Der Sprung ins kalte Wasser. Mein Abschied von der Buchbranche [Metamorphosen]

Unsere Reihe Metamorphosen behandelt Lebens(abschnitts-)wege, die nicht ganz linear verlaufen. Quer-Ein/Aus/Um-Steiger (vor allem aus der Medienbranche) zeigen, dass es spannender geht als vierzig Jahre dasselbe zu machen.

Anja Kujasch
Anja Kujasch

„Wenn Sie hier sind, nur weil Sie Bücher lieben, sind Sie definitiv falsch“, erklärte die Professorin in der Einführungsveranstaltung mit einem strengen Blick über ihren Brillenrand. Buchwissenschaft war das Fach meiner Wahl. Ganz pragmatisch hatte ich Wirtschaftswissenschaften als zweites Hauptfach gewählt. Schließlich kann ein Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge auch nach dem Uniabschluss hilfreich sein. Natürlich saß ich vor allem in diesem Saal und in dieser neuen Stadt, weil ich Bücher liebte. Weil sie mir schon in meiner Kindheit ein Tor in die Welt eröffnet haben. Weil sie die Neugier stillen und gleichzeitig tausend neue Fragen aufwerfen. Deshalb wählte ich dieses Studienfach. Als Arbeiterkind aufgewachsen, hatte ich eine wage Idee, dass es noch mehr zu wissen geben könnte. Ich ließ mich nicht beirren.

Die ersten Semester mit Nebenjob und Ach und Krach über die Runden gebracht, war es Zeit für die ersten praktischen Erfahrungen in der Branche. „Generation Praktikum“ nannten uns die Journalisten in den Medien und das nicht ohne Grund. Die Buchverlage rechneten fest mit den oftmals kostenlosen Arbeitskräften. Beim Kopieren, Faxen und Summen ziehen in Excel wurde schnell klar, dass die Arbeitswelt in der Buchbranche nicht unbedingt den bunten Reichtum der Bücherwelt im Generellen widerspiegelt. Ist es also egal, was man verkauft? Bücher oder Betriebssysteme? Große Literatur oder schnelllebige Programme? Das nächste unbezahlte Praktikum bei einem renommierten Buchverlag wollte ich mir nicht leisten. Die BAföG-Förderung erlaubte keine großen Sprünge. Und ein halbes Jahr für lau zu arbeiten wäre definitiv einer. Zudem kein schlauer, wie sich beim bezahlten IT-Praktikum schnell herausstellte. Ins kalte Wasser geworfen, lernte ich rasch schwimmen. Eigenverantwortliches Arbeiten und stetig neue Herausforderungen sind noch immer die wesentlichen Komponenten, die ein guter Job meiner Ansicht nach für mich mitbringen muss. Der Gedanke, dass die Möglichkeit, die Buchbranche zu verlassen, überhaupt besteht, war damit gesät.

Mit dem Magisterabschluss in der Tasche, gab ich dem originären Vorhaben „irgendwas mit Büchern zu machen“ noch eine Chance. Anders als in anderen Branchen gibt es in der Buchbranche ein ungeschriebenes Gesetz: Ein Universitätsabschluss befähigt nicht dazu, in einem Buchverlag zu arbeiten. Auch nicht einer in Buchwissenschaft. Anders als sogenannte Volunteers im freiwilligen Auslandsdienst starten Absolventen, die es in die Buchbranche zieht, obligatorisch als Volontäre. Das geringe Startgehalt wird erfahrungsgemäß auch später kaum steigen. Schließlich ist oft statt dem ersten erhofften Karrieresprung lediglich eine kurze Elternzeitvertretung drin.

