Thorsten Küper, Blogger, Second Life-Experte, Telepolis- und Sci-Fi-Autor und zusammen mit Kirsten Riehl Gründer der Literaturgruppe Brennende Buchstaben, beantwortet in diesem Interview ein paar grundlegende Fragen zu Second Life (SL). Ein zusammenhängender Gastartikel folgt demnächst. Wie findet ihr das Konzept, Chat-Protokolle als Interview aufzubereiten?
Links zum Einstieg:
„SL gilt als tot, weil die Journalisten vom Cybersex enttäuscht waren“
Dennis Schmolk: : Hi Thorsten, meine Grundfragen zu „Second Life für Autoren“ sind: Was läuft dort, wie kommt man rein als Autor, wie kommt man rein als Leser, was bringt es beiden Parteien? Und vor allem: Was entsteht auf SL Neues – ist das „nur“ eine Plattform für digitales (Vor-)Lesen oder entstehen dort neue Contentformen, Inhalte etc.? Kannst du uns einen kurzen Überblick geben?
Kueperpunk Korhonen: Zum allgemeinen Einstieg empfehle ich unser Tutorial (s.o., Anm. d. Red.).
Ich denke, es gibt tatsächlich einige Ansätze, die über das blanke Vorlesen hinausgehen. Wir haben beispielsweise schon mehrere Kurzgeschichten in Theaterstücke umgesetzt. Davon abgesehen ist selbst die klassischer Lesung auf dieser Plattform so etwas wie Neuland – schwer nachvollziehbr, warum sie bisher kaum dafür benutzt wurde.
Dennis Schmolk: Vielleicht, weil SL immer noch so ein „Das war 2007 mal ein Hype und ist jetzt tot“-Image anhaftet (mal ganz provokant gefragt)?
Kueperpunk Korhonen: Nein, du hast das Problem exakt auf den Punkt gebracht. Genau da liegt der Hund begraben. Ich sage ja immer, SL war deswegen so schnell unten durch, weil sämtliche Journalisten so enttäuscht vom Cybersex waren. *lach*
Dynamische Inhalte, 3D-Games und virtuelle Theaterstücke
Dennis Schmolk: Was denkst du denn, was an neuen Inhalten dort entstehen (und vielleicht auch in andere Medien schwappen) kann? Ich denke etwa an interaktiv erfahrbare „Literatur“, vielleicht etwas Nonlineares (wie es in reiner Textform z.B. von Tools wie https://writer.inklestudios.com/ gerade erprobt wird als „SL-Rollenspiel“).
Kueperpunk Korhonen: Denkbar, aber wir reden schon beinahe über alte Hüte. Diese Hypertextexperimente haben nie wirklich gegriffen, es gab sie ja schon Mitte der Neunziger. Ich sehe da eher die Medienkonvergenz bei der Arbeit. Das Format Internetradio läuft zusammen mit Literatur und 3D-Games und manchmal wird auch noch ein Machinima draus.
Dennis Schmolk: Ja, eigentlich haben diese Ideen ja seit Vannnevar Bush nur Nerds begeistert und nie richtig greifen können – vielleicht liegt das ja daran, dass Schriftmedien nicht das Richtige sind. Denn im Gaming-Bereich basiert ja alles auf Interaktion und Nonlinearität (zumindest in vielen Genres). Daher dachte ich eben daran, dass SL dafür der richtige Ort sein könnte!
Kueperpunk Korhonen: Es gibt übrigens interaktive literarische Spiele. Ein Freund von mir arbeitet mit daran. Da haben wir unter Umständen, das was du suchst. Vergleichbar mit klassischen Adventure Spielen. Gegenstände aufspüren, weiterkommen.
Dennis Schmolk: Wie sehen die für den User aus? So im Sinne eines klassischen Multi-User-Dungeon-Games? Oder ein Single-Player-Rollenspiel/Adventure?
Kueperpunk Korhonen: In dem Falle reden wir eher von einer Single Player Erfahrung, wobei du ständig anderen Spielern über den Weg läufst.
Ebenfalls spannend: Real Life/Second Life Experimente. Lesungen werden ins Real Life übertragen. Oder das SecondLife Publikum verfolgt ein Realevent. Ein wie ich finde sehr schönes Beispiel:
Vor einiger Zeit habe ich den Autor Frederic Brake zu einer Lesung eingeladen. Daraus hat sich sehr schnell eine Zusammenarbeit ergeben, aus der ein Thaterstück entstanden ist. Aktiver kann man eigentlich gar nicht mit Literatur hantieren. Ein Ensemble wurde gebildet, es wurde über Wochen hinweg geprobt, Scripter mussten Animation erstellen, Kostüme wurden entworfen und Settings gebaut. Ich denke, in dieser Richtung kann sich noch viel bewegen.
60 Autoren nach Second Life „importiert“
Dennis Schmolk: Klingt alles sehr spannend. Wie viele Literaturschaffende zählt denn die deutsche SL-Szene? Du hast da bestimmt einen guten Überblick. Und verschmelzen die Konsumenten- und die Produzentenrollen in SL? Werden „Leser“ zu Autoren und steuern selbst etwas bei?
Kueperpunk Korhonen: Bisher haben wir über 60 Autoren nach SL „importiert“ – also im Crashkurs vermittelt, wie man den Client benutzt und sich hörbar macht. Einer der letzten war Michael Meisheit – Drehbuchautor bei der Lindenstrasse.
Konsumenten werden gelegentlich zu Produzenten, ich beobachte immer wieder User, die sich inspirieren lassen und auf die Idee kommen, zum Beispiel einen Buchladen in SecondLife zu bauen. Da ich selber Science Fiction Autor bin, sind wir gelegentlich etwas „lastig“ in diese Richtung, aber wir versuchen mit Satire, Lyrik, Krimis und Thrillern auszugleichen. Und wir holen tatsächlich Leute rein, die man auch im Buchladen findet: Arno Strobel, Karl Olsberg, Thomas Thiemeyer, Michael Marrak, usw…
„Unkommerziell und ohne jede Absicht, Geld zu verdienen“
Dennis Schmolk: Dann noch eine letzte, ganz provokante Frage für dieses Kurzinterview: Wie sieht es denn mit Monetarisierung aus? Ist dein/euer SL-Engagement als Marketing zu verstehen, als Hobby, oder ist SL irgendwann als Plattform vielleicht auch zum Verkauf geeignet?
Kueperpunk Korhonen: Wir persönlich machen das unkommerziell und ohne jede Absicht, Geld zu verdienen. Also für Ruhm und Ehre. Nein, wir haben einfach Spaß an Literatur und den „neuen Medien“ und sind selber auch Vortragende. Ich lese regelmäßig eigene Texte, mache dort auch Comedy Programme, die ich rl in Poetry Slams benutzen kann. Und wir wollen auch neuen Autoren oder weniger bekannten eine Bühne bieten. Da nimmt man keine Eintrittsgelder. Ich halte SL aber auch nicht für völlig ungeeignet als Buchverkaufsplattform. Wir stellen zum Beispiel sehr regelmäßig neue ScienceFiction Anhtologien oder Bücher aus anderen Genres vor. Das ist natürlich auch werbewirksam.
Man darf einen wesentlichen Punkt nicht übersehen:
SL bietet eine einfache Möglichkeit, die Lesung eines Autor zu besuchen, die einem sonst aufgrund der Distanz entgehen würde.
Simpel, aber ein guter Grund.
Dennis Schmolk: Ich glaube ja immer an das Gute im Menschen – denkst du denn, die Leute wären bereit, solche Angebote finanziell auf freiwilliger Basis zu entlohnen? Also etwa zu „flattrn“ oder eine „virtuelle Lesereise“ via Crowdfunding zu unterstützen? Oder denke ich dazu naiv?
Kueperpunk Korhonen: Wir haben nie danach gefragt. Aber wenn man lieb fragt, flattrt vielleicht auch jemand. Ein bißchen Crowdfunding ist sowieso mit drin, denn ein Theaterstück wie der „Drachenblues“ (der Kollegen der Kulturschaukel aus dem virtuellen Köln, das muss ich hier mal deutlich hinzufügen: Das Stück ist nicht UNSER Projekt) lebt davon, dass die Teilnehmer selber etwas Geld investieren – für Requisiten, ihre Kostüme usw.
Wenn Lesungen in Metaversen bekannter werden und folglich mehr Zuschauer finden, dann lässt sich auch Richtung kommerzieller Nutzung vielleicht mehr daraus machen. Der Punkt für uns war nie die kommerzielle Nutzung. Wir arbeiten gern dran und verwerten alles was dabei herauskommt auf unseren Blogs. Nicht fiskale Entlohung würde ich das nennen.
Dennis Schmolk: Danke dir vielmals für dieses Gespräch! Wir freuen uns auf einen längeren Artikel von dir!