Zum Jahresabschluss finden sich überall Prophetien, Rückblicke und Zusammenfassungen. Wir haben uns für einen ganz knappen Rückblick entschieden und listen unsere Top 3 der Aufreger der Buchbranche auf:
Self-Publishing: Self-Publisher tun niemandem weh. Noch nicht. Eventuell werden sie es in Zukunft, aber solange Verlage an guten Beziehungen zu ihren Autoren arbeiten, wird es sich um Ausnahmeerscheinungen handeln.
E-Books: Tun auch niemandem weh. Entwickeln sich aber langsam zu einer ernst zu nehmenden Größe, die man gedanklich wie real einkalkulieren sollte. Und zwar schleunigst.
Online-Konkurrenz: Der eigentliche Aufreger ist, dass es sich noch um einen Aufreger handelt – aber bestädig jammert das Sortiment darüber, dass insbesondere ein großer Player mit großem A im Namen das Geschäft verdirbt. Man könnte sich – wie überall – natürlich auch mit den Realitäten arrangieren und zusehen, dass man sein Geschäftsfeld erweitert. Und das geht (jedenfalls langfristig) nicht allein dadurch, dass man überteuerte DVDs ins Sortiment aufnimmt.
Die Aufstellung ist natürlich rein subjektiv, weswegen wir uns freuen, in den Kommentaren von euren Aufregungen und Erfolgsgeschichten zu hören – es kann ja nicht immer nur Negatives geben. Für einen ebenfalls knappen, thesenartigen Ausblick gerade fürs digitale Geschäft mit digitalen Produkten empfehlen wir die fünf „Predictions“ in der Digital Book World. Von DRM bis zum Startup-Sterben ist alles dabei!
In diesem Sinne wünschen wir allen Lesern ein gutes Rüberrutschen nach 2013. Wir bloggen nun in dieser Konstellation seit knapp einem Jahr und sind recht zufrieden mit den Zugriffszahlen und auch mit unserem „Content-Output“, wünschen uns für das neue Jahr aber mehr Diskussionen. Wir sind zuversichtlich, dass auch 2013 spannend wird und genügend Anlass zum Reden und Streiten geben wird. Wir freuen uns auf die Entwicklung der Branche – was immer da kommen mag!
Xander Morus ist das Pseudonym eines Universitätsangestellten aus Bayern. Er schreibt mit Vorliebe Horror-und Thrillergeschichten, liebt bayerisches Bier, H.P. Lovecraft und Youtube-Videos von alten Computerspielen.
Besagter Xander hat im Mai als journalistische Übung mit Selbstmarketing-Nebeneffekt einen Artikel über Selfpub-Autoren im Literaturcafe geschrieben. Und nun zieht er sein Resümmee incl. harter Zahlen und der Aufforderung, lieber langfristig zu denken als kurzfristig Verkäufe zu pushen.
Doch sollte uns zu denken geben, dass sich die Leser nicht auf der Nase rumtanzen lassen. Wenn gefakte Zeitungsartikel ein Buch hochjubeln und Freundschaftsdienste inflationär in Anspruch genommen werden, sind böse Rezensionen die Folge. Wir sollten nicht vergessen: Wer mit Tricks arbeitet, hinterlässt meist verbrannte Erde. Der Autorenname kann irreparablen Schaden nehmen. Wenn einen die Eitelkeit drängt, unter richtigem Namen zu publizieren, man dann aber das Buch mit Tricks verkaufen will, sollte man sich fragen, ob man mit den möglichen Folgen leben mag. Wer will schon seinen Namen googeln und lauter wütende Rezensionen lesen?
The critical point is to evolve your business into something more than just selling books.
Der wichtigste Satz aus Joe Wikerts Artikel „The Reinvention of the Bookseller“ bei O’Reilly. Sein Ansatz ist, in Buchhandlungen nicht nur den herkömmlichen Leser anzusprechen – sondern auch den neuen Autor: Aus dem Sortiment wird das Selfpublishing-Forum, das Leuten Starttipps und eine Plattform zum Austausch bietet.
Take a page out of Apple’s playbook and create a Genius Bar service for customers interested in self-publishing. Establish your location as the place to go for help in navigating the self-publishing waters. Remember, too, that most of the income earned in self-publishing is tied to services, e.g., editing, cover design, proofreading, and not necessarily sales of the finished product.
Ich halte das nicht für den Stein der Weisen, dazu passiert gerade beim Selfpublishing zu viel online – und dazu fehlt auch die Expertise in den Buchläden. Aber wichtig bleibt der eingangs zitierte Satz: Der Buchhändler muss – genau wie alle anderen Branchenteilnehmer – sein Geschäft zu etwas entwickeln, das mehr ist als Lettern auf totem Holz. Je nach vorhandenem Wissen und angepeilter Klientel braucht es dann nur noch die zündende Idee, daraus etwas zu machen. Und vielleicht ist Selfpublishing ja eine davon.
Crowdfunding, Crowdsourcing, Schwarmfinanzierung: Seit dem Erfolg einiger Projekte auf der Plattform Kickstarter sind die Begriffe in aller Munde. Und dabei stehen kreative und auch Buchprojekte im Vordergrund, wie der Reprint einiger Order of the Stick-Bände. Das Projekt Gutenberg finanziert sich bei flattr. Und natürlich die Games-Industrie: Die Double Fine Adventure-Explosion.
