Ein Interview mit Thomas Zorbach von vm-people – Teil 2

Dies ist der zweite von drei Teilen meines Interviews mit Thomas Zorbach (Teil 1, Teil 3 [folgt]).

Diese Kontaktzahlen sind aber aufgrund der Netzwerkeffekte schwer messbar, oder?

Über Social Media Tracking Tools ist recht gut zu beobachten, was online passiert. Schwerer zu beobachten ist, ist was außerhalb der Social Media geschieht. Und das ist ja auch ein Stück weit unser „Mantra“ bei vm-people: Alles endet irgendwann auch im Realen. Die Gespräche, die außerhalb von Facebook und Twitter geführt werden, muss man natürlich auch auf dem Schirm haben. Gerade bei ARGs ist das Erlebnispotenzial sehr hoch. Für viele Teilnehmer ist das ein so einmaliges Erlebnis, dass sie Jahre später noch davon berichten. Das kann man natürlich nicht alles tracken.

Eine Frage zu Ihrem Ablauf: Auf Ihrer Website folge-dem-kaninchen.de kann man sich ja bewerben, um an ARGs teilzunehmen. Wählen Sie aus dieser Datenbank Leute mehrfach aus, um mitzumachen?

Die Website folge-dem-kaninchen.de gibt es noch nicht sehr lange, sie entstand 2010 im Zusammenhang mit dem Projekt „Die Zeit wird knapp“, dem ARG zu „Numbers“. Wir haben uns damals gefragt: Wie können wir Jugendliche in die Geschichte verstricken? Davor hatten wir Leuten ohne Registrierung seltsame Dinge zugestellt. Im Fall von Sebastian Fitzek haben wir beispielsweise mal Pizzaboten losgeschickt und den Leuten eine Pizza nach Hause geliefert, samt einem USB-Stick. Solange es sich um Erwachsenen handelte war das alles kein Problem, eine sorgfältige Auswahl vorausgesetzt. Wir haben uns dann aber überlegt, dass wir das bei Jugendlichen nicht auf die gleiche Art umsetzen können. Da hätte Probleme mit den Eltern gegeben. Wir wollten sicher gehen, dass die Jugendlichen ihre Einwilligung geben, auf die wir uns hätten berufen können. Das war „die Geburtsstunde des weißen Kaninchens“.

Wir haben dann festgestellt, dass das Prinzip der Einwilligung sehr viel besser funktioniert: Von diesem Zeitpunkt an konnte sich nun jeder anmelden, nicht nur Jugendliche, und wir hatten plötzlich einen Datenbank zur Verfügung, einen Pool an Interessenten. Bei jedem neuen Verlagsprojekt kommen nun weitere Kaninchenfans hinzu, weil die Verlage über ihre Kanäle ankündigen, dass bald eine größere Geschichte beginnt. So hat sich der Kreis an Leuten mit jedem neuen Projekt erweitert, so dass wir, wenn wir wie aktuell mit dem Rowohlt-Verlag am Beginn einer neuen „Experience“ stehen, eine gute Mischung an Teilnehmern haben: Alte „Hasen“, die schon länger aktiv sind und klassische Buchleser, die bislang nur von ARGs gehört haben und nun selber einmal dabei sein möchten.

Sie erheben bei der Anmeldung ja auch ein paar sozialempirische Daten. Wie fließt das ein? Wählen Sie da eine Mischung aus? Oder nehmen Sie die Leute, die in die Zielgruppe des Produkts passen?

Wenn jemand angibt, er hat von der bevorstehenden Experience über Rowohlt erfahren und interessiert sich für Spannungsliteratur, hat er natürlich gute Karten unangekündigten „Besuch“ vom Kaninchen zu bekommen. Ein weiteres Kriterium bei der Auswahl ist, ob jemand eine eigene Publikationsplattform betreibt oder in Social Media aktiv ist. Das hängt damit zusammen, dass die Geschichte Kreise zieht, wenn wir solche Multiplikatoren erreichen.

Für welche Inhalte eignet sich denn Transmedia Storytelling als Instrument? Und welche Rolle spielt der Nutzer dabei – was motiviert ihn?

Generell eignet sich Transmedia Storytelling immer dann, wenn es um Geschichten geht. Also in der Entertainment-Industrie: Film, Buch, Computerspiele, vielleicht auch Musik. Das steht im Kern, und da endet für mich auch der Stand des mir bekannten Forschungsdiskurses. Eine zentrale Frage für mich in meinem Forschungsjahr wird sein, wie relevant Transmedia Storytelling für Unternehmen und Marketingleute außerhalb der Entertainment-Industrie überhaupt ist.

Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Sie bezogen sich ja auf den Nutzer.

Ja, oder auf den „Kunden“ oder wie Sie ihn nennen möchten.

Wir haben auch schon überlegt, ihn den „Erleber“ zu nennen, aber wirklich glücklich bin ich damit noch nicht.

Es gibt ja so eine Art „Bastian-Effekt“, angelehnt an die „Unendliche Geschichte“. Das Phänomen, dass man von der Geschichte, so eingenommen wird, dass man in sie eintaucht und richtiggehend traurig ist, wenn man die letzte Seite eines Buches durch hat und zurück muss in die schnöde Realität. Mit dem Prinzip des Transmedia Storytelling haben Produzenten, also auch Verlage die Möglichkeit das Publikum an ein Story-Universum zu binden und ausgehend, vom gedruckten Buch ihre Inhalte zusätzlich zu monetarisieren. Teile der Geschichte werden außerhalb des gedruckten Buches erzählt und sagen wir, als Webnovel, als Enhanced E-Book oder als Game vertrieben. Wichtig ist, dass sich die Inhalte in den diversen Medien komplementär ergänzen und die Fans immer wieder neue Aspekte der Geschichte erleben können. Nur so sind sie bereit dafür Geld zu zahlen. Verlage haben eine Kompetenz für Geschichten. Wenn die Verlagsleute bereit sind, sich noch mehr als bisher vom Medium Print zu lösen, ergeben sich aus meiner Sicht ganz neue Möglichkeiten und Chancen.

Im letzten Teil des Interviews, der morgen erscheinen wird, geht es um Erlebniswelten und neue, transmediale Berufsbilder.

 

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