schönes Gemeinschaftsprojekt ;-). Wir haben auch schon prima Input von außerhalb bekommen. Das lief bis jetzt zwar hauptsächlich über persönliche Gespräche (z.B. auf Messen und Netzwerkveranstaltungen), aber so langsam läuft die Kommunikation auch mit der Netzgemeinden an. Primär in den sozialen Netzwerken, aber auch auf unserem Blog kommen die ersten Kommentare an, was uns enorm freut. Wir wollen eben auch eine Diskussionsplattform bieten.

Hanna: Klingt nach einer Menge Aufgaben für etwas, das bei euch allen (?) nebenher läuft. Was ist eure Motivation dahinter, eure Ziele und Visionen? Und ist geplant, dass ihr irgendwann davon leben könnt?

Nikk: Ja, das ist wahr. astikos ist für uns alle zunächst ein Nebenprojekt und das wird sich auch so schnell nicht ändern. Natürlich wäre es schön, irgendwann tatsächlich davon leben zu können – momentan sind Spaß, Neugierde und Idealismus unser Hauptantrieb. Und was unsere Ziele angeht, hm, jetzt wo wir in Gründung sind, heißen die nächsten Ziele Überleben und Wachstum. Zumindest aus der Sicht des Unternehmens. Als Verlag sind unsere Ziele natürlich das Verlegen von Texten und das Erschaffen einer funktionierenden Diskussionsplattform.

Dennis: Was plant ihr denn in Sachen Kommunikationsplattform? Geht das in die Richtung Social Reading wie bei Sobooks? Was haltet ihr denn allgemein vom Sobooks-Ansatz, dass Lesen künftig vermehrt im Browser stattfinden wird – also explizit nicht in der Browsersoftware eines ePub-Readers, sondern in einem normalen Webbrowser?

Nikk: Momentan ist das erste Ziel in dieser Hinsicht, eine Diskussion zum Laufen zu bringen – und diese über die verschiedenen Kanäle zu bündeln. Wie genau das in Zukunft aussehen wird, das muss noch besprochen werden. Die erwähnten Ansätze sind durchaus spannend und kreativ. Ich hoffe, dass wir es hinbekommen, das eine oder andere Konzept auch mal bei uns auszuprobieren :). Man muss mal schauen, welche Ideen sich sowohl für das digitale, als auch das physische Produkt eignen.

Hanna: Um nochmal zum pay-what-you-want zurückzukommen: Das Modell geht doch in Deutschland wegen der Preisbindung gar nicht, oder?

Nikk: Darüber haben wir uns auch schon Gedanken gemacht. Theoretisch könnten wir ja Titel auch für 0 Euro hergeben – bleibt dann die Frage, wie man die „Spenden“ steuerlich zu betrachten hat.

Dennis: Es gab da mal nen Fall, der auch die ganzen Humble Bundles und co. abgeschreckt hat. Ich würde aktuell davon ausgehen, dass das Modell zumindest angegriffen wird.

Nikk: Ich gehe eh davon aus, dass wir uns immer wieder angreifbar machen werden – aber anders kommt ja auch keine Diskussion zustande. Es wäre halt sehr schön, wenn aus solchen Gedankenspielen am Ende ein Konzept entsteht, das man ausprobieren kann 🙂

Dennis: Was ist denn euer Ziel, das ihr mit astikos erreichen wollt – außer, gute Bücher über die Stadt zu machen?

Nikk: Haha – Revolution und Weltherrschaft natürlich. Aber Spaß beiseite – es wär schon sehr schön, wenn wir in ein paar Jahren so weit wären, dass wir davon leben können. Abgesehen davon, möchte ich Spaß und Unterhaltung.

Dennis: Klingt nach einer spannenden Umsetzung des Slowentrepreneuship-Ansatzes!

Ich habe nur noch eine Frage: Wann kriegen wir denn die ersten Titel von astikos zu sehen, was für Titel sind das – und was kosten sie bei welchem Umfang?

Nikk: Vielen Dank! Die ersten Titel sind schon fast fertig, damit wir sie möglichst schnell nach Bestätigung der Gründung veröffentlichen können. In unserem ersten Programm liegt der Fokus auf kurzen Textformen, die es üblicherweise schwer haben bei einem Verlag unterzukommen. Die digitalen Versionen unserer Mikros (so heißt unsere Reihe für Kurzgeschichten) werden für ca. 2 Euro pro Stück erhältlich sein.

Hanna: Am Schluss möchten wir den Spieß noch kurz umdrehen: Welche Frage hättest du dir gewünscht, dass wir dir stellen, und wie hättest du sie beantwortet?

Nikk: Hm – wie wäre es mit „Möchtest du noch jemanden grüßen?“ Worauf ich dann antworten würde „Na klar! Meine wundervolle Frau, meine Familie und natürlich meine Homies!“ 😉

Hanna: Das ist ein schönes Schlusswort :). Im Namen von Dennis und mir vielen Dank fürs das Interview!

Nikk Schmitz, geboren und aufgewachsen in und um München, ist studierter Literaturwissenschaftler, passionierter Brettspieler und Bücherenthusiast. Er erblickte das Licht der Verlagswelt bei einem Praktikum in einer Literaturagentur und ist inzwischen rundum Hersteller. Angefangen hat das Herstellerdasein bei einem kleinen Münchner Digitalverlag und wird jetzt bei einem großen Verlag, der primär im Printbereich tätig ist, abgerundet. Ach ja – und seit Kurzem ist er Mitbegründer des Verlagsprojektes astikos.

Spaß, Neugierde und Idealismus: Interview mit einem Verlagsgründer [Teil I]

Wahrscheinlich sehen sich die astikos-Verleger öfter mit irritierten Nachfragen konfrontiert. Ein neuer Verlag? Okay, zwar nicht unbedingt DAS Unternehmen in einer Branche in schwieriger Zeiten, aber okay. Urbaner Schwerpunkt? Schon besser, wird ja alles immer urbaner. Aber Moment, eine Genossenschaft?!? Warum das?

Wir haben kurzerhand einen der astikos-Gründer, Nikk Schmitz, zum Facebook-Gespräch gebeten.

Logo Astikos
Das astikos-Verlagslogo

Dennis: astikos möchte alle Beteiligten vom Autor bis zum Leser am Publizieren beteiligen. Wie kam es zu eurem genossenschaftlichen Ansatz und wie wichtig war es euch dabei, einen (basis-) demokratischen Ansatz zu haben? Das scheint ja ein Trendthema zu sein – beispielhaft ein Artikel aus der brandeins.

Ein häufiger Einwand gegen solche Modelle: Damit ist man nicht besonders wendig, wenn immer alle „abgeholt“ werden müssen. Wie handlungsfähig und entscheidungsfreudig seid ihr und wie stellt ihr das sicher?

Hanna: Zwischenkommentar: Es müsste doch eher konsensverfahrenstechnisch als demokratisch heißen, oder? Denn bei Demokratie reicht ja die Mehrheit, bei Konsensverfahren müssen alle einverstanden sein. (Ändert aber nichts an der Grundfrage)

Nikk: Wahrscheinlich wäre Konsensverfahren der korrekte Ausdruck. Wir wollen allerdings damit nicht nur auf die Art der Entscheidungsfindung hinweisen, sondern gleichzeitig auch vermitteln, dass bei uns alle das gleiche Mitspracherecht haben – ganz gleich ob Gründer oder neues Mitglied.

Das ist auch der Grund, weshalb wir uns für die Genossenschaft als Gesellschaftsform entschieden haben. Unser Konzept kann nur funktionieren, wenn viele Köpfe ihr Wissen mit in den Topf schmeißen. Und wenn alle gleichermaßen an unseren Entscheidung teilhaben… Uns ist bewusst, dass diese Form nicht die agilste ist – mit jedem neuen Mitglied ändert sich die Dynamik und damit könnten wir schwerfälliger werden. Aber das sehen wir nicht als Problem, sondern eher als Herausforderung. Eine Strategie, die wir uns herausgesucht haben, um Probleme zu vermeiden, ist kontrolliertes, langsames Wachstum. Wir versuchen neue Mitglieder nacheinander langsam in unsere Arbeitsweisen einzuschließen. So haben wir die Möglichkeit unsere Arbeitsmittel anzupassen und weiter zu entwickeln.

Hanna: Wie gut funktioniert das in der Praxis? Ihr seid über ganz Deutschland verteilt, habt zweimal wöchentlich Skype-Konferenzen, aber keine feste Rollenverteilung, d.h. dass jeder bei jedem Projekt etwas anderes tun darf, wenn er das möchte. Wie kommen die Beteiligten mit dieser offenen und wechselnden Arbeitsweise klar und wie kann man sie dabei unterstützen?

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Von links nach rechts: Die Genossen Nikk Schmitz, Daniel Bräuer und Jannis Plastargias.

Nikk: Bis jetzt hat das ganz gut funktioniert :). Gerade in den Bereichen der Projektplanung und internen Kommunikation haben wir schon diverse Tools ausprobiert. Anfangs haben wir z.B. die Plattformen Just und Trello ausprobiert. Das ging bis zu einem gewissen Grad gut. Aber irgendwann hatten sich unsere Ansprüche geändert – wir wussten besser, was wir wollen und brauchen. Deshalb haben wir dann zu Basecamp gewechselt. Und wenn das eines Tages nicht mehr genug für uns ist, dann werden wir uns wieder umsehen. So verbessern wir unsere Zusammenarbeit stetig weiter. Die offene Rollenverteilung kommt bis jetzt sehr gut an. Allerdings haben wir da auch noch keine großen Experimente gewagt. Die momentan aktiven Genossinnen und Genossen sind alle in der Buchbranche tätig und haben ihre Spezialgebiete. Das spiegelt sich auch in der Aufgabenverteilung in den Projekten wider. Wir haben uns mal überlegt, interne Fortbildungen anzubieten. Vielleicht im Rahmen einer Webinarreihe, in der jeder den anderen seinen Aufgabenbereich vorstellt. Bis es so weit ist, unterstützen wir uns gegenseitig so gut wir können.

Hanna: Jetzt sind wir ja gerade schon mittendrin in eurer Arbeit ;-). Ihr seid ein Verlag mit den Prinzip „digital first“ und habt den Hashtag #verlagneudenken okkupiert. Was ist das Besondere an eurem Verlag, habt ihr Schwerpunkte und was genau ist mit #verlagneudenken gemeint?

Nikk: Mit #verlagneudenken wollen wir die Diskussionen über unsere Entwicklungen und Vorschläge in den sozialen Medien bündeln. Bei astikos geht es ja nicht nur um Bücher (egal ob digital oder print) – wir stellen unser Projekt auch zur Verfügung um verschiedene unternehmenstechnische Ansätze zu testen. Sei es die dezentrale Arbeit, die Zusammenhänge zwischen digital und analog, oder diverse Ansätze unsere Gedanken und Entscheidungen transparent zu kommunizieren.

Dass wir nach dem digi-first Prinzip veröffentlichen ist übrigens keine Wertung bezüglich der Diskussion digital versus print – das hat rein praktische Gründe.

Hier geht’s zum zweiten Teil des Interviews.

Der erste Tropfen? Nachlese einer Debatte über die Bezahlung von Volontariaten

Na sowas – da gibt’s einen (Mini-)Shitstorm in der Buchbranche und keiner kriegt’s mit. Jedenfalls nicht in der Branche – außerhalb davon gab’s Meldungen bei n-tv, Stern, 3sat, der Welt, der Berliner Morgenpost und sogar beim Spiegel. Aber keines der großen Branchenorgane greift das Thema auf und stößt eine Diskussion an. Zu einem Thema, das bekanntermaßen schon lange schwelt.

Wohlbehütete ausgebrütet? Der Nachwuchs hat Probleme. Bildquelle: grendelkhan via Wikimedia Commons

Worum geht’s?

