Literatur im Metaversum – Lesungen in SecondLife

Vielen Dank an Thorsten Küper und Kirsten Riehl von Brennende Buchstaben für diesen Gastbeitrag, dem Follow-Up zum letztwöchigen Interview. Die Bilder stammen von BukTomBloch.

„Du beschäftigst dich womit? Lesungen in SecondLife? Aber SecondLife ist doch tot!“

Die Reaktion oben ist uns, der Literaturgruppe Brennende Buchstaben, unseren Gästen und Lesern unserer Blogs wohlbekannt. Deswegen wollen wir heute auch nicht noch einmal auf die alte Diskussion eingehen, ob die Geschichte des wohl bekanntesten Metaversums die eines Scheiterns oder eines dauerhaften Erfolges ist. Wir behaupten Letzteres, Argumente dafür haben wir bereits an anderer Stelle aufgeführt.

BB E-Book Event 2013
Das BB E-Book Event 2013

Vor einer Woche interviewte uns Dennis Schmolk vom Literatur-Blog „Alles fließt“ über Lesungen in ScondLife und wir hatten ihm angeboten, einen Artikel über das Thema und unsere Erfahrungen damit zu schreiben. Werfen wir also einen Blick auf SecondLife als Literaturplattform.

2007 gründete Kirsten Riehl – eine der beiden Autoren dieses Artikels – die Brennenden Buchstaben. Autor Nummer Zwo, Thorsten Küper stieß 2009 zur Gruppe und wir beide zusammen veranstalten seit dieser Zeit regelmäßig Literaturevents, Ausstellungen, gelegentlich auch Konzerte im Metaversum. Lesungen in SecondLife sind keine neue Erfindung. In den letzten Jahren haben sich viele Autoren in Avatargestalt im Cyberspace gezeigt, dort Texte vorgestellt oder sich Interviews gestellt. 2008 hat Thorsten Küper beispielsweise für telepolis einen Artikel über einen Auftritt von Charles Stross in Secondlife geschrieben.

Das Standing von virtuellen Lesungen ist im englischsprachigen Raum etwas besser als hierzulande. In Deutschland konnte sich SecondLife als Bühne für Lesungen bisher nicht richtig durchsetzen. Wir finden das erstaunlich. Ein Grund dafür könnte der verspätete, aber übertriebene Hype des Jahres 2007 und der darauf folgende drastische Imageabsturz gewesen sein, der vor allem mit dem missverstandenen Rückzug großer Unternehmen aus SL zu tun hat.

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"Die aktivste Art, mit Literatur zu hantieren": Interview mit Thorsten Küper zu Second Life

Thorsten Küper, Blogger, Second Life-Experte, Telepolis- und Sci-Fi-Autor und zusammen mit Kirsten Riehl Gründer der Literaturgruppe Brennende Buchstaben, beantwortet in diesem Interview ein paar grundlegende Fragen zu Second Life (SL). Ein zusammenhängender Gastartikel folgt demnächst. Wie findet ihr das Konzept, Chat-Protokolle als Interview aufzubereiten?

Links zum Einstieg:

„SL gilt als tot, weil die Journalisten vom Cybersex enttäuscht waren“

Dennis Schmolk: Hi Thorsten, meine Grundfragen zu „Second Life für Autoren“ sind: Was läuft dort, wie kommt man rein als Autor, wie kommt man rein als Leser, was bringt es beiden Parteien? Und vor allem: Was entsteht auf SL Neues – ist das „nur“ eine Plattform für digitales (Vor-)Lesen oder entstehen dort neue Contentformen, Inhalte etc.? Kannst du uns einen kurzen Überblick geben?

Kueperpunk Korhonen: Zum allgemeinen Einstieg empfehle ich unser Tutorial (s.o., Anm