Warum wir nicht mehr vergessen können und uns erinnern müssen

Gnädiges Vergessen?

Das Thema „Vergessen oder Erinnern?“ beschäftigt die Menschen. Nachdem es jahrhundertelang schwierig war, Erinnerungen überhaupt zu konservieren, sind wir heute angesichts technologischer Entwicklungen ins andere Extrem gerutscht: Was von dem, was wir konservieren können, sollen wir konservieren? Die British Library setzt momentan auch im Internet auf Vollständigkeit, denn frühere Instanzen wie Verlage sind spätestens seit dem Beginn von Self-Publishing sowieso nicht mehr vorhanden. Anders als die Deutsche Nationalbibliothek bezieht sie auch Facebook-Postings und Tweets ein. Und steht vor dem gewaltigen Problem, dass die Menge an Geschriebenem immer mehr zunimmt.

Wichtige vs. unwichtige Inhalte

Philippe Wampfler hat in einem Gastbeitrag auf Netzpiloten, in dem es auch allgemein um die Zukunft von Social Media geht, vorgeschlagen, eine Trennung von Inhalten einzuführen:

Schon allein die Möglichkeit, im Internet vergänglich und nicht-vergänglich kommunizieren zu können, könnte eine Differenz beleben, die für das Funktionieren unserer Erinnerung, für den Wert von Bildern und anderen Medien und für unser Erleben der Realität entscheidend ist.

Diese Trennung wäre in der Tat ein sinnvoller Ausweg, da große Teile der täglichen Kommunikation belanglos sind. Das war früher nicht anders, jedoch mit dem Unterschied, dass diese alltägliche Kommunikation nicht archiviert wurde bzw. man entscheiden konnte, ob man sie archivieren will oder nicht (Beispiel: E-Mail). Heute haben Nutzer keine Entscheidungshoheit mehr, und beispielsweise Facebook dokumentiert jeden noch so kurzen Nachrichtenwechsel, den man jemals mit einer Person hatte. Das entspricht natürlich insofern dem heutigen Kommunikationsstil, als dass man ein Gespräch jederzeit wieder aufgreifen und weiterführen kann – Ähnliches hat auch Dennis in seinen Gedanken zu nonlinearer Belletristik angesprochen. Aber die meisten dürften bereits jetzt merken, wie unübersichtlich Vieles wird.

Priorisierungsmechanismen

Ich spekuliere darauf, dass auch bei interaktiv(st)en Diensten zwar nicht wieder Lösch-, aber zumindest Priorisierungsmechanismen eingeführt werden. Einfach weil viele Nutzer überfordert sein werden, allein bei ihren eigenen Beiträgen den Überblick zu behalten. Facebook hat Derartiges ja bereits in Ansätzen eingeführt, nämlich dass nur bestimmte Beiträge angezeigt werden. Besser ist es natürlich, wenn kein Algorithmus die Wichtigkeit eines Ereignisses bewertet, sondern der Nutzer selbst, wie es zum Beispiel bei Flipboard der Fall ist. Das bedeutet zwar Aufwand für den Nutzer, heißt aber auch, dass er über sein Erinnern und Vergessen selbst entscheiden kann.