Vermischte Zahlen werden heute herumgereicht. Erstens zum Tolino – leider nur Hoffnungen und nichts Konkretes:
„Unser Marktanteil hat sich durch Einführung des Tolino nicht verschlechtert“, stapelte Halff im Rahmen einer Diskussionsrunde zum deutschen E-Book-Markt zunächst tief – um später mit Blick auf den eigenen „ehrgeizigen Absatzplan“ konkreter zu werden: In diesem Jahr rechne er mit einem Gesamtabsatz von 1,4 Mio E-Readern in Deutschland. Ziel sei, dass die Tolino-Partner einen Anteil von über 36% erzielten. (Buchreport)
Andererseits zu einem Piraterie-Portal für eBooks:
Wir sind auf dem langen, beschwerlichen Weg zur ersten Millionen Downloads pro Monat. Sichtweite ist immerhin hergestellt. Augenblicklich prognostizieren wir um die 850.000 Downloads.
Zugriffe prognostiziert auf Monatesende: 5,2 Millionen. Das sind alle Aufrufe unserer verschiedenen Seiten. (torbooks)
Und in other news:
[Verleger müssen] bei der E-Book-Revolution den „Reset-Button“ drücken und sich organisatorisch neu aufstellen – es müsse in den Verlagen Mitarbeiter geben, die ausschließlich für den digitalen Bereich zuständig seien. (Buchreport)
Vorab: Teile dieses Blogeintrags haben Züge eines Rants. Ich bitte das freundlich zu beachten.
Illegale Portale haben die besseren Angebote.
Ob Serien, Filme, Musik: Nicht von den Verwertern bereitgestellte Angebote erfreuen sich gewaltiger Beliebtheit. Warum sollte das bei Büchern anders sein? Bislang war die Antwort einfach: Weil sie nicht umfassend als komfortable Digitalprodukte verfügbar waren. Wer will schon mit PDF-Scans arbeiten müssen?
Das ändert sich – zum Glück für alle Beteiligten. eBooks werden ansehnlicher, zumindest teilweise funktionaler und sie decken immer weitere Teile des Programms vieler Verlage ab. Aber leider sind die Angebote, die uns besagte Verlage machen, noch immer unattraktiver als die Alternativen:
[N]ur ein einziger Thread in einem populären Forum (boerse.bz ist unter den Top 100 der meistbesuchten Websites in Deutschland) kann in kurzer Zeit rein rechnerisch mehr E-Books unter das Volk bringen als alle legalen Buchhandels-Portale zusammen (gesamter Absatz in 2011: knapp 5 Mio. E-Books).
Und warum? Da fallen mir vor allem drei Gründe ein:
Weil der Content auf Piraterie-Seiten nicht durch DRM eingeschränkt wird. DRM bestraft den ehrlichen Kunden. Merkt euch das endlich, Verlage!
Weil die „illegalen“ Portale komfortabel sind. Das größte Problem ist beim Filesharing und Streaming, dass mal ein Server oder Torrent tot ist. Dann weicht man aus – dezentralen Strukturen sei Dank. Die legalen Portale verlangen langwierige Anmeldeprozesse. (Ein Argument pro Amazon, denn dort hat man sowieso ein Konto.) Sie verlangen DRM-Software (s.o.).
Weil der Content dort umsonst ist. eBooks sind im Durchschnitt zu teuer. Punkt.
Man lässt die Leute nicht bezahlen
Gucken wir mal über den Tellerrand des Buch-Contents, um Nutzerwünsche zu analysieren: Ich bin bekennender Serienfan. Und ich will keine 9 Monate nach Erstausstrahlung warten, bis meine Lieblingsserie (wenn überhaupt) in schlechter deutscher Synchronisation im Nachtprogramm eines schlechten deutschen Senders läuft, 9 Monate, während derer ich online wie offline Gespräche über eine Episode mitbekomme und an deren Ende ich sowieso schon alle guten Szenen durch Youtube und alle Entwicklungen via Twitter kenne. Ich will die Episode sehen, kurz nachdem sie der US- oder UK-Zuschauer gesehen hat. Alles andere ist lächerlich.
