"Wenn ich etwas Großartiges erlebe, will ich mehr davon": Interview mit Julia Marquart zu booktainment

Es gibt seit ein paar Monaten eine Plattform für Buchaktionen – booktainment. Um mehr darüber zu erfahren, habe ich mir die Betreiberin Julia Marquart auf Facebook geschnappt und sie interviewt.

 Hanna Hartberger: Booktainment gibt’s jetzt seit zwei Monaten, richtig? Was war – in aller Kürze – der Grundgedanke dahinter und wie wird deine Plattform bisher angenommen?

 Julia Marquart: booktainment startete am 23. Februar 2013 und ist damit schon fast vier Monate online. Auf den Punkt gebracht soll jeder von booktainment profitieren können: Buchhandlungen, Autoren, Verlage und Kultureinrichtungen nutzen einen zusätzlichen, zentralen Kanal zur Verbreitung ihrer kreativen Aktionen und Events. Endkunden werden durch booktainment gezielt über aktuelle Unterhaltungsformate informiert und erhalten so eine Übersicht im Dschungel der Angebotsvielfalt. Wichtig ist mir dabei, nicht auf reine Gewinnspiele aufmerksam zu machen, sondern auf Buchmarketing, das einen unterhaltsamen Mehrwert für den Konsumenten bietet.

booktainment ist mein privates Herzensprojekt nach Feierabend, weshalb es zwar langsam, aber stetig vorangeht. Mittlerweile erhalte ich aber auch diverse Anfragen für Events und Aktionen, auf die ich dann hinweisen kann – diese Kooperationen machen mir besondere Freude. Die durchweg positive Resonanz ermutigt mich also, weiterhin viel Energie und Kraft in eine Plattform voller Potenzial zu stecken!

  Hanna Hartberger: Viele der Aktionen, die du bewirbst, sind „Offline“-Aktionen. Hast du darauf einen Schwerpunkt gelegt oder gibt es einfach nicht so viele „Online“-Aktionen?

Julia Marquart: Eigentlich hält es sich derzeit genau die Waage. Es gibt definitiv keinen Schwerpunkt, Online-Aktionen und Offline-Events sind gleichermaßen willkommen. Allerdings stimmt es, dass es dieses Jahr noch keine „große“ Online-Kampagne gab. Doch das wird sich ändern, versprochen :-).

Hanna Hartberger: Ah, okay. Dann bin ich mal gespannt auf besagte Kampagne – darfst du schon was verraten oder Hinweise geben?

Julia Marquart: Nein, leider nicht. Aber verraten kann ich schon, dass es nicht nur eine Aktion ist.

Wie funktionieren Aktionen rund um Literatur?

Hanna Hartberger: Hmm, dann bin ich mal gespannt :-). Nimmt die Bedeutung von Events und Aktionen rund um die Literatur denn zu? Oder erweckt das nur den Anschein, weil man durch Internet und Soziale Netzwerke mehr davon mitbekommt?

Julia Marquart: Das ist schwer zu sagen, da es keine genauen Statistiken gibt. Die aktuelle GfK-Studie (2011) des bdv beispielsweise fasst Lesungen unter der Kategorie „Nicht-Musikveranstaltungen“ mit Theater und Schauspiel zusammen. Das Marktvolumen dieser Kategorie hat gegenüber 2009 immerhin um 30 % zugenommen, der Umsatz blieb relativ stabil. Aber inwieweit Lesungen hier eine ausschlaggebende Rolle spielten, bleibt mir leider verborgen.

Die Bedeutung von Online-Aktivitäten wächst, da die Buchbranche sich zunehmend auf den Endkunden konzentriert. Soziale Netzwerke helfen dabei, die jeweiligen Zielgruppen direkt anzusprechen und so Aufmerksamkeit ohne großen Streuverlust zu schaffen – egal, ob es sich dabei um eine reine Online-Kampagne oder die Ankündigung einer Veranstaltung vor Ort handelt.

Hanna Hartberger: Die Buchbranche, v.a. die Sparte der Verlage, war es ja lange überhaupt nicht gewohnt, mit den Endkunden zu kommunizieren, weil immer der Sortimentsbuchandel zwischengeschaltet war. Haben die Verlage mittlerweile aufgeholt und kennen ihre Kunden oder merkt man – auch bei den Aktionen, die du bewirbst -, dass doch noch etwas „gefremdelt“ wird? Hast du z.B. auch mal negatives Feedback erhalten, wo jemand einfach die Aktion an sich blöd fand?

Julia Marquart: Für mich zählen vor allem guter Wille, Engagement und Dialogbereitschaft. Einige Unternehmen haben sich bereits erfolgreich positioniert und treten souverän auf, andere haben erst vor Kurzem angefangen und tapsen noch etwas unsicher durch das Netz.