Um das Thema Volontariatsgehalt. Der Verlag Kiepenheuer & Witsch hatte mit einem Gehaltsvorschlag von 500 € pro Monat für Unmut gesorgt; in der Folge gab es einen wütenden Blogbeitrag und diverse wütende Facebook-Posts, woraufhin sich die KiWi-Geschäftsleitung zu einer Erklärung gezwungen sah und das Gehalt auf „immerhin“ 1.000 € erhöhte. Dennis hat den Verlauf der Diskussion in diesem Beitrag ausführlich beschrieben.

Fazit auf den ersten Blick

Bei allen jungen Leuten, mit denen ich über das Thema gesprochen habe, schlug deutlich die Begeisterung durch. Zum einen war das in Richtung „Juhu, jetzt gibt’s auch bei uns mal einen Shitstorm“ und zum anderen „Juhu, der bewirkt sogar noch was“. Das klingt im ersten Moment ziemlich sensationsgeil, ist aber für viele ein Hoffnungsschimmer, dass sich auch hier etwas tun kann. Dass es möglich ist, Leute dazu zu bewegen, ihre Meinung offen zu vertreten und zu behaupten. Und dass darauf eine angemessene Reaktion folgt, die davon zeugt, dass man ernst genommen wird. KiWi hat sich angesichts des zunehmenden Protests geradezu mustergültig verhalten, indem schnell reagiert und gehandelt wurde.

Fazit auf den zweiten Blick

Und doch bleibt ein schaler Beigeschmack. 1.000 € sind immer noch alles andere als ein angemessenes Gehalt für einen Hochschulabsolventen, Ausbildung und Einarbeitung hin oder her. Wie Dennis schon richtig angemerkt hat, sollte man eher dafür Sorge tragen, Absolventen auf reguläre Stellen  zu besetzen – die verdienen nämlich genug. Es geht hier allgemein um die Wertschätzung von Mitarbeitern. Natürlich sagt das niemand offen, sondern redet lieber von hohen Kosten und der grandiosen Chance, in einem so renommierten Verlag … *gähn*. Und weil das alle so machen, wird’s auch von den Branchenmedien lieber totgeschwiegen als thematisiert.

Es wird Zeit, dass sich der Nachwuchs auf die Hinterfüße stellt und seine Rechte einfordert – vielleicht ist das, was wir erlebt haben, schon der Anfang davon.

KiWi macht sich beliebt: Volontariatsanzeige sorgt für Unmut [Update]

Auf Facebook macht seit einigen Tagen ein Blogpost vom 11.9. die Runde. Darin schildert Max Pahl, über den ich bei einer raschen Recherche leider nicht viel mehr fand, als dass er Philosophie und Germanistik studiert habe, wie es ihm bei einem Telefonat mit Kiwi erging. Er hatte dort wegen einer Stellenanzeige angerufen, die 500 Euro brutto (damit handelt es sich also um eine nicht sozialversicherungspflichtige Vollzeitstelle) sowie eine „Verpflegungspauschale“ anbot. Die stellte sich allerdings eher als Lachnummer heraus:

Es gebe kein Gehalt, sondern Essensmarken aus Papier, die man in umliegenden Geschäften eintauschen könne. […] Im zweiten Moment erfuhr ich den Wert der Marken: 1 Euro pro Marke und Tag! Macht nach Aussage der Dame in der Summe – warum auch immer – 22 Euro pro Monat.
Ungläubig fragte ich nach: “Der Verpflegungszuschuss beträgt 22 Euro im Monat?” – “Ja”, sagte die Dame, das sei eine freiwillige Leistung von Kiepenheuer & Witsch.

[…]

Ich bedankte mich und legte auf – FASSUNGSLOS! Fassungslos, dass andere – man selbst, die Eltern, Kreditgeber und damit wieder man selbst – die Arbeit bei Kiepenheuer & Witsch subventionieren sollen, denn nichts anderes passiert, wenn man Kiepenheuer & Witsch Vollzeit zur Verfügung steht, aber dazu noch die Differenz von Lebenskosten und Lohn aufbringen muss. Man trägt 40 Stunden zum wirtschaftlichen Erfolg von Kiepenheuer & Witsch bei, erhält aber selbst nicht so viele Stunden von ihnen ausbezahlt – es sei denn, man beziffert den Netto-Stundenlohn mit 3,26 Euro. Damit vergüten andere die Arbeit für Kiepenheuer & Witsch – so einfach ist das. (Und keiner soll mir kommen, dass man “ja was lerne und nicht richtig arbeite”!)

So ist das. Und irgendwie ist es traurig, dass man sich kaum mehr darüber aufregt, sondern einfach akzeptiert hat, dass man als Branchennachwuchs im Verlagsbereich zu den working poor gehört. Kiwi bietet in der Presse und der Online-Abteilung generell nicht mehr Geld, wie man diesen beiden Ausschreibungen entnehmen kann – nur im Lektorat bezahlt man den „inoffiziellen Branchentarif“ von 1000.-. (Im Zeitungs-Pressebereich liegt der Tarif deutlich höher.)

Unbenannt

Ebenfalls traurig, dass Kiwi ausgerechnet der Verlag ist, in dem Günter Wallraff seine Enthüllungen über Arbeitsbedingungen schildert. Spannend dagegen, welche Resonanz Max Pahls Blogpost ausgelöst hat (siehe die Kommentare dort).

 

[Update, 27.09., 17 Uhr:] Kiwi hat reagiert und eine Stellungnahme veröffentlicht, die eine gewisse Verbesserung für die untersten Lohnriegen verspricht. Auf meine Rückfrage bie Facebook wurde leider noch nicht reagiert:

Stellt ihr jemanden auch richtig ein, der kein Volontariat absolviert hat? Das wäre nämlich die logische Konsequenz. Wenn es um „reinschnuppern“ geht, dann ist ein Volo keine Ausbildung, sondern ein Orientierungsangebot; wer bereits studiert hat, braucht keine Ausbildung mehr, sondern eine Einarbeitung im Rahmen einer richtigen Stelle. Folgerichtig dürftet ihr Volos nur an Studenten vergeben, am besten in Kooperation mit den Hochschulen. Und wer einen Abschluss hat, sollte eine richtige Stelle bekommen, die zur „tragfähigen Vollexistenz“ befähigt. Oder sehe ich das falsch?

Insgesamt hat die Stellungnahme nur bedingt die Wogen geglättet. Eie erste Kommentarlese (meist von Facebook, bei Kiwi selbst kann man natürlich nicht kommentieren):

  • „- sollte man nach einem abgeschlossenem Studium nicht zumindest seinen Lebensunterhalt bestreiten können?“ (Julia Streit)
  • „Sie können nicht mehr zahlen? Es ist nicht möglich? Dann ist es mir auch nicht möglich, ihre Bücher zu kaufen. Die Ausbeutung in der Medienbranche muss aufhören! Es kann nicht sein dass man mit bei McDonalds mehr verdient als in einem renomierten Verlag.“ (Paul Wehpunkt)
  • „Paraphrasiert heißt das: „Unser Volontariat war eigentlich ein Praktikum und daher auch schlecht vergütet.“ Amüsant Erklärung. Letztendlich natürlich aber auch egal, denn rächen wird sich diese Praxis am Ende nur für KiWi selbst, wenn die wirklich fähigen Absolventen zu anderen Verlagen gehen, weil sie für €800 netto im Monat in einer Stadt wie Kön kaum über die Runden kommen.“ (Patrick Lohmeier)
  • „Und abschließend noch ein Satz dazu, dass angeblich kein Geld da wäre. KiWi gehört der Georg von Holtzbrinck GmbH & Co. KG- 2,145 Mrd€ Umsatz in 2011….“  (Malte)
  • „Hier steht nun also explizit, dass Bewerber mit abgeschlossenem Studium dem Verlag nicht mehr wert als 1000 € im Monat sind. Dafür hilft man ihnen dann, im Anschluss eine Stelle bei ANDEREN Verlagen zu finden, weil bei KiWi sowieso keine Übernahmechance besteht. Ah ja.“ (Daniel Seebacher, mein Ko-Autor und Mitgründer bei Quo Vadis Buch)
  • „Nach heftiger Kritik will der Kölner Verlag Kiepenheuer und Witsch (KiWi) das Gehalt für Volontäre in der Presse- und Online-Abteilung erhöhen. Das ursprüngliche Bruttogehalt von monatlich 500 Euro solle auf 1000 Euro verdoppelt werden.“ (3SAT)

