Das Leistungsschutzrecht: Verliert das Web den Hyperlink?

Sowohl Golem.de als auch netzpolitik.org befassen sich mit der Möglichkeit, dass die (deutschsprachige) Wikipedia demnächst ohne externe Links auskommen müssen könnte:

In Wikipedia-Artikeln gibt es Weblinks mit weiterführenden Informationen, bei denen fraglich sei, ob sie unter das Zitatrecht fallen. Bislang sei vollkommen unklar, ob diese Links, die jeweils die Überschriften von Presseartikeln enthalten, eine Verletzung des neuen Leistungsschutzrechts darstellen. Laut der Begründung des Bundesjustizministeriums sollen Links zwar nicht unter das neue Leistungsschutzrecht fallen, unsicher ist jedoch, ob dies auch für den verlinkten Text gilt. (Golem.de)

Beide Quellen beziehen sich damit auf eine Pressemitteilung der Wikimedia Foundation. Wird das Realität, verliert die (deutschsprachige) Wikipedia entsprechend einigen Wert als Quelle und vor allem Rechercheanfang. (Dann nutze jedenfalls ich vermutlich nur noch die englischsprachige.) Und gleichzeitig verliert das deutsche Web mit einer Einschränkung der Linkfreiheit viel von seiner Hauptfunktion – was ist das Web anderes als verlinkte Hypertexte?

Eine weitergehende rechtspolitische Analyse, bei der das geplante Leistungsschutzrecht naturgemäß nicht gut weg kommt, findet sich ebenfalls bei Netzpolitik.

Hoffnung für die Netzpolitik

Über einen Spiegel Online-Artikel bin ich an einer Rede von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hängengeblieben. Der Autor fasst u.a. zusammen, dass sich die Justizministerin für das Recht auf Anonymität im Internet ausgesprochen hat:

Pöbeleien gebe es nicht erst, seitdem es Blogs und Foren gebe. In den Straßen, auf Marktplätzen und Foren werde „ganz anonym aus der Menge heraus krakeelt und gespottet“, so die Ministerin. „Für ein Mehr an Freiheit durch das Internet“ müsse man mit „gelegentlichen anonymen Entgleisungen leben können.“

Nach weiterer Recherche bin ich dann hier auf den Originalwortlauf der Rede gestoßen – und habe eine Einschätzung von prominenter politischer Stelle vorgefunden, der ich wirklich zustimmen kann.

Recht auf Anonymität

Das Thema des anonymen Surfens habe ich vor ein paar Tagen in einem Artikel schon behandelt, weswegen ich hier nur kurz die Argumentation Leutheusser-Schnarrenbergers nachzeichnen möchte.

Wen träfe denn ein Klarnamenzwang in erster Linie? Es träfe vor allem die Minderheiten, die Ängstlichen und Schwachen. Die Menschen, die sich am dringlichsten auf Pseudonyme verlassen, sind diejenigen, die von der Gesellschaft am meisten ausgegrenzt werden. Darunter sind Missbrauchsopfer, politische Aktivisten, Kranke, Menschen mit besonderer sexueller Ausrichtung, Kinder- und Jugendliche. […]

Ein Verbot von Anonymität und Pseudonymität im Internet hieße also, gerade die Mindermeinungen verstummen zu lassen, die eine liberale, pluralistische Gesellschaft erst ausmachen – und wäre in Deutschland daher auch verfassungsrechtlich hoch problematisch.

Für den politischen Diskurs bietet die Möglichkeit der verdeckten Meinungsäußerung übrigens einen wichtigen Vorteil: Sie schafft ein sehr niedrig-schwelliges Angebot auch für solche Menschen, die bisher nicht aktiv am politischen Meinungsbildungsprozess teilgenommen haben.

Anonymität ist laut der Justizministerin also ein Mittel zu breiter Meinungsäußerung. Im Zuge dessen muss die Gesellschaft dann auch in der Lage sein, weniger erwünschte Meinungen zu tolerieren – was aber nichts Neues ist. Als Vergleich führt sie die anfangs erwähnten anonymen Zwischenrufer auf. Das Internet ist damit „nur“ ein weiterer Marktplatz zur Meinungsäußerung.

Datensparsamkeit und Datenschutz

Mit zunehmender Anonymität (bei Leutheusser-Schnarrenberg abgegrenzt zu Pseudonymität) gäbe es dann auch mehr Privatsphäre:

Wer vor diesem Hintergrund einen Zwang von Klarnamen im Internet fordert, will nicht nur einen parteiübergreifenden Konsens für mehr Datensparsamkeit und -schutz im Internet aufkündigen, sondern in das glatte Gegenteil verkehren. Bester Schutz der Privatsphäre ist nämlich die Möglichkeit der Nichtnennung des eigenen Namens.

Ein achtsamer Umgang mit den eigenen Daten setzt natürlich auch das Wissen voraus, wer die Daten speichert, wie sie verwendet und an wen sie weitergegeben werden.
Wir müssen deshalb verbesserte Rahmenbedingungen schaffen, um informierte und freie Entscheidungen über die Nutzung der eigenen Daten zu erleichtern. Ein sinnvoller Weg dazu ist die Errichtung einer Stiftung Datenschutz – hier müssen die Vorbehalte und Bedenken des Bundesinnenministeriums endlich aus dem Weg geräumt werden, damit die Stiftung – wie vom Innenministerium wiederholt angekündigt – nun wirklich ihre Arbeit aufnehmen kann.

Vorstoß in Richtung Kulturflatrate

Einen weiterer Beitrag, um mir ein wenig Glauben in die Netzpolitik zurückzugeben, kam übrigens von den Grünen. Wie Börsenblatt Online berichtet, macht sich einer der Grünen-Netzexperten, Konstantin von Notz, weiter für eine Kulturflatrate stark. Die Kulturflatrate ist momentan das Modell, das mich am meisten überzeugt, in erster Linie deshalb, weil es meinen Nutzungsgewohnheiten entgegenkommt. Einmal zahlen und dann ungestört konsumieren können, ohne sich ein weiteres Mal um Abrechnung kümmern zu müssen – das ist das, was ich unter Komfort verstehe.

Sonntagslinks: Haeusler und Beckedahle zu ACTA und Urheberrecht

Markus Beckedahl schreibt bei Netzpolitik über einen Artikel der BrandEins, der sich gegen Urheberrechtsreform und pro ACTA ausspricht.

Johnny Haeusler ärgert sich über die ganze ermüdende Debatte – und kündigt an, „urheberisch“ stärker tätig zu werden. Besonders stören ihn ständig wiederkehrende Halbwahrheiten, etwa:

„Was nichts kostet, kann auch nichts wert sein“?

Aha.

Wikipedia: Nichts wert? Nachbarschaftshilfe: Nichts wert? Gemeinnützige Arbeit: Nichts wert? Meine Texte, die ich seit 10 Jahren ins Netz stelle: Nichts wert? Instagram, hihi: Nichts wert??

Wie furchtbar eindimensional ist eigentlich so ein Leben, in dem man Werte nur anhand ihres Handelspreises misst?

Achja, und den Unsinn Dieter Nuhrs, auf den Fefe hinweist, kann man auch erwähnen – wenn auch nicht im Beitragstitel:

Die "Netzkinder"

Netzpolitik linkte diese Woche einen recht interessanten, freien Zeit-Artikel eines mir völlig unbekannten polnischen Dichters namens Piotr Czerski. Derer als Quasi-Manifest abgefasste Diskussionsbeitrag versucht, das Lebensgefühl jener zu beschreiben, die Online viel eher zu Hause sind als an irgend einem Offline-Ort. Ich habe mich vielfach wiedererkannt und kann die Lektüre nur empfehlen. Ein Auszug:

 

Wir verstehen, dass Kreativität – trotz der zunehmenden Verbreitung von Technologien, mit denen jeder Mensch Film- oder Musikdateien in einer Qualität erstellen kann, die früher Profis vorbehalten war – immer noch Anstrengungen und Investitionen erfordert. Wir sind bereit zu zahlen, aber die gigantischen Aufschläge der Zwischenhändler erscheinen uns ganz einfach als unangemessen. Warum sollten wir für die Verbreitung von Informationen zahlen, die schnell und perfekt kopiert werden können, ohne den Wert des Originals auch nur um ein Jota zu verringern? Wenn wir nur die reine Information bekommen, verlangen wir einen angemessenen Preis. Wir sind bereit, mehr zu zahlen, aber dann erwarten wir auch mehr: eine interessante Verpackung, ein Gadget, höhere Qualität, die Option, es hier und jetzt anzuschauen, ohne warten zu müssen, bis die Datei heruntergeladen ist.

Wir können durchaus Dankbarkeit zeigen und wir wollen den Künstler belohnen (seit Geld nicht mehr aus Papier besteht, sondern aus eine Reihe von Zahlen auf einem Bildschirm, ist das Bezahlen zu einem eher symbolischen Akt geworden, von dem eigentlich beide Seiten profitieren sollen), aber die Verkaufsziele irgendwelcher Konzerne interessieren uns kein bisschen. Es ist nicht unsere Schuld, dass ihr Geschäft in seiner traditionellen Form nicht mehr sinnvoll ist und dass sie, anstatt die Herausforderung zu akzeptieren und zu versuchen, uns mit etwas zu erreichen, das uns mehr bietet als wir umsonst haben können, entschieden haben, ihre veralteten Lösungen zu verteidigen.

Wir finden im Netz die Filme, die wir als Kinder gesehen haben und wir zeigen sie unseren Kindern, genauso wie ihr uns die Geschichte von Rotkäppchen oder Goldlöckchen erzählt habt. Könnt ihr euch vorstellen, dass euch jemand deswegen anklagt, gegen ein Gesetz verstoßen zu haben? Wir auch nicht.

Deshalb sind wir, als Nutzer des Staates, zunehmend verärgert über seine archaische Benutzeroberfläche.