Brauchen wir Transmedia Ethics?

Lesen.net und eine Krimibloggerin regen sich auf, weil der Krimibloggerin eine Kondolenzkarte zukam, die sich bei näherem Hinsehen als „Marketing“ entpuppte.

Nicht jeder freut sich über Trauerbriefe als rabbit hole ...
Nicht jeder freut sich über Trauerbriefe als rabbit hole …

Mein erster Gedanke war: Als Krimiblogger sollte man doch wohl etwas mit den Begriffen „Transmedia Storytelling“, „Alternate Reality Game“ und „rabbit hole“ anfangen können – und ich verstand vor allem nicht, warum lesen.net keine entsprechenden Quellen zitiert. Stattdessen wirft das Portal (das ich ansonsten sehr schätze!) auch noch Fitzeks „Das Kind“-Experience in den Topf, dessen Recruiting jedenfalls subtiler war.

Mein zweiter Gedanke war: Sofern ich mich nicht explizit für ARGs registriert habe (wie etwa bei Folge dem Kaninchen), möchte ich auch nicht unbedingt Kondolenzbriefe als rabbit holes bekommen. Oder verschicken: Man weiß nie, ob die potenzielle Alice nicht gerade mit einem Verlust leben muss. Oder, wie es AMOS in einer von mir auf Facebook angestoßenen Diskussion ausdrückte:

Alexander Maximilian Otto Serrano: Wenn jemand strikt für eine Trennung von Fiktion und Realität ist, dann sollte er keine fiktiven Traueranzeigen bekommen. Es gibt andere Leute, bei denen man ja sicher weiss, wie ihre Haltung zu Inszenierungen ist.

Was ich auch nachvollziehen kann, ist ein Überdruss, wenn man die fünfte Traueranzeige und den dritten „Helf mir!“ Hinweis per Post bekommt. Da gehen dem Marketing wohl langsam die Ideen aus. Wenn die Story dahinter stimmt und wenn die Überraschung – also das Rabbit Hole – auf den Empfänger zugeschnitten sind, sollte man das vermeiden können. Sinn und Zweck ist doch, Immersion und eine tolle Geschichte UND natürlich Marketing zu bieten und keine plumpen Knalleffekte.

Dozentur für Transmedia Ethics zu vergeben!

Und nun meine Frage: Brauchen wir so etwas wie „Transmedia Ethics“? Denn eins ist klar: Nicht jeder hat das Millionenbudget, um auf der San Diego Comic Con Dollarscheine mit dem Konterfei seines Antagonisten regnen zu lassen, und nicht jeder sammelt seit Jahren Kontaktadressen von bereitwilligen Mitspielern. Spieler sind also rar gesät – es liegt nahe, hier auf einen Pool öffentlich zugänglicher Multiplikatoren (vulgo: Blogger des entsprechenden Genres) zurückzugreifen. Und jedenfalls ich habe mich über die rabbit holes gefreut, die mir bislang zugegangen sind (danke Thomas und Doro!). Ich mag erzählerische Experimente wie ARGs und fände es schade, wenn sich hier Vorbehalte aufbauen. Die „Ethics“ müssen also auch eine gewisse Sorgfaltspflicht in der Auswahl der Spieler, der passenden Ansprache und der Qualität der Medien enthalten.

Was sie nicht tun sollten: ARGs zähmen. Denn im Schock liegt schon seit Aristoteles ein Teil der narrativen Wirkung, und Transmedia lebt vom Sprung zwischen Realität und Fiktion. TINAG!

Transmedia Storytelling im Nachwuchs- und im Buchmesseblog

Eine spannende Reihe im Buchmesseblog, gepflegt von Studenten (und Dozenten) der Mainzer Buchwissenschaft, stellt Transmedia Storytelling in einigen Artikeln vor. Und im Nachwuchsblog liefert Alexandra Strohmeier einen Überblick. Sie fasst den Grundgedanken gut zusammen:

Bücher eröffnen Welten, warum sollten diese Welten also nicht weitergetragen, ausgefüllt, entwickelt und bereichert werden. Mehr noch, die Welten können schon während der Entstehung verschmelzen oder durch ihre Verknüpfung Geschichten erst hervorbringen.