Nun melden sich echte und vermeintliche Entwicklerlegenden – offenbar von dem unerwarteten Geldsegen aus dem Tiefschlaf geweckt – mit Geldbitten zu Wort. Der Verdacht, dass einige nur die Hoffnung auf das große Geld zu Kickstarter lockt, gefährdet das Vertrauen der Nutzer in die Crowdfunding-Plattform.
So wie bei Leisure Suit Larry, weshalb dem Projekt auch zuvorderst die Frage gestellt wird, warum ausgerechnet jetzt Geld eingesammelt wird. Angekündigt wurde das Remake bereits im Oktober. Vertrauen ist die relevante Währung für den Erfolg von Projekten.
Wirklich vertrauen werden die Nutzer der Plattform auf Dauer nur, wenn tatsächlich eine ausreichend große Anzahl wirklich guter Games erscheint und Tim Schafers Adventure, Wasteland 2 oder Shadowrun Returns die hohen Erwartungen erfüllen. Lediglich zur Finanzierung von Designern, die wohlige Erinnerungen an die Jugend wecken, ist das tolle Konzept von Kickstarter zu schade. (golem.de)
Technologie und Popkultur: An Kickstarter führt kein Weg vorbei
Nach Double Fine Adventure und Order of the Stick sind unter den meist-finanzierten Projekte hauptsächlich solche aus dem Technik- und Design-Bereich, z.B. ein 3D-Printer und eine iPhone-Docking-Station. Die aktuelle Top 10 findet sich in der englischsprachigen Wikipedia. Ansonsten hat „Popkultur“ mit Comics und Spielen die Nase vorn. (U.a. auch Rollenspiel-Projekte.)
Und die Nase vorn hat vor allem Kickstarter – alternative Plattformen nehme ich selten wahr, schon gar nicht die deutschen bzw. deutschsprachigen. Da gibt es zwar Pling, mySherpas, VisionBakery, mit denselben Kategorien und dem gleichen Aufbau, aber größtenteils sehr unterfinanzierten Projekten mit wenig Chance auf Verwirklichung – bei Meldungen zu Kickstarter stehen die Erfolgserlebnisse im Vordergrund, hier sieht man hauptsächlich halbprofessionelle, „gut gemeinte“ Ideen. Aber immerhin: Es passiert etwas. (Natürlich sind die Amis insgesamt schon weiter als das Entwicklungsland Germany – dort gibt es schon Gesetzesvorlagen zum Crowdfunding, während das Phänomen hierzulande erst entdeckt wird.)
Das Gemeinschaftsgefühl
Man hat bei Kickstarter das Gefühl, etwas Gutes zu machen, den Mittelsmann auszuklammern und Teil einer Community von Gleichgesinnten zu sein. (Darauf beruht der Erfolg von KickingItForward, einer Initiative, deren Button sich Projekte anheften, um zu signalisieren, dass sie ihre Projekteinkünfte in andere Kickstarter-Projekte reinvestieren und die Community am Laufen halten.)
Und gerade im Medienbereich ist es immer viel sexier, zu den Kleinen zu gehören, es den „Big 6„, wie Joe Konraths Feindbild heißt, zu zeigen. Die Selektionsfunktion von Verlagen, Produktionsfirmen, Studios wird durch Crowdfunding ersetzt, damit auch durch eine Schwarmintelligenz, die entscheidet, welche Dinge verwirklicht werden und welche nicht.
Was bedeutet das Phänomen für die Buchbranche?
Bislang funktioniert das gut: Die Projekte werden günstiger als mit einem Verwerter in der Mitte realisiert, die Produkte (bei Kickstarter: die Rewards für verschiedene „Level“, also unterschiedliche Summen, die einem Projekt gegeben werden) sind individualisierter als bei Massenware, und es bleibt immer die Befriedigung, dem Urheber direkt geholfen zu haben. Es entstehen gute Produkte, die ihre Nachfrage schon vor Produktion gefunden haben. Urheber investieren kein Geld in die falschen (nicht marktfähigen Produkte), wie das Verwerter tun. Das „verlegerische Risiko“ können sie sich auch gar nicht leisten. Kickstarter ist ideal für ambitionierte Self-Publisher. (Und das gesammelte Geld könnte helfen, die Mär zu entkräften, nur Verlage könnten gute Bücher herstellen.)
Was bedeutet das nun für die Verwerter? Verlieren sie Kunden an Kickstarter und co? Ich denke nicht. Meine These ist: Hier geben Kunden vorläufig mehr Geld aus, sie verteilen es nicht nur um. Der Hype sorgt für offene Geldbeutel, auch über das häufig postulierte „Unterhaltungskontingent“ im Haushalt hinaus.
Und außerdem: Niemand hält die Verlage ab, Buchprojekte auf diesen Plattformen zu finanzieren. White Wolf Pbl. hat das mit einem sehr erfolgreichen (fast 200% Funding) Projekt getan – und sehr geschickt agiert, indem der Creative Director Richard Thomas dem Projekt sein Gesicht geliehen hat. Das können auch andere.