Doch es geht nicht nur ums Geld, solange es für Miete und Strom reicht. Es geht vor allem um Entwicklungsmöglichkeiten und die Verwirklichung von Ideen. Selbst Geduldige werden nervös, wenn die Branche, wie es vor wenigen Jahren noch der Fall war, ihr Mantra vom guten alten gedruckten Buch predigt und Konzepte für Erlebnisbuchhandlungen vorlegt, während  der Kampf mit Amazon & Co. um Marktanteile am deutschen Buchmarkt längst entbrannt ist. Die rasante digitale Entwicklung der letzten Jahre liest sich wie ein guter Krimi. Immer neue technologische Möglichkeiten bieten immer neue Betrachtungsweisen und verlangen entsprechende Handlungsempfehlungen. Nicht zuletzt bieten sie vielfältige, anspruchsvolle Jobmöglichkeiten. Ich liebe Bücher nach wie vor. Gerne auch in digitaler Form. Die digitale Mediaplanung, mit der ich mich mittlerweile befasse, ist ein sich rasch wandelnder Bereich des Online-Marketings. Das Ziel ist es, die potenziellen Kunden mit einer effizienten Kombination der verschiedenen Werbekanäle für eine Marke oder ein Produkt zu begeistern statt mit schlechten Werbeanzeigen zu nerven. War es rückblickend richtig, die Branche zu wechseln? Für mich auf jeden Fall, schließlich spring ich lieber ins kalte Wasser als weiter Trockenübungen an Land zu machen.

Anja Kujasch ist Digitalplanerin bei einer weltweit agierenden Mediaagentur. Nach ihrem Studim der Wirtschaftswisschenschaften und Buchwissenschaft absolvierte sie ein Marketing-Volontariat bei einem rennomieren Ratgeberbuchverlag. Danach wechselte sie in eine Online-Marketing-Agentur. Sie ist verheiratet und wenn sie in ihrer Freizeit nicht gerade liest, gerne mit dem Mountain Bike unterwegs. [Xing]

Mainzer Buwi startet experimentelle eBook-Reihe für Bachelorarbeiten

Meine eigene BA habe ich ja bei GRIN veröffentlicht. GRIN, die Buchmarketing-Agentur bilandia und die Buchwissenschaft Mainz haben nun die Plattform Initialen gestartet, eine Schriftenreihe für gut bewertete, innovative, spannende Bachelorarbeiten. Und heute geht es los:

Die Digitalisierung verändert nicht nur das Medium Buch, sondern die ganze Buchbranche. Um nicht nur wissenschaftlich-theoretisch, sondern ganz praktisch an diesem Prozess teilzuhaben, veröffentlichen Studierende der Buchwissenschaft Mainz im Juli 2013 selbst E-Books. Die Studierenden lektorieren neun aufgrund ihrer herausragenden Qualität ausgewählte Abschlussarbeiten, bereiten sie für die elektronische Publikation vor und übernehmen Marketing und Pressearbeit.
Im Rahmen der Übung „Das Buch im Medienverbund“ des Instituts für Buchwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz erscheinen die E-Books am 8. Juli 2013 in der neuen Reihe „Initialen“. Die Bandbreite der behandelten Themen zeigt dabei die ganze Vielfalt der buchwissenschaftlichen Forschung in Mainz (eine Übersicht der E-Books finden Sie am Ende dieser Mail).
Das Pilotprojekt leitet der Dozent Dominique Pleimling in Zusammenarbeit mit Peter Schmid-Meil, Programmleiter des GRIN Verlags, und Albrecht Mangler, Marketing und Creative Director bei der Agentur Bilandia.

Initialen-Flyer

Man darf gespannt sein, was den Leser dort erwartet. In jedem Fall ist „Initialen“ eine schöne Verankerung der ePublishing-Praxis in der universitären Lehre. Weiter so, Unis!

Kurzrezension: Literatur und Digitalisierung

Der hübsch ausgestattete Band – bei diesem Preis kein Wunder, s.u. – enthält eine ganze Reihe von Artikeln und Beiträgen, einige davon rein akademischer Natur (und damit irgendwie immer veraltet), andere mit mehr praktischem Schwerpunkt. Denn der Band „richtet sich [auch] an Personen, die beruflich mit Literatur zu tun haben (z.B. Lehrer, Bibliothekare, Buchhändler)“. Leider vermisse ich den Praxisbezug zu oft. Einige Beiträge in „Literatur und Digitalisierung“ passen nicht ganz ins Thema – etwa der Hörbuch-Beitrag meiner ehemaligen Unidozentin Sandra Rühr.