Am wichtigsten ist doch, sich mit seiner Zielgruppe ernsthaft auseinanderzusetzen. Wenn also Anmerkungen, Nachfragen, Lob und auch Kritik kommen, sollte man in den Dialog treten, um Aktionen künftig verbessern zu können. Denn das bindet dann wiederum die Endkunden an das Unternehmen, weil sie sich ernst genommen fühlen. Konstruktives Feedback ist immer wertvoll, wenn es auf offene Ohren trifft.

Literatur im Netz

Hanna Hartberger: Stimmt, das habe ich auch schon festgestellt. Ich habe mal bei einer Leserunde auf Lovelybooks teilgenommen und gesagt, dass ich das Cover nicht so gelungen finde. Die Autoren/Verleger haben aber total positiv darauf reagiert, was wiederum ich positiv fand.

Welchen Eindruck hast du denn, was das Image von Literatur im Internet angeht? Wibke hat ja mal die Lesen-ist-sexy-Kampagne vorgeschlagen (die sie leider vorerst eingestellt hat, vgl. hier https://www.sinnundverstand.net/2013/05/23/loslassen-von-ideen/#more-2327), weil sie meinte, dass es Nachholbedarf fürs Lesen im Netz gibt.

Julia Marquart: Mit der Frage tue ich mich etwas schwer :-).

Ich glaube nicht, dass Lesen schon zu einem Nischenhobby „verkommen“ ist. Dennoch scheint es an Attraktivität abzunehmen, ein Buch zu lesen. Woran auch immer das liegen mag: keine Zeit in einer Leistungsgesellschaft auf der Überholspur, wenig Geld in Zeiten der Wirtschaftskrise, Erinnerungen an qualvolle Schullektüre oder einfach fehlendes Interesse … Das möchte ich gar nicht beurteilen.
Mir liegt mehr daran, Leser darauf aufmerksam zu machen, dass das Kulturgut Buch mit seiner Geschichte auch über seine materielle Form hinaus unterhalten kann. Online im Netz oder offline wo-auch-immer, je nach Veranstaltungs- und Aktionsformat.

Die Menschen gehen gern ins Theater, Musical, Kino und auf Konzerte. Sie spielen Konsolen- und Computerspiele, schauen fern – bei all diesen Unterhaltungsformaten werden Geschichten erzählt. Nur, dass sie diese Aktivitäten meist nicht allein gestalten. Deshalb kommt „Social Reading“ auch so gut an, weil sich die Leute über das, was sie tun, unterhalten wollen: Gemeinsam erlebt’s sich eben besser. Und wenn ich etwas Großartiges erlebe, an dem ich Gefallen finde oder gar Spaß habe, dann will ich mehr davon. Immer wieder. Auch, wenn es ein Buch ist. Vielleicht werden dadurch dann letzten Endes auch ein paar Lesemuffel wieder ans Buch herangeführt.

Ein bisschen träumen darf man ja, nicht wahr? *schmunzelt*

Wie kommen die Aktionen auf booktainment?

Hanna Hartberger: Natürlich darf man träumen :-). Abgesehen davon glaube ich, dass es gar nur Träumerei ist – irgendeine E-Book-Studie hat letztens ergeben, dass durch E-Books wieder ein paar Leute mehr lesen, die das vorher nicht mehr getan haben. Ich denke, dass das bei Events ähnlich sein kann.

Wie kommen denn die Aktionen zu dir bzw. auf booktainment? Kommen Veranstalter schon proaktiv auf dich zu oder recherchierst du alles selbst? Und hast du irgendwelche Kriterien, die erfüllt sein müssen, dass du über eine Aktion berichtest?

Julia Marquart: Ich recherchiere nahezu noch alles selbst. Ich habe etliche Newsletter abonniert und behalte Facebook ständig im Auge. Das ist recht mühselig, was aber das Alleinstellungsmerkmal von booktainment noch einmal verdeutlicht. Dennoch rutscht mir natürlich vieles durch: Die Verlage habe ich ganz gut im Blick, aber all die kreativen Buchhandlungen und Autoren, dazu noch die unterschiedlichsten Kultureinrichtungen – das ist als tägliche Recherche allein keinesfalls zu stemmen.

Deshalb freue ich mich umso mehr, wenn sich „Veranstalter“ proaktiv bei mir melden, mich auf eine Aktion oder ein Event hinweisen und mir sogar Material zur Verfügung stellen. Durch meine Aktion zum Welttag des Buches, bei der ich die diesjährigen BuchMarkt-Award-Gewinner vorgestellt und die ausgezeichneten Bücher verlost habe, konnte ich mit einigen Verlagen, Buchhandlungen und Kultureinrichtungen schon einen guten Erstkontakt herstellen und freue mich darauf, wenn diese sich auch zukünftig an booktainment erinnern und mit ins Boot holen.

booktainment steht für kreative Aktionen und Events rund ums Buch. Damit meine ich keine reinen Gewinnspiele, bei denen Bücher oder sonstige Gewinne verlost werden, und auch keine „einfachen“ Lesungen, wie sie jeder von uns kennt. Es muss einen deutlichen Mehrwert für den Endkunden bieten oder es handelt sich um ein noch (relativ) unbekanntes Unterhaltungsformat, das Aufmerksamkeit verdient.

