Kurzrezension: Literatur und Digitalisierung

Der hübsch ausgestattete Band – bei diesem Preis kein Wunder, s.u. – enthält eine ganze Reihe von Artikeln und Beiträgen, einige davon rein akademischer Natur (und damit irgendwie immer veraltet), andere mit mehr praktischem Schwerpunkt. Denn der Band „richtet sich [auch] an Personen, die beruflich mit Literatur zu tun haben (z.B. Lehrer, Bibliothekare, Buchhändler)“. Leider vermisse ich den Praxisbezug zu oft. Einige Beiträge in „Literatur und Digitalisierung“ passen nicht ganz ins Thema – etwa der Hörbuch-Beitrag meiner ehemaligen Unidozentin Sandra Rühr.

Digitalität trifft Tradition

In den vier Kapiteln Öffentlichkeit und Autorschaft im digitalen Zeitalter, Digitales Publizieren, Lesen im Zeichen des Medienwechsels und Wissenschaft und Archiv versammelt der Band 12 Beiträge. Am Anfang steht ein Vergleich von eBook und Buch – leider nicht immer aktuell, leider nicht immer treffend. Ein Beispiel (S. 15):

In der Praxis orientierten sich die Hersteller in Konzeption und Design der Geräte am Buch und inszenierten eine elektronische Simulation des Buchlesens, die vor allem an folgenden Merkmalen zu erkennen ist: – Das Format der elektronischen Lesegeräte ist einem durchschnittlichen Buch angeglichen. – Der Text ist in Seiten aufgeteilt und paginiert. – Fußnoten oder Anmerkungen werden meistens tatsächlich am Fuße des Texte oder der Seite angezeigt und sind nicht mit der Stelle verlinkt, auf die sie sich beziehen.

Das stimmt so nicht, der Kindle etwa unterteilt in Lesepositionen, was von klassischer Seitengestaltung unabhängig funktioniert – schließlich sind in einem EPUB (oder dem daraus konvertierten MOBI) die Sinneinheiten auch eher Kapitel als Seiten: Meistens sind Abschnitte in separaten XHTML-Dokumenten untergebracht. Verlinkte Fußnoten funktionieren auch sehr gut – abgesehen vom Tolino natürlich, auf dem ich hier wieder herumhacken muss, weil er keine Links kann. Gute Referenzen und zitierwürdig sind die Beiträge zum geänderten Leseverhalten und zur Marktentwicklung. Ich hätte mir zu rechtlichen Rahmenbedingungen aber mehr gewünscht als „es ist schwierig“ – z.B. eine genaue Analyse, was Archive und Bibliotheken bräuchten, um endlich wieder genauso zu funktionieren wie zu analogen Zeiten, oder wie sie sinnvoll durch kommerzielle Dienste ersetzt werden können.

Ist das ein eBook?

Massiv enttäuscht wurde ich von der eBook-Ausgabe. Und da kommen wir zu einem monetären Kritikpunkt: „Literatur und Digitalisierung“ hat einen wirklich wissenschafltichen Verkaufspreis von 99.95 für die Printausgabe, 99.95 für das „eBook“ und 149.95 für das Bundle.
preise Das ist nicht gerade ein Schnäppchen, das man mal eben mitnimmt, und sicherlich auch für kaum eine Schule in der Anschaffung zu rechtfertigen, was dem Klappentext widerspricht. Wer nun überlegt, lediglich die eBook-Ausgabe anzuschaffen, sei gewarnt: Man erhält kein Buch. Also auch kein digitales. Man erhält lediglich Zugang zu einem Online-Viewer einer PDF-Ausgabe und kann sich den Inhalt des Buchs kapitelweise (!) als PDF herunterladen.
Das Buch ist nicht kompliziert aufgebaut und enthält wenige Graphiken, würde sich also für ein ePub durchaus anbieten. Auf Nachfrage beim Support, den ich wegen Login-Problemen beim Zugang zu meinem digitalen Rezensionsexemplar konsultieren musste, erfuhr ich, dass sich DeGruyter allerdings bewusst gegen eine Einzeldatei entschieden habe:

Bitte beachten Sie, dass wir unsere eBooks nicht zum Komplettdownload bzw. als ePub anbieten, sondern vielmehr ein dauerhaftes Nutzungsrecht des Titels über unsere Verlagsplattform De Gruyter Online. […] eBook bezeichnet ein Buch in einem elektronischem Format. Wir stellen unsere elektronischen Bücher im PDF-Format zur Verfügung. Diese PDFs lassen sich auch auf mobilen Endgeräten (Tablets) öffnen und lesen, wir haben keinen eigenen PDF-Viewer auf unserer Seite in Betrieb. Für Wissenschaftsverlage ist die Bereitstellung der Inhalte über Content-Plattformen nicht unüblich, da die Kundschaft größtenteils aus Bibliotheken besteht, die die Inhalte Ihren Nutzern über eben diese Plattformen zur Verfügung stellen, was mit ePubs nicht ohne Weiteres möglich ist.

Ich interpretiere das so: Ich erwerbe den Zugang zu einem PDF, das ich aber nur häppchenweise herunterladen kann. Es steht mir anscheinend frei, diese Schnipsel dann in einer Datei zusammenzuführen, aber das muss ich selbst tun. Ansonsten habe ich ein lebenslanges (?) Nutzungsrecht der Online-Plattform – falls DeGruyter nicht pleite geht und meine Inhalte verschwinden …
Von dieser Form von „eBook“ bin ich doch etwas enttäuscht. Ein klassischer Fall, wo ein pirateriertes eBook komfortabler und ansprechender wäre als das Produkt, das mir der Verlag anbietet. (Ich habe nicht recherchiert, ob man das Buch über einschlägige graue Kanäle bekommt.) Eigentlich schade bei einem inhaltlich zukunftsgewandten Produkt!

Digital ist angekommen. Ein knapper Messerückblick

Sascha Lobo kam auch auf einen Plausch über dotbooks, sobooks und die Branche vorbei.

Es war eine schöne Buchmesse 2012.  M@rtha wurde mit dem letzten protoTYPE-Treffen zu einem ordentlichen Ende geführt – was daraus wird, muss sich zeigen. Ich hoffe, das Projekt verläuft nicht im Sande. Ich habe diverse nette Leute wiedergesehen, auf dem Twittwoch und dem Twittagessen, auf der Virenschleuder-Verleihung und einfach am Stand auch jede Menge neue nette Leute kennen gelernt. Die Stand-Zusammenarbeit mit GRIN und bilandia war eine Freude, genau wie mit den Kollegen.

TimSarah und ich.

Beim AKEP-Award allerdings wurden wir bei dotbooks ziemlich enttäuscht. So schön die erste Frankfurt Digital Night war, so traurig die Tatsache, dass wir nicht mit einer Nominierung bedacht wurden. Und das sage ich weniger als Mitarbeiter, sondern vor allem als Branchenbeobachter: [rant] Meine Favoriten waren innovative Projekte wie eBookmakr und dotbooks, nicht die zehntausendste App, die jeder hinbekommt, wenn er einer Agentur genug Geld dafür bezahlt. [/rant]

Digital ist angekommen.

Immer mehr Deutsche lesen eBooks. Das merkte man an zahllosen Dienstleistern in Halle 4.0, an den omnipräsenten Veranstaltungen zum Thema an den Fachbesuchertagen, aber vor allem an den Reaktionen von Besuchern aller Couleur. An diesen war ich so nah dran wie selten zuvor. Bei dotbooks haben wir ganz direkt mit den Lesern (aka Endkunden), aber auch mit Autoren, Agenten, anderen Verlagsmitarbeitern, „Branchenleuten“ usw. zu tun gehabt. Und digitaler Content war bei Lesern genauso beliebt wie bei Autoren, die in eBooks mehr Zukunft sehen als im Taschenbuch, die die neuen technischen und vor allem verlegerischen Möglichkeiten schätzen: Kurze Novellen, die sich im Print nie lohnen würden, sind genauso möglich wie ellenlange Epen. Und bei dotbooks wagen wir uns nun ja sogar an Lyrik …

Sandra Henke zwischen Tim Sonderhüsken und Beate Kuckertz.

Reader gibt es nun bereits ab 10 Euro, und auch das Pricing von eBooks (über das Steffen einen netten kleinen Artikel gebloggt hat) nimmt langsam vernünftige Gestalt an. Mehr und mehr Anbieter verzichten auf den Kauf-Killer DRM. ([eigenwerbung] dotbooks tat das übrigens von Anfang an. [/eigenwerbung]) Man kann den Lernprozessen zusehen – in doppelter Bedeutung, denn leider ist das Wachstum hier noch immer eher langsam. Aber es gibt eines, und das alleine ist ja schon etwas wert.

Und sonst so?

Storydrive und einige andere Veranstaltungen (und persönliche Termine) befassten sich mit dem Thema Transmedia, das mich bekanntlich sehr interessiert. Erzählkosmen, Immersion, die Story-Ökonomie spielten überall eine Rolle, wo es um Inhalte ging. Empfehlungssysteme arbeiten daran, den Wegfall des Sortiments zu kompensieren (und damit natürlich auch zu beschleunigen).

Fazit: Story-Cotent und digitale Form spielten Hand in Hand. Natürlich begegnet man auf dieser Messe vielen Vorreitern und nimmt diese besonders stark wahr – aber insgesamt ist die Branche auf einem gefühlt ganz guten Weg. Jedenfalls, wenn es ihr gelingt, die Themen und Erkenntnisse der Messe in den Alltag zu überführen – und das nicht alles nur Gerede von wenigen, aber einflusslosen Vorreitern war.

"Neue Urheber statt neue Gesetze": Vortragsmitschnitt von literaturcafe.de

literaturcafe.de hat einen sehr hörenswerten, eindreiviertelstündigen Vortrag von Wolfgang Tischer online gestellt, in dem es um Gegenwart und Zukunft des Urheberrechts und vor allem der Urheber geht. Der Vortrag ist unideologisch, unparteiisch und kritisch:

[Dies ist] kein Vortrag zum Thema »Raubkopien«. Es wäre kein Problem, einen Abend zu gestalten und mit Studien zu belegen, wie schlimm das Ganze ist und welche Verluste dadurch für die Kreativen und die Kreativwirtschaft entstehen. Man könnte jedoch auch einen Abend veranstalten, der genau das Gegenteil belegt und der anhand anderer Studien zeigt, dass Nutzer von digitalen Kopien mehr Medienartikel kaufen als der Rest der Welt.

[…]

Was hat es mit der oft geforderten Stärkung des Urheberrechtsgesetzes auf sich? Schon jetzt schützt das Gesetz den Urheber, der gegen unrechtmäßige Verwendungen seiner Texte vorgehen kann. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum, auch wenn dies immer wieder behauptet wird.

Hier der komplette Mitschnitt, auf literaturcafe.de auch als Datei: