2014 – Mut zur Fantasie! [Adventskalender]

Mit so einem Wunsch bin ich doch in der Buchbranche eigentlich nicht so verkehrt – schließlich wird hier aus Fantasie etwas Handfestes gemacht. Und gleichzeitig ist es traurig, dass ich unserer Branche das erst wünschen muss, sollte es doch eigentlich selbstverständlich sein. Der Kapitalismus hat sie wohl geschluckt, die Fantasie …

Die Verleger oder Programmleiter sollten sie wieder bekommen. Traut euch mehr Fantasie! Stellt euch den Erfolg eines Buches vor, das mal nicht den 08/15-Richtlinien sogenannter Bestseller entspricht, mal keine Dystopie, keine Erotik, keine großen Namen. Auch der Nachwuchs kann etwas, man muss ihn nur mal machen lassen und ihm eine Chance geben. Die Autoren-Dinosaurier sterben irgendwann aus, wer soll denn dann unsere heißgeliebten Bücher schreiben? Und traut auch den Lesern die notwendige Fantasie für diese Bücher zu. Prima Beispiel: Daniel Kehlmann. Auch wenn er den Deutschen Buchpreis dieses Jahr nicht bekommen hat, ist er ein super (und ich weiß ja, wie wichtig das ist: umsatzstarker) Autor, dem man eine Chance gegeben hat. Ja, seine ersten Bücher waren keine Bestseller, aber es kam ja in Gang. Und heute ist er nicht mehr wegzudenken aus der deutschen Buchszene. Weil da mal ein/e Lektor/in, schließlich ein Programmleiter und am Ende ein Verleger Mut und Fantasie besaßen. Bravo! Mehr davon!

Auch die Personaler brauchen mehr Fantasie! Ein geradliniger Lebenslauf ist Gold wert, das habe ich schon feststellen dürfen. Schon mit dem ersten Praktikum muss man seine spätere Laufbahn festlegen – wie realistisch das doch ist! Wieso darf man nicht mehr rumprobieren und sich ausprobieren? Das Pressepraktikum war’s nicht? Na dann halt was anderes. Die Buchhandlung hat doch nicht so viel Spaß gemacht? Dann halt Verlag! Oh nein! Das ist schon viel zu viel Abwechslung für deutsche Personaler. Man könnte ja Erfahrungen aus verschiedenen Bereichen mitbringen – wer braucht denn so etwas? Entschuldigung, ich werde zynisch. Und das Thema gibt’s ja auch schon. Nur eine Bitte: Liebe Personaler, schaut doch mal über den Tellerrand hinaus, es gibt potenzielle Mitarbeiter, die wertvolle Erfahrungen mitbringen, auch wenn diese nicht im Anforderungsprofil genannt sind. Nur Leute mit Fantasie können Bücher voller Fantasie herstellen.
Und und übrigens: Achtet doch mal bitte auf die Soft Skills derjenigen, die ihr auf die Bewerber loslasst – da ist auch noch einiges zu tun!

John Elsas. Meine Bilder werden immer wilder
Ist man mit Phantasie versehen
so kann man bei mir sehr schönes sehen, 17/7/1930 (John Elsas)

Auch den Buchhandlungen wünsche ich mehr Fantasie. Bestseller, Spitzentitel und Co – ihr habt es bestimmt nicht leicht, die richtigen Bücher für eure Buchhandlung auszusuchen. Ein tolles Marketing ist da ein gutes Hilfsmittel, das ist schon klar. Da können die kleinen Verlage, die nicht mit den Giganten mithalten können, weil sie ca. 5% von deren Marketingbudget haben, leider einpacken. Ich gehe nicht in eine Buchhandlung, um überall nur Stapel von J. K. Rowlings neuem Buch zu sehen, daneben die alt bekannten Krimi-Autoren und alle anderen von der Bestseller-Liste. Nein, ich suche das Außergewöhnliche, die Bücher mit Fantasie (mal ehrlich: die Top-Autoren, die jedes Jahr 2 Bücher auf den Markt werfen – wie viel Fantasie steckt denn da noch drin?), die Bücher, die mich begeistern, anregen, nicht mehr loslassen. Nicht die, die ich lese und wieder vergesse. Liebe Buchhändler, könnt ihr bitte mehr von den fantasievollen Büchern in eure Läden stellen? Die anderen dürfen auch da sein – die garantieren den Umsatz. Aber für die Kunden mit mehr Fantasie bitte auch ein paar von den anderen. Und noch ein Einsatzgebiet für mehr Fantasie: Überlasst die Feld doch nicht komplett Amazon. Schließlich bietet ihr das Gleiche und noch besser. Studien ergeben, dass die Deutschen viel lieber in Buchhandlungen Bücher stöbern als online. Also duckt euch nicht, sondern zeigt, was ihr könnt!

Susann Harring ist freie Lektorin sowie Lektorin für Kinderbücher in einem Münchner Verlag und Leitungsmitglied der Städtegruppe München der Jungen Verlagsmenschen. Wenn sie mal nicht hauptberuflich liest, liest sie als Literaturkritikerin für eine Tageszeitung und für ihren eigenen Blog. Ihre liebsten Bücher sind die, die ihr etwas ganz Neues bieten – die mit Fantasie. Xing, Blog