Charles Stross erklärt Macmillan, warum sie auf DRM verzichten sollten

Charles Stross‘ Amazon-Strategie-Artikel der letzten Woche hat groß die Runde gemacht (u.a. auch hier). Er erklärte darin, dass der Verzicht auf „mandatory DRM“ eine Voraussetzung für Verlage sei, um mit Amazon mithalten zu können.

Feedback (bzw. Rückfragen) kam u.a. von Macmillan. Stross antwortet nun in einem gewohnt ausführlichen Artikel mit vier Thesen, u.a. mit diesen beiden:

3. [R]elaxing the requirement for DRM across some of Macmillans brands will have very positive public relations consequences among certain customer demographics, notably genre readers who buy large numbers of books (and who, while a minority in absolute numbers, are a disproportionate source of support for the midlist).

4. Longer term, removing the requirement for DRM will lower the barrier to entry in ebook retail, allowing smaller retailers (such as Powells) to compete effectively with the current major incumbents. […] This will, in the long term, undermine the leverage the large vendors currently have in negotiating discount terms with publishers while improving the state of midlist sales.

In der ausführlichen Analyse der Thesen behandelt Stross dann die Zielgruppe, die durch den Wegfall von DRM zum besseren oder überhaupt zum Kunden wird: Vielleser („voracious readers“), die sich, wenn sie digital lesen, auch eine Bibliothek aufbauen wollen. Ich habe von Viellesern schon häufig die Äußerung gehört, dass sie Amazon boykottieren, weil das Unternehmen sich einem einheitlichen Standard widersetzt – und fürchten, ihre gekauften Bücher würden irgendwann in der Whispernet-Cloud eingesperrt sein, wenn die Plattform Kindle von Amazon nicht mehr unterstützt wird. Wie reagieren diese Leser dann auf eine zwar unabhängige, aber auch weniger komfortable, teurere Plattform mit geringerer Auswahl, der dasselbe droht?

Auf spezifische Zielgruppen zugeschnittene Plattformen, die das bedenken, könnten laut Stross Marktlücken abdecken, die etwa durch die Unübersichtlichkeit des Kindle Store entstehen:

Amazon’s inclusion of masses of self-published material in the Kindle store has made it impossible for heavy consumers to browse it effectively. Smaller bookstores may be able to gain a strategic edge by curating their content, providing quality control on reviews, and other tactics we can’t predict at this time.

Der Artikel ist Pflichtlektüre für alle, die sich mit Unternehmensstrategien, Digitalisierung, DRM u.ä. auseinandersetzen. Und wie immer sehr unterhaltsam geschrieben.

Hoffnung für die Netzpolitik

Über einen Spiegel Online-Artikel bin ich an einer Rede von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hängengeblieben. Der Autor fasst u.a. zusammen, dass sich die Justizministerin für das Recht auf Anonymität im Internet ausgesprochen hat:

Pöbeleien gebe es nicht erst, seitdem es Blogs und Foren gebe. In den Straßen, auf Marktplätzen und Foren werde „ganz anonym aus der Menge heraus krakeelt und gespottet“, so die Ministerin. „Für ein Mehr an Freiheit durch das Internet“ müsse man mit „gelegentlichen anonymen Entgleisungen leben können.“

Nach weiterer Recherche bin ich dann hier auf den Originalwortlauf der Rede gestoßen – und habe eine Einschätzung von prominenter politischer Stelle vorgefunden, der ich wirklich zustimmen kann.

Recht auf Anonymität

Das Thema des anonymen Surfens habe ich vor ein paar Tagen in einem Artikel schon behandelt, weswegen ich hier nur kurz die Argumentation Leutheusser-Schnarrenbergers nachzeichnen möchte.

Wen träfe denn ein Klarnamenzwang in erster Linie? Es träfe vor allem die Minderheiten, die Ängstlichen und Schwachen. Die Menschen, die sich am dringlichsten auf Pseudonyme verlassen, sind diejenigen, die von der Gesellschaft am meisten ausgegrenzt werden. Darunter sind Missbrauchsopfer, politische Aktivisten, Kranke, Menschen mit besonderer sexueller Ausrichtung, Kinder- und Jugendliche. […]

Ein Verbot von Anonymität und Pseudonymität im Internet hieße also, gerade die Mindermeinungen verstummen zu lassen, die eine liberale, pluralistische Gesellschaft erst ausmachen – und wäre in Deutschland daher auch verfassungsrechtlich hoch problematisch.

Für den politischen Diskurs bietet die Möglichkeit der verdeckten Meinungsäußerung übrigens einen wichtigen Vorteil: Sie schafft ein sehr niedrig-schwelliges Angebot auch für solche Menschen, die bisher nicht aktiv am politischen Meinungsbildungsprozess teilgenommen haben.

Anonymität ist laut der Justizministerin also ein Mittel zu breiter Meinungsäußerung. Im Zuge dessen muss die Gesellschaft dann auch in der Lage sein, weniger erwünschte Meinungen zu tolerieren – was aber nichts Neues ist. Als Vergleich führt sie die anfangs erwähnten anonymen Zwischenrufer auf. Das Internet ist damit „nur“ ein weiterer Marktplatz zur Meinungsäußerung.

Datensparsamkeit und Datenschutz

Mit zunehmender Anonymität (bei Leutheusser-Schnarrenberg abgegrenzt zu Pseudonymität) gäbe es dann auch mehr Privatsphäre:

Wer vor diesem Hintergrund einen Zwang von Klarnamen im Internet fordert, will nicht nur einen parteiübergreifenden Konsens für mehr Datensparsamkeit und -schutz im Internet aufkündigen, sondern in das glatte Gegenteil verkehren. Bester Schutz der Privatsphäre ist nämlich die Möglichkeit der Nichtnennung des eigenen Namens.

Ein achtsamer Umgang mit den eigenen Daten setzt natürlich auch das Wissen voraus, wer die Daten speichert, wie sie verwendet und an wen sie weitergegeben werden.
Wir müssen deshalb verbesserte Rahmenbedingungen schaffen, um informierte und freie Entscheidungen über die Nutzung der eigenen Daten zu erleichtern. Ein sinnvoller Weg dazu ist die Errichtung einer Stiftung Datenschutz – hier müssen die Vorbehalte und Bedenken des Bundesinnenministeriums endlich aus dem Weg geräumt werden, damit die Stiftung – wie vom Innenministerium wiederholt angekündigt – nun wirklich ihre Arbeit aufnehmen kann.

Vorstoß in Richtung Kulturflatrate

Einen weiterer Beitrag, um mir ein wenig Glauben in die Netzpolitik zurückzugeben, kam übrigens von den Grünen. Wie Börsenblatt Online berichtet, macht sich einer der Grünen-Netzexperten, Konstantin von Notz, weiter für eine Kulturflatrate stark. Die Kulturflatrate ist momentan das Modell, das mich am meisten überzeugt, in erster Linie deshalb, weil es meinen Nutzungsgewohnheiten entgegenkommt. Einmal zahlen und dann ungestört konsumieren können, ohne sich ein weiteres Mal um Abrechnung kümmern zu müssen – das ist das, was ich unter Komfort verstehe.

Freiheit durch Eigenverantwortung

Auf Zeit Online gibt’s gleich zwei Artikel zum Thema Internetfreiheit. Neben meiner persönlichen Sympathie dafür werden dort einige interessante Aspekte angesprochen. Frank Rieger, Sprecher des Chaos Computer Clubs, plädiert in einem Interview u.a. für die Eigenverantwortung der Internetnutzer:

Wenn ich gerne ein Disney-kompatibles Familien-Internet haben möchte, kann ich mir einen Filter installieren, der dafür sorgt, dass ich den Rest nicht sehen muss. So, wie ich kein RTL 2 gucken will, gehe ich halt auch nicht auf bestimmte Websites. Die Möglichkeit, für sich persönlich zu entscheiden, was man tun oder sehen möchte, wird unterschätzt.

Dieser Vorgang der persönlichen Entscheidung wird auch in einem Leserbrief angesprochen:

Ich möchte im Internet bloß die Freiheiten, die im Alltagsleben selbstverständlich sind: als ich selbst und ohne Namensschild oder Barcode auf der Stirn agieren, kommunizieren und konsumieren. Meine Identität gehört mir und wie im Alltag möchte ich sie nur dann offenlegen, wenn ich es mag oder wenn es aus einem wichtigen Grund sinnvoll ist. Aber auch dann sollte die Entscheidung bei mir liegen und mir nicht aufgezwungen werden.

Problematische Regulierung

Jula Böge geht von einer sehr persönlichen Sicht aus, während Frank Rieger das Problem auf eine höhere Ebene hebt. Er spricht an, welche unüberwindbaren Schwierigkeiten eine stärkere Regulierung des Internets mit sich bringen würde:

Wir können nicht mehr sagen, das Internet ist unzensierbar. Es ist durchaus zensierbar. Wir müssen uns bewusst entscheiden, es nicht zu tun. […] Wenn wir in der Lage sind, den gesamten Internetverkehr in unserem Land anzugucken und nach bestimmten Merkmalen auszufiltern, wem wollen wir diese Macht anvertrauen? Soll es der Staat tun? Können wir uns darauf verlassen, dass in Deutschland die Strukturen demokratisch bleiben? Sind wir in der Lage, für alle Ewigkeit vorherzusagen, dass solche Werkzeuge nicht in die falschen Hände geraten?

Aufgrund dieses Dilemmas, dass Zensur und Regulierung zwangsläufig zu einem potenziellen Missbrauch befähigen, bleibt für Frank Rieger nur die Eigenverantwortung als gangbarer Weg. Ein Punkt, den ich sehr ähnlich sehe. Abgesehen vom persönlichen Wohlbefinden beim anonymen Surfen geht es hier um eine demokratische Grundsatzentscheidung. Das Recht auf Freiheit sollte nicht vom vermeintlichen Schutz des Bürgers abgelöst werden.

Eigenverantwortung als Lösung

Voraussetzung dafür ist jedoch auch, dass sich mehr Bürger ihrer Eigenverantwortung bewusst werden und entsprechend danach handeln. Konkret beinhaltet das für mich ein Bewusstsein für Datensensibilität, also wenn es zum Beispiel um persönliche Daten geht. Außerdem mehr Interesse für Anonymisierung bzw. allgemein für technisches Know-how, um zu wissen, was man denn da im Internet macht. Ich meine nicht, dass jeder zum Nerd werden sollte, aber für viele Möglichkeiten braucht man kein technisches Verständnis, sondern lediglich gesunden Menschenverstand und ein wenig Zeit.

Vermittlung bestimmter Grundlagen

Nicht zuletzt wäre auch zu überlegen, wie man bereits in Schule und anderen Bildungsstätten Voraussetzungen für die Entwicklung einer gewissen Eigenverantwortung schaffen könnte – insbesondere vor dem Hintergrund, dass Internetnutzung meist schon im Kindesalter anfängt. Wichtiger ist aber wohl der Umgang im jeweiligen Elternhaus, da der Großteil des Internetkonsums in privatem Rahmen stattfindet. Eine kindgerechte Auswahl an Seiten oder auch die Filterung nicht kindgerechter Inhalte – ähnlich wie beim Fernsehen – ist eigentlich unerlässlich. Statt einer kompletten Vermeidung der modernen Technik ist es meines Erachtens gerade hier wichtig, dass Eltern ihren Nachwuchs betreuen und begleiten, damit dieser langsam herangeführt wird.

Buy-to-own or Pay-to-read? (Digitale) Buchinhalte kaufen oder "leihen"

Über das Modell der Onleihe (und die Branchenmeinung dazu) hat Hanna ja die Woche bereits gebloggt. Bei iHobo.com gibt es eine ähnliche Diskussion über Erwerbsmodelle für Games:

Talk about games in recent years has been dominated by the distinctions between the business models for games-as-products and games-as-services. But it may be helpful to also consider the purchase model that players have in their head when the approach a game: is it buy-to-own, or is it pay-to-play?

Die Ursprünge des Unterschieds macht der Autor Chris Bateman darin aus, dass Spieler zu Spiele-Marken konvertiert werden sollten:

Even before the formal games-as-service business model was in place, publishers were already operating on the basis of repeat business – a kind of product-as-service model that relied on getting players to buy into a brand, and to keep playing and buying in the future.

Als Beispiel führt er erfolgreiche Verlagsprodukte der 1970er Jahre an: Etwa die ersten P&P-Rollenspiele wie Dungeons and Dragons, deren Spieler bereit waren, Erweiterung um Erweiterung zu kaufen.

Das Modell hat also für Buchhandelsprodukte schon einmal funktioniert – und sollte auch weiter funktionieren: Egal, ob die Marke der Verlag ist oder – wahrscheinlicher – das Erzähluniversum, in das sich der Leser, Spieler, „Erleber“ einkauft. Ihm geht es um das Erlebnis, nicht zwangsläufig um den Besitz. (Dass das gerade im Rollenspielbereich häufig anders ist, weil man die Regelwerke und Quellenbände als Artefakte schätzt, ist mir natürlich aus eigener Erfahrung bekannt – dennoch gibt es Systeme, bei denen mir PDFs oder nur der Zugriff auf ihren Inhalt genügen würden. Wie wäre es mit einem PaperC für RPGs?)

Psychologisch unterscheiden sich beide Modelle der Nutzung, Bateman drückt das so aus:

“I buy the game”, the player feels, “I own the game, my game”. In the service model, this becomes “I play the game, I pay for the game” – there’s never a sense of it being their game, a situation directly parallel to the arcades.

Und die Lehre aus dem Ganzen?

The question facing many game publishers and developers now is: will we benefit from moving over to a service model, and can we make the transition? In some cases, the service model will make more sense – sports games like Madden with an annual update no longer make sense as boxed products[.]

Diese Frage sollte sich auch die Buchbranche stellen: Wo machen Leihmodelle mehr Sinn? Bei aktualisierbaren digitalen Inhalten (vom Reiseführer mit Stadtplan bis zum klassischen Inhalt von Loseblattsammlungen)? Bei transmedialen Inhalten? Bei veraltenden Informationen, die sowieso kein zweites Mal gelesen werden (und dazu zählen auch Rollenspiel-Regelwerke, deren Neuauflagen die alten ja ersetzen sollen)?

(via onlyagame)

Von Mäusen und Clouds

Interessanterweise ist das Thema einiger Kommentare der letzten Tage der (richtige) Umgang mit Sprache im Hinblick auf IT-Themen. Meines Erachtens ein spannendes Phänomen, weil die „richtige“ Sprache der entscheidende Faktor ist, dass Botschafen bei Lesern ankommen.

Nebulöse Begrifflichkeiten

Was mich vielmehr wundert, ist die Tatsache, dass unter dem Titel „Cloud Computing“ überhaupt etwas verkauft wird. Warum? Weil der Begriff genauso nebelig und diffus ist wie die Wolke, für die er steht. Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass in jedem Beitrag über „Cloud Computing“ immer erst einmal der Begriff geklärt wird?

Damian Sicking setzt sich in einem Kommentar auf Heise Online mit dem Begriff des Cloud Computing auseinander – und trifft dabei zielsicher die wunden Punkte.

Angsterzeugende Phrasen

Der durchschnittliche Büromensch betätigt seine Maus grob geschätzt 5.000 Mal – pro Tag. Wie oft er dabei wohl denkt: „Wahnsinn, was so ein Mausklick bewirkt“?

Eine Satire auf Zeit Online über die Angstrhetorik des Mausklicks – gute Unterhaltung für zwischendurch.

Das gedruckte Wort stirbt langsam und qualvoll. Oder?

Henry Jenkins bloggt ein Interview mit Ted Striphas über sein Buch „The Late Age of Print„.

What the alarmists get right is an appreciation for how books exist within a densely packed media sphere, where more and more media seem to vie for our attention each day. Unfortunately, they tend to glance over just how complex this relationality actually is.

Vor allem in den Distributionskanälen vermischen sich digitale Technologien mit dem gedruckten Wort. Und wenn man sich „experimentelle“ Marketingstrategien in Social Media oder anderen digitalen Kanälen ansieht, sind das auch Rückwirkungen, die nicht bedacht werden.

Im ersten Teil geht es außerdem um die Alltäglichkeit von Büchern – u.a. darum, dass es sich eben nicht nur um ein Transportmedium für Inhalte handelt, sondern auch um eine bestimmte Form ihrer Präsentation und Tradition, die selbst Funktionen erfüllt („ever killed a bug with a book?“). Und natürlich spielt auch die vermeintliche Ablösung des Printbuchs durch das digitale (oder digitale Inhalte im Allgemeinen) eine Rolle – Striphas argumentiert eher für eine Koexistenz.

And as I mentioned before, many publishers now seem to think that a digital strategy will be the turnkey solution to all their problems. To me this demonstrates unimaginative thinking, as the Bernays example shows. Why not encourage home builders to install bookshelves in new homes, as Bernays also did? Why not try to figure out how to connect books better with readers, as Oprah Winfrey did?

Am Ende des ersten und am Anfang des zweiten Teils geht es dann um individuelle Ansprüche und kollektive Lösungen. Striphas beklagt zurecht, dass eReader (und auch Shops) häufig „catch ‚em all“-Lösungen und damit nicht individualisiert genug sind. Sie bedienen einen generellen Konsumenten.

DRM und andere Schutzmechanismen kommen nur kurz zur Sprache:

I find it naive to think that anyone can control a digital copy of anything, even if it’s digitally rights managed. When I worked at a hardware store in high school, my boss was fond of saying, „locks are for honest people.“

Dafür bietet Striphas im Anschluss einige Überlegungen zu Piraterie und Rechteverletzung etwa durch Fan Fiction. Unbedingt lesenswert! Und ein anderes Interview, auf das Striphas in seinem Blog verweist, ist unbedingt hörenswert.