Dafür wäre ich ja auch bereit, zu bezahlen – wenn man mich ließe. Es gibt aber schlicht kein umfassendes oder bezahlbares Angebot der Rechteverwerter, die lieber an halbgaren Lösungen stricken. Im eBook-Segment sieht das ähnlich aus. Die Leute wedeln mit ihrem Geld – und werden es nicht los:
Plattformen wie online-library.ws bieten gegen eine monatliche Grundgebühr (in diesem Fall 39 Dollar) unbegrenzte, werbefreie Downloads hunderttausender DRM-freier E-Books und Hörbücher, freilich ohne Autorisierung der Rechteinhaber. Die Nutzer sind also durchaus bereit, etwas zu zahlen – doch bei legalen Angeboten werden sie durch hohe Preise und lästigen Kopierschutz abgeschreckt. (eBooks News)
Ändert bitte etwas an diesem Zustand.
Warum keine Innovation? Darum!
Oder sucht euch, liebe Autoren, Verleger, Verwerter, Rechteinhaber, andere kreative Ansätze, um euren Content bezahlt an den Mann zu bringen. Wie das HumbleBundle, über das ich auch schon einmal bloggte und über das nun auch der Buchreport schreibt. Bei diesem Ansatz, der bereits erfolgreich für Games und Musik ausprobiert wurde, bestimmt der Kunde, was er für ein Content-Paket bezahlt. Und sogar, wie sein Geld unter Autor, HumbleBundle und karitativen Zwecken aufgeteilt wird.
Tolle Idee – und eine, die beweist, dass Kunden durchaus bereit sind, Geld für Inhalte zu bezahlen. Es funktioniert – über die Masse, wie eine Flatrate-Lösung. Das sollte man auch in Deutschland einmal ausprobieren, oder? Achso – hat schon jemand? Und wurde vom Börsenverein und dem Preisbindungstreuhänder (was für ein Unwort) abgewatscht? So sieht Innovation aus …
„Dass man das Produkt ,Buch‘ weiterdenken muss, ist keine Frage und ein Blick über den Tellerrand der Buchbranche zeigt einem, dass Flatrate-Modelle für Kulturgüter irgendwann die Lösung sein werden“.
Eine Flatrate ist natürlich keine eierlegende Wollmilchsau. Sie hat diverse Probleme, zuvorderst, wie das Verteilungsmodell aussehen soll. Oder dass sie immer an dysfunktionale bürokratische Riesenmaschinen wie die Gema erinnert. Vielleicht sind Abo-Modelle eine bessere Lösung, aber bitte nicht so halbherzig wie Skoobe. FAkt ist: Es muss sich was ändern. Und jeder Tag, der bis dahin verstreicht, treibt mehr Menschen weg von den legalen Vertriebswegen und jeder Tag kostet Geld.
Ein Artikel von Nick Bilton in der New York Times sammelt Gedanken zur Pirateriedebatte. Dabei kommen auch und vor allem Leute zu Wort, die in der verwertergeprägten Debatte untergehen, aber spannende Zahlen und Ideen vorzuweisen haben.
“Piracy won’t go away,” said Ernesto Van Der Sar, editor of Torrent Freak, a site that reports on copyright and piracy news. “They’ve tried for years and they’ll keep on trying, but it won’t go away.” Mr. Van Der Sar said companies should stop trying to fight piracy and start experimenting with new ways to distribute content that is inevitably going to be pirated anyway.
Der beste Schutz der eigenen Leistung vor Piraterie ist, Dinge anzubieten, die nicht stumpf kopierbar sind. Denn das Kopier-Problem wird nicht lösbar sein. Das ist keine Kapitulation vor dem Unrecht, wie häufig behauptet wird, sondern vor der Realität. Bilton vergleicht die Piratenjagd mit einem Whac-A-Mole-Spiel.
An einer wirklichen Lösung des Problems sind die Medienunternehmen auch offenbar nicht interessiert:
“There’s a clearly established relationship between the legal availability of material online and copyright infringement; it’s an inverse relationship,” said Holmes Wilson, co-director of Fight for the Future, a nonprofit technology organization that is trying to stop new piracy laws from disrupting the Internet. […] Mr. Wilson believes that the big media companies don’t really want to solve the piracy problem. “If every TV show was offered at a fair price to everyone in the world, there would definitely be much less copyright infringement,” he said.
Der Artikel kommt auch auf die Technologie von 3D-Druckern zu sprechen, die die Piraterie physischer Güter ermöglicht – und er kommt zu dem Schluss, dass Content-Produzenten und -Verwerter besser daran täten, ein anderes Spiel als „Hau den Maulwurf“ zu spielen. Ich merke es immer wieder in Diskussionen mit anderen Serienfans: Gäbe es legale und komfortable Möglichkeiten, an bezahlten Content zu kommen (der natürlich nicht zu vielen Einschränkungen unterliegen darf), würde sich ein riesiger Markt öffnen. Die Unternehmen verschenken Geld – und werfen gleichzeitig Geld zum Fenster ‚raus, indem sie ungewinnbare Schlachten fechten. Auf dem Rücken der Konsumenten, sowohl der legalen wie der illegalen.
Im Folgenden My Two Cents zur Preisdebatte, die seit Jahren schwelt. Ganz subjektiv aus meiner „User Experience“ heraus.
Fast alle Umfragen zeigen, dass der häufigste Grund für den Nicht-Kauf von E-Books der hohe Preis der Verlags-E-Books ist, der in der Regel nur 10-20% unter dem der Papierausgabe liegt. (Aus einem hörenswerten Vortrag von Wolfgang Tischer.)
An dieser Erkenntnis – (deutsche) eBooks sind zu teuer – ist nicht zu rütteln. Da mögen Verlage noch so eloquent und fundiert argumentieren, dass etwa die Kosten für Herstellung und Auslieferung beim Produkt Buch nur eine untergeordnete Rolle spielen; dass die wesentlichen Kosten für das Produkt weiter anfallen, von der Autorenakquise bis zur Redaktion; dass die Inhalte ihren Preis wert sind.
Das mag nämlich alles sein – allein, es ändert nichts daran, dass die Produkte zu teuer wirken und der Kunde nicht kauft. Sieht man sich z.B. die ePubli-Preisbestimmungen an, liegt ein aktueller Roman (Printversion 22.-) bei 16,99. Dafür bekomme ich nicht nur über 17 Kindle-eBooks zum Niedrigstpreis von 99 Cent, ich bekomme auch 3-4 Us-Backlist-Titel. Für meine 16,99 kann ich also deutlich mehr Content kriegen – und nach meiner Erfahrung rechtfertigen Aktualität und Qualität nur ganz, ganz selten diesen gewaltigen Preisunterschied. (Und wenn, dann meistens die Aktualität: Man will mitreden können.)
Und leider ist das, was man als eBook erwirbt, nicht wirklich funktional gleichwertig zum guten, alten gedruckten Buch. Ich kann es nicht (komfortabel) verschenken oder nach dem Lesen weiterverkaufen. (Mit Software ist das u.U. legal, siehe das Oracle-Urteil.) Ich kann in Europa keine Kindle-Bücher aus den USA erwerben, ohne Umwege zu wählen oder für den Content (so er denn da verfügbar ist) im deutschen Shop mehr bezahlen.
Die Bezugswege sind unkomfortabel, was sehr häufig (wie auch das Wiederverkaufsproblem) mit dem Alptraum DRM zusammenhängt. Simply: Dropit. Denn mit DRM erwerbe ich kein vollwertiges Produkt, sondern eine verstümmelte Version. Das ist beim 99 Cent-Kindle-Buch okay, denn auf dieser Plattform merke ich nicht einmal viel vom DRM. Und der Preis lässt es mich verschmerzen. Bei 20 Euro fühle ich mich über den Tisch gezogen.
Unkomfortable Bezugsmöglichkeiten, DRM, mangelnde Weitergabe – all das wird sicher nicht zum Erfolg qualitativ hochwertiger, teurer eBooks führen, sondern nur zu Piraterie. Wie auch bei Streaming-Angeboten sind die illegalen Anbieter nämlich deutlich fitter darin, ihren „Kunden“ Komfort und häufig auch Qualität zu bieten als die legalen Portale.