Verlage entdecken sich als Händler

Ein neuer Trend im Buchhandel – gut, ein noch zaghafter Trend. Aber es ist doch bemerkenswert, dass mehrere Verlage (z.B. Oetinger, Lübbe, Coppenrath) sich jeweils ein eigenes Ladengeschäft leisten. Interessanterweise gehen alle Verlage mit ihrem Konzept in die Richtung der Medienläden, die Dennis und ich im Fazit einer unserer letzten Umfragen beschrieben haben. Was soll man davon halten?

Gute Gründe dafür

Es sind Experimentierfelder und als solche gut und wichtig – sofern sie wirklich so genutzt werden und man nicht nach einem halben Jahr Experimentierphase zum Tagesgeschäft weitergeht. Und es kann helfen, die Buchhandlungen bei der teils engen Zusammenarbeit besser zu verstehen, sie gezielter zu unterstützen und ihnen sogar Erfahrungswerte zu bestimmten Titeln oder Aktionen weiterzugeben.

Gute Gründe dagegen

Natürlich besteht umgekehrt die Gefahr, dass das Verhältnis Buchhandlung – Verlag leidet, wenn Letzterer anfangen sollte, Ersteren über sein Kerngeschäft zu belehren. Beim Konkurrenzargument bin ich etwas unschlüssig: Im Moment scheint es da noch nicht viel Konkurrenz zu geben, aber wenn sich der Trend zur eigenen Buchhandlung ausweiten sollte, verstehe ich den kritischen Blick einiger Buchhandlungen.

Was überwiegt

Für mich ist ausschlaggebend: Die Verlage tun was. Und das ist in Zeiten unserer heutigen Veränderungen und auch sonst gut. Abgesehen davon erfordert es Mut, sein gewohntes Geschäftsumfeld zu verlassen und sich in eine Richtung zu bewegen, von der man bislang eher wenig Ahnung hat. Wünschenswert wäre es, wenn die vielen neuen Erkenntnisse, die dabei gesammelt werden, nicht bei den Verlagen hängen bleiben, sondern die (Branchen-)Öffentlichkeit viel davon mitbekommt.

Keine E-Books, wohin man schaut

Ich stehe unter Schock. Etwa seit ich diese Infografik des Börsenvereins gesehen habe, wonach 68 % der Buchhandlungen E-Books anbieten, aber nur 53 % der Verlage überhaupt E-Books produzieren. Da wird seit einiger Zeit Buchhandlungs-Bashing ohne Ende betrieben – die eine Hälfte sagt, dass die Buchhandlungen endlich auf den E-Book-Zug aufspringen müssen, und die andere Hälfte sagt, dass die Buchhandlungen sowieso keine Überlebenschance mehr haben – und dann stellt sich heraus, dass sich relativ gesehen viel weniger Verlage als Buchhandlungen um E-Books bemühen.

Verzerrte Wahrnehmung

Es ist mir unklar, wie genau das passieren konnte – dass branchenfremde Beobachter zu diesem verzerrten Bild kommen, okay. Aber auch innerhalb der Branche und in den einschlägigen Medien ist in letzter Zeit fast nur noch von den Buchhandlungen und deren Aufholbedarf die Rede. Haben es die vielen kleinen Verlage geschafft, einfach „durchzurutschen“, nachdem die großen Verlage der Reihe nach öffentlichkeitsgewaltig auf den E-Book-Zug aufgesprungen sind? Oder ist auf Verlagsseite das Geschäftsmodell weniger bedroht, so dass man hier weniger Raum für grundlegende Diskussionen hat?

Liebe Verlage …

Foto eines E-Book-Readers auf einem Tisch
photo credit: Wiertz Sébastien via photopin cc

… bitte macht E-Books! Der Gerechtigkeit halber. Ja, das ist ein zusätzlicher Aufwand in der Herstellung und in den Prozessen, aber das E-Book-Geschäft wächst seit ein paar Jahren wirklich. Und wahrscheinlich habt ihr noch ein paar Jahre Übergangsfrist, aber wenn ihr danach keine E-Books anbietet, werdet ihr als ultra-out wahrgenommen und vergrault eure Leser – ist ähnlich wie mit der Rechtschreibreform, die auch alle doof fanden, nach der aber mittlerweile kein Hahn mehr danach kräht. Jetzt habt ihr noch Zeit, euch in Ruhe umzustellen – nutzt sie bitte! Ich möchte in Gesprächen mit branchenfremden Freunden nicht immer die nette, aber doch etwas wirklichkeitsfremde Branche verteidigen müssen, die haptische Bücher so toll findet, dass sie darüber jegliches Geschäftsmodell vergisst …

Verlage werden unwichtig

Die jüngere Generation von Lesern erinnert sich schlechter an den Verlag des Buchs, das sie zuletzt gelesen hat, als die ältere – so die Ergebnisse einer Kurzstudie des Instituts für Kreativwirtschaft an der HdM Stuttgart. Unzeitgemäßer Markenaufbau oder Folge eines komplett neuen Leseverhaltens?

Wichtigste Ergebnisse

© Institut für Kreativwirtschaft
© Institut für Kreativwirtschaft

Über 90 Prozent der Teilnehmer können sich an das zuletzt gelesene Buch erinnern, aber nur etwa ein Drittel an den Verlag des Buchs. Interessant wird das Ergebnis vor allem dann, wenn man einen Blick auf die Altersstruktur der Teilnehmer wirft. Am besten kennen die 30- bis 60-Jährigen den Verlag ihres zuletzt gelesenen Buchs und von diesen vor allem die Personen mit Hochschulabschluss. Im Fazit resümieren die Autoren:

Es ist zu erkennen, dass die Personengruppe, die sich nicht mehr an den Verlag erinnert, überwiegend aus der Altersklasse 17 bis 29 Jahre stammt und über einen hohen Schulabschluss (Abitur/Fachhochschulreife) verfügt. Dies ist besonders markant, da sich diese Zielgruppe am intensivsten mit neuen Medien auseinandersetzt, in denen Verlage aktuell versuchen ihre Marke zu platzieren.

Geändertes Leseverhalten

Content scheint wirklich King zu sein: Die jüngere Generation orientiert sich augenscheinlich vermehrt am Inhalt des Buchs – denn an dieses können sie sich in den meisten Fällen noch erinnern – und weniger am Verlag. Es scheint, als habe die repräsentative Funktion des Buchs ausgedient, weil es in der digitalen oder elektronischen Bibliothek anders als im Bücherregal wenig auffällt, von welchem Verlag welches Buch kommt.

Und es ist verständlich: Der große Belletristikverlag, der verschiedenste Genres wie Krimi, Thriller, Frauenroman, historischer Roman und Fantasyepos verlegt, ist per se kein Qualitätsprädikat – hat er doch viel zu viele Titel im Angebot, als dass diese alle den Geschmack eines Lesers treffen könnten. Anders ist es bei kleinen oder spezialisierten Verlagen und natürlich bei vielen Verlagen im Bereich Sach- und Fachliteratur.

Sind Marken überflüssig?

Die Autoren sprechen im Fazit bereits selbst die Alternative zu Marken an: Themenfelder oder Produktmarken. Und auch ich denke, dass dieser Fokus sinnvoll ist. Wie gesagt bietet eine entsprechend umfangreiche Marke keine Orientierung, und überhaupt sind der Autor des Buchs, die Serie oder die Geschichte, die erzählt wird, oft viel spannender als die Verlagsmarke an sich. Daher ist es wichtig, dafür zu sorgen, dass der Leser von einem Buch erfährt und von ihm begeistert wird – ob das durch eine interessante Leseprobe, eine Rezension in seinem Lieblingsblog oder durch ein Alternate Reality Game geschieht, ist egal. Wichtig ist einzig, dass das Buch beim Leser ankommt und ihm gefällt. Selbst wenn das heißt, dass jedes Buch seinen eigenen Vertriebsweg bekommt.

Die österreichische Preispolitik

Ich verstehe nicht, was Bücher in Österreich kosten. Der höhere Preis mag durch Logistik etc gerechtfertigt sein, aber nachdem wir uns in Deutschland schon (zu Recht) darüber aufregen, wenn Bücher „unpsychologische“ Preise wie 10,90 (statt 9,90) haben, scheint es extrem unattraktiv, sie künstlich um 20-40 Cent teurer zu machen. Bestes Beispiel:

Frankfurter Buchmesse: Verlage auf dem Rückzug?

Die Verlage sind auf dem Rückzug – das war tatsächlich mein Eindruck auf der Frankfurter Buchmesse, allerdings nicht im negativen Sinn. Sie ziehen sich zurück, um mehr auf die vor- und nachgelagerten Akteure in der Wertschöpfungskette einzugehen: den Autor und/oder den Kunden. Diese Position konnte man an vielen Stellen heraushören: Zum Beispiel bei der Diskussion „Der Weg zum Kunden“, wo es unter anderem darum ging, dass Verlage sich gegenüber Self-Publishing-Angeboten positionieren müssen, indem sie sich für die (professionellen) Autoren attraktiv darstellen. Oder beim Vortrag „Making the most of your story: What’s transmedia really worth?“, in dem die gute (= mitreißende, packende, fesselnde …) Story als Voraussetzung aller weiteren Überlegungen angenommen wurde, da ohne diese kein Leser mitgenommen werden kann. Oder auch bei der Diskussion „protoTYPE meets Hochschule“, in der betont wurde, dass der Kunde bei Innovationen stets im Mittelpunkt stehen muss.

Wandel des Kulturverlegers

Auf den ersten Blick scheint diese Haltung, sich gegenüber seinen Autoren ebenso wie gegenüber seinen Lesern als möglichst attraktiver Partner zu präsentieren, selbstverständlich. Bedenkt man jedoch, dass auch heute viele Verleger noch als Kulturverleger agieren – also die Inhalte, die sie als kulturell wichtig erachten, versuchen, einem breiten Publikum nahezubringen – ist das ein gravierender Wandel. Das Selbstverständnis, das sich unter anderem aus der Annahme, Bücher seien ein Kulturgut und keine Ware, speist, gerät langsam, aber sicher ins Wanken. Und hier kommt die Digitalisierung ins Spiel: Für die Autoren gibt es dank fortschreitender Technologisierung die Möglichkeit, alle Schritte bis zur Buchveröffentlichung selbst durchzuführen – ob sie es wollen oder nicht, ist eine andere Diskussion. Für die Leser gibt es die Möglichkeit, sich zwischen zahllosen Bücher für ein paar zu entscheiden – um hier herauszustechen braucht man vor einem guten Marketing erst einmal ein Buch, das den Leser wirklich interessiert. Im zweiten Schritt kommen dann E-Books, Social Media etc. Die Notwendigkeit auf Verlagsseite, ein attraktiver Partner zu sein, steigt stetig.

Wie funktioniert der Wandel am besten?

Wie sich dieser Wandel (= Innovationen) am besten gestalten lässt, wurde vor allem in der ProtoTYPE-/Hochschule-Diskussion ausgeführt: Durch Lust! Ggf. noch durch Notwendigkeit, aber keinesfalls aus Angst oder aus Druck. Das klappt eigentlich nur dann, wenn der Verleger diesen Prozess nicht blockiert. Im Idealfall resultiert daraus eine Begeisterung, die für digitale Produkte ebenso stark ist wie für Print-Produkte – im Fachjargon spricht man dann vom „sexy epub“.