Hanna Hartberger: Das ist doch ein recht schönes Schlusswort. Gibt’s noch irgendeine Frage, von der du dir wünscht, dass ich sie dir stellen würde? Oder einen Aspekt, den wir vergessen haben?

Julia Marquart: Wir können das als Schlusswort nehmen. Mich persönlich würde natürlich noch interessieren, wie du booktainment persönlich als Endkunde und als Branchenkenner einschätzt :-).

Hanna Hartberger: Ich finde den Grundgedanken gut; um richtig groß/berühmt zu werden, musst du meiner Meinung nach aber noch mehr Traffic generieren (vielleicht würde da auch ein Redaktionsteam helfen). Dein Alleinstellungsmerkmal ist gut und hilft erstmal, aber je nachdem, wie viel du machst, wirst du in Zukunft mehr oder weniger Aufmerksamkeit kriegen. Würde mich natürlich freuen, wenn es mehr ist, weil ich dann von mehr tollen Buchaktionen höre :-).

Wohin leitet das Leitmedium?

Das gedruckte Buch bleibt nach wie vor das Leitmedium, lässt sich Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins, zitieren. Alle einmal aufatmen, alles ist gut. Das Buch ist das Leitmedium. Aber was soll denn ein Leitmedium sein? Eines, das Vorrang vor den anderen hat, weil es kulturell wichtiger ist als die anderen? Eines, das die anderen Medien dorthin leitet, wohin sie sich entwickeln sollen? Der Begriff tritt in meinem Gefühl in eine ähnliche Kerbe wie der des KulturguIm ts Buch, bloß dass letzterer nicht so gar so aufdringlich und oktroyierend daherkommt.

Begriffsklärung

Wikipedia hilft mal wieder weiter:

[…] ein spezifisches dominierendes Einzelmedium in einer bestimmten historischen Phase der Medienentwicklung, welchem „eine Hauptfunktion in der Konstitution gesellschaftlicher Kommunikation und von Öffentlichkeit zukommt“

Nachfolgend kommen dann auch Beispiele für Leitmedium und unter anderem ab dem 16. Jahrhundert das Buch. Aber dann kommen andere und seit der Jahrtausendwende sind das Fernsehen und das Internet als Leitmedien genannt –  was meinem Gefühl nach die Sachlage schon eher trifft. (Die Zahl der Nicht-Internetnutzer und Nicht-Leser ist mit jeweils etwa 25% übrigens gleich groß, so dass sich diese beiden zumindest schon mal nichts schenken [siehe die Lesen-in-Deutschland-Studie und die ARD-ZDF-Onlinestudie]. Fürs Fernsehen finde ich im Moment leider keine direkt vergleichbaren Zahlen.)

Alle wollen Leitmedium sein

Amüsante Erkenntnis im Lauf weiterer Recherchen: Es gibt noch mehr Branchen, die sich Gedanken darüber machen, dass sie ihren Status als Branche des Leitmediums verlieren. Auch das Fernsehen hat das Internet als neuen Feind seiner Leitmedialität entdeckt.

Die Veränderung der Nutzungsgewohnheiten werde stark getrieben durch neue Geräte wie Tablets und Smartphones. Der Fernseher entwickle sich dabei immer mehr vom Leitmedium zu einem Medium unter vielen.

Vorteile des Leitmediums?

Noch mal vorn: Leitmedium ist ein Wert, den gern jeder, der mit einem Medium zu tun hat, für sich beanspruchen würde. Warum? Da keine mir ersichtlichen Vorteile daraus entstehen, scheint es sich um einen Akt der Aufwertung und Legitimierung des eigenen Tuns zu handeln. Warum ist oder erscheint das nötig? Weil man seinen Platz gefährdet sieht durch andere Medien. Ich denke, diejenigen, die das Wort Leitmedium ernsthaft verwenden, sollten sich darüber klar werden, dass sie auf kulturelle Entwicklungen überhaupt keinen Einfluss haben. Und dadurch, dass sie vom Leitmedium reden, gehen sie bereits in eine Defensiv-Position, indem sie ihre Position als besonders wertig definieren. Aber dadurch zeigen sie sich gleichzeitig auch als statisch, und genau das ist der Punkt, der angreifbar macht. Solange eine Branche um-welches-Medium-auch-immer flexibel bleibt und sich dem Wandel um sie herum anpasst, hat sie es nicht nötig, ihren Status Quo bis ins Letzte zu definieren und braucht infolgedessen Begriffe wie Leitmedium auch überhaupt nicht.