Die einzelnen Beiträge sind lesenswert, etwa die Einführung, die anhand des Batman-Universums die Idee transmedialen Erzählens ausführt – besonders aber die beiden Artikel über EVE Online und Guild Wars.

пончик @ Wikimedia Commons

Und ferbe beschäftigt sich mit einem weniger bekannten (und irgendwie gescheiterten) Vorläufer der heutigen transmedialen Erlebniswelten: Dem Matrix-Kosmos.

Größtes Problem an dem ganzen Projekt: nur Wenige, die den Film gesehen haben, wussten überhaupt, dass man über die Kurzfilme und Computerspiele tiefer in diese Welt eintauchen konnte. So verwundert es schlussendlich auch nicht, wenn keiner verstanden hat, warum zum Beispiel einfach Leute quasi aus der Luft fallen und den Helden bei ihrer Mission helfen. Nur diejenigen, die vorher das Computerspiel gespielt hatten, also die zwei Nebencharaktere die genau in der Szene auftauchten, verstanden den Zusammenhang. Ob es letzten Endes nun an zu wenig Werbung gelegen hat oder einfach nur daran, dass die Spiele nie so ankamen wie geplant: Fakt ist, dass das Ganze als Transmedia Storytelling-Projekt schief ging.

Und jetzt? Jetzt bin ich gespannt auf das, was die Buchmesse bringt, was weiße Kaninchen flüstern, und welche spannenden Projekte die Verlage (und ihre Agenturen) bereithalten. Egal, ob sie unter dem Buzzword Transmedia Storytelling oder Experience laufen. Worauf es ankommt, wie schon immer im Verlagswesen wie auch im Marketing: Erzählt Geschichten!

Findet Jonathan: Transmedia Storytelling im Selbstversuch

Schade, daß es nun anscheinend vorbei ist. Hat wirklich Spaß gemacht! Sollte sich was Neues ergeben bin ich auf jeden Fall diesmal von Anfang an dabei. („Findet Jonathan„-Spielerin)

Alles Schöne muss irgendwann zu Ende gehen … ein Trost, wenn man denn hinterher sagen kann, dass es sich gelohnt hat. Von unserem Alternate Reality Game (über das wir an früherer Stelle bereits berichteten) können wir das guten Gewissens sagen. Unser Trailer hat bislang über 700 Klicks erhalten, unser ARG auf Facebook brachte es auf eine wöchentliche Reichweite von bis zu 1.000 Usern.

Aktive Spieler

Was uns besonders gefreut hat: Die 90-9-1-Regel haben wir getoppt. Wenn man die 9%- und die 1%-Gruppe zusammenfasst, sind das normalerweise 10% – wir sind hier auf phänomenale 11,25% gekommen – also überdurchschnittlich viele aktiv-produktive User.  Auch an anderer Stelle hat sich die Aktivität der Spieler gezeigt. Im Zuge von Recherchen über die letzten Aktivitäten des verschwundenen Jonathan (rechts im Bild, gemeinsam mit Nick, einem seiner engen Freunde) wurde die von uns „gegründete“ Brauerei Wilder Tann immer wieder angeschrieben und um Informationen gebeten. Und unsere fiktive Privatdetektivin wurde abschließend sogar vor dem mysteriösen Ikarus gewarnt.

Weiter geht’s …

… auf Lovelybooks. Unabhängig vom ARG machen wir auf Lovelybooks eine Leserunde. Die Freiexemplare für die Testleser sind leider schon weg, aber die Beteiligung an der Diskussion über das Buch ist natürlich trotzdem möglich. Hier wollen wir auch nochmal über den Buchtrailer diskutieren, mit dem wir bewusst gewohnte Wege verlassen wollten. Wir sind gespannt auf die Meinungen, wie uns das gelungen ist!

Das Team

„Wir“, das sind „Die Erzähler“, bestehen aus Sabine Hafner, Dennis Schmolk und mir, Hanna Hartberger. Als Buchwissenschafts-Absolventen und Social-Media-Junkies haben wir uns gefreut, mit KOSMOS einen starken und aufgeschlossenen Partner für unser erstes ARG gefunden zu haben. Unsere Spieler hoffen auf viele weitere – und wir auch!

Tablets 2012: Gaming und mehr

2011 wurde schon als „Jahr der Tablets“ angekündigt, 2012 soll es wieder werden, nachdem die Industrie anscheinend den Absatz nicht für ausreichend hielt, um diese Bezeichnung aufrecht zu erhalten.

[W]orldwide sales of media tablets (iPads and Androids) rose from 17.6 million in 2010 to 63.6 million in 2011 and are expected to grow to 103.5 million this year and to 326.3 million in 2015. (Gamasutra)

(Bildquelle: LGEPR @ flickr.com, Lizenz: CC-BY)

Nehmen wir an, Ende 2012 haben 300.000.000 Menschen weltweit einen Tablet mit ausreichenden technischen Spezifikationen, um zumindest teilweise der aktuellen Generation von Spielekonsolen Konkurrenz zu machen. Wie im Smartphone-Markt wird sich das auf iPads mit iOS und diversen Geräten mit Android-Systemen verteilen, dazu kommen zahlreiche speziellere Betriebssysteme, andere Unix-Derivate als Android und vermutlich auch das eine oder andere Windows-System. Die Frage ist: Woher kommen die Inhalte?

Das größte Problem der Android-Tablets ist aber weder die Hardware noch das Betriebssystem, sondern die fehlenden Inhalte. So entwickelt sich laut Amazon das Fire zum Verkaufsschlager in den USA [weil es] einen entscheidenden Vorteil [bietet]: Es greift auf die Multimedia-Inhalte von Amazon zu, also auf deren Film-, Serien-, Zeitschriften- und Bücherangebot – und das zu einem günstigen Preis. (Heise)

Die Inhalte sind zentral. Denn auf einem Tablet kommen diverse Content-Typen zusammen: von Videos über lineare Langtexte bis hin zu interaktiven Anwendungen wie Spielen. Im oben verlinkten Gamasutra-Artikel äußert sich der Manager eines developers für mobile Anwendungen:

Developers need to take advantage of tablets‘ continuous connectivity, their unique touchscreen-based control systems, their integrated features like push notifications, the freemium business model, and the „ultra-convenience“ of being able to get software at the app stores. He doesn’t see any of the current game consoles competing with the app stores in terms of their wide variety of freemium content and their ease of use of downloading and installing games.

Das gilt nicht nur für Games, das gilt in abgewandelter Form für viele Content-Typen, insbesondere, wenn viele Kanäle zu transmedialen Welten zusammelaufen sollen. Ich zitiere nochmal Thomas Zorbach:

[D]a stehen Buchverlage dann natürlich in Konkurrenz mit allen anderen Entertainment-Unternehmen, die auch Geschichten vermarkten – Film, Computerspiele etc. Die Unternehmen, die es schaffen über ihren Tellerrand zu blicken und Konvergenz herzustellen, werden gewinnen. Die Buchbranche hat hier den Nachteil, dass dort eben Buchliebhaber, sitzen, ohne das herabwürdigen zu wollen. Aber diese enge Bindung an ein Medium setzt Grenzen.

Dennoch erleben wir gerade eine Phase des Experimentierens und Herumprobierens in Sachen Transmedialität. Und ich kann nur jeden Verlag dazu ermutigen, eigene Erfahrungen zu sammeln, auch wenn es nicht gleich in der Kasse klingelt. Was jetzt zählt sind Erfahrungen, was machbar ist mit den neuen technischen Möglichkeiten, welche Leute man sich an Bord holen muss, ob man etwa einen Videospezialisten im eigenen Haus braucht, Leute, die sich mit Games auskennen, und dann zu sehen, welche Produkte, welche Erlebniswelten man anbieten kann.

Tablets sind die richtige Plattform, um hier zu experimentieren. Ich bin gespannt, wann es ein „Jahr des Tablets“ für die Buchbranche geben wird!

(DS)

Ein Interview mit Thomas Zorbach von vm-people – Teil 1

Im Rahmen meiner Bachelorarbeit entstand u.a. ein Interview mit Thomas Zorbach von vm-people. Wir unterhielten uns über Transmedia Storytelling, wirkungsvolle Verlagswerbung und die akademische Forschung.

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