Digitalität trifft Tradition

In den vier Kapiteln Öffentlichkeit und Autorschaft im digitalen Zeitalter, Digitales Publizieren, Lesen im Zeichen des Medienwechsels und Wissenschaft und Archiv versammelt der Band 12 Beiträge. Am Anfang steht ein Vergleich von eBook und Buch – leider nicht immer aktuell, leider nicht immer treffend. Ein Beispiel (S. 15):

In der Praxis orientierten sich die Hersteller in Konzeption und Design der Geräte am Buch und inszenierten eine elektronische Simulation des Buchlesens, die vor allem an folgenden Merkmalen zu erkennen ist: – Das Format der elektronischen Lesegeräte ist einem durchschnittlichen Buch angeglichen. – Der Text ist in Seiten aufgeteilt und paginiert. – Fußnoten oder Anmerkungen werden meistens tatsächlich am Fuße des Texte oder der Seite angezeigt und sind nicht mit der Stelle verlinkt, auf die sie sich beziehen.

Das stimmt so nicht, der Kindle etwa unterteilt in Lesepositionen, was von klassischer Seitengestaltung unabhängig funktioniert – schließlich sind in einem EPUB (oder dem daraus konvertierten MOBI) die Sinneinheiten auch eher Kapitel als Seiten: Meistens sind Abschnitte in separaten XHTML-Dokumenten untergebracht. Verlinkte Fußnoten funktionieren auch sehr gut – abgesehen vom Tolino natürlich, auf dem ich hier wieder herumhacken muss, weil er keine Links kann. Gute Referenzen und zitierwürdig sind die Beiträge zum geänderten Leseverhalten und zur Marktentwicklung. Ich hätte mir zu rechtlichen Rahmenbedingungen aber mehr gewünscht als „es ist schwierig“ – z.B. eine genaue Analyse, was Archive und Bibliotheken bräuchten, um endlich wieder genauso zu funktionieren wie zu analogen Zeiten, oder wie sie sinnvoll durch kommerzielle Dienste ersetzt werden können.

Ist das ein eBook?

Massiv enttäuscht wurde ich von der eBook-Ausgabe. Und da kommen wir zu einem monetären Kritikpunkt: „Literatur und Digitalisierung“ hat einen wirklich wissenschafltichen Verkaufspreis von 99.95 für die Printausgabe, 99.95 für das „eBook“ und 149.95 für das Bundle.
preise Das ist nicht gerade ein Schnäppchen, das man mal eben mitnimmt, und sicherlich auch für kaum eine Schule in der Anschaffung zu rechtfertigen, was dem Klappentext widerspricht. Wer nun überlegt, lediglich die eBook-Ausgabe anzuschaffen, sei gewarnt: Man erhält kein Buch. Also auch kein digitales. Man erhält lediglich Zugang zu einem Online-Viewer einer PDF-Ausgabe und kann sich den Inhalt des Buchs kapitelweise (!) als PDF herunterladen.
Das Buch ist nicht kompliziert aufgebaut und enthält wenige Graphiken, würde sich also für ein ePub durchaus anbieten. Auf Nachfrage beim Support, den ich wegen Login-Problemen beim Zugang zu meinem digitalen Rezensionsexemplar konsultieren musste, erfuhr ich, dass sich DeGruyter allerdings bewusst gegen eine Einzeldatei entschieden habe:

Bitte beachten Sie, dass wir unsere eBooks nicht zum Komplettdownload bzw. als ePub anbieten, sondern vielmehr ein dauerhaftes Nutzungsrecht des Titels über unsere Verlagsplattform De Gruyter Online. […] eBook bezeichnet ein Buch in einem elektronischem Format. Wir stellen unsere elektronischen Bücher im PDF-Format zur Verfügung. Diese PDFs lassen sich auch auf mobilen Endgeräten (Tablets) öffnen und lesen, wir haben keinen eigenen PDF-Viewer auf unserer Seite in Betrieb. Für Wissenschaftsverlage ist die Bereitstellung der Inhalte über Content-Plattformen nicht unüblich, da die Kundschaft größtenteils aus Bibliotheken besteht, die die Inhalte Ihren Nutzern über eben diese Plattformen zur Verfügung stellen, was mit ePubs nicht ohne Weiteres möglich ist.

Ich interpretiere das so: Ich erwerbe den Zugang zu einem PDF, das ich aber nur häppchenweise herunterladen kann. Es steht mir anscheinend frei, diese Schnipsel dann in einer Datei zusammenzuführen, aber das muss ich selbst tun. Ansonsten habe ich ein lebenslanges (?) Nutzungsrecht der Online-Plattform – falls DeGruyter nicht pleite geht und meine Inhalte verschwinden …
Von dieser Form von „eBook“ bin ich doch etwas enttäuscht. Ein klassischer Fall, wo ein pirateriertes eBook komfortabler und ansprechender wäre als das Produkt, das mir der Verlag anbietet. (Ich habe nicht recherchiert, ob man das Buch über einschlägige graue Kanäle bekommt.) Eigentlich schade bei einem inhaltlich zukunftsgewandten Produkt!

Transmedia Storytelling im Nachwuchs- und im Buchmesseblog

Eine spannende Reihe im Buchmesseblog, gepflegt von Studenten (und Dozenten) der Mainzer Buchwissenschaft, stellt Transmedia Storytelling in einigen Artikeln vor. Und im Nachwuchsblog liefert Alexandra Strohmeier einen Überblick. Sie fasst den Grundgedanken gut zusammen:

Bücher eröffnen Welten, warum sollten diese Welten also nicht weitergetragen, ausgefüllt, entwickelt und bereichert werden. Mehr noch, die Welten können schon während der Entstehung verschmelzen oder durch ihre Verknüpfung Geschichten erst hervorbringen.

Die einzelnen Beiträge sind lesenswert, etwa die Einführung, die anhand des Batman-Universums die Idee transmedialen Erzählens ausführt – besonders aber die beiden Artikel über EVE Online und Guild Wars.

пончик @ Wikimedia Commons

Und ferbe beschäftigt sich mit einem weniger bekannten (und irgendwie gescheiterten) Vorläufer der heutigen transmedialen Erlebniswelten: Dem Matrix-Kosmos.

Größtes Problem an dem ganzen Projekt: nur Wenige, die den Film gesehen haben, wussten überhaupt, dass man über die Kurzfilme und Computerspiele tiefer in diese Welt eintauchen konnte. So verwundert es schlussendlich auch nicht, wenn keiner verstanden hat, warum zum Beispiel einfach Leute quasi aus der Luft fallen und den Helden bei ihrer Mission helfen. Nur diejenigen, die vorher das Computerspiel gespielt hatten, also die zwei Nebencharaktere die genau in der Szene auftauchten, verstanden den Zusammenhang. Ob es letzten Endes nun an zu wenig Werbung gelegen hat oder einfach nur daran, dass die Spiele nie so ankamen wie geplant: Fakt ist, dass das Ganze als Transmedia Storytelling-Projekt schief ging.

Und jetzt? Jetzt bin ich gespannt auf das, was die Buchmesse bringt, was weiße Kaninchen flüstern, und welche spannenden Projekte die Verlage (und ihre Agenturen) bereithalten. Egal, ob sie unter dem Buzzword Transmedia Storytelling oder Experience laufen. Worauf es ankommt, wie schon immer im Verlagswesen wie auch im Marketing: Erzählt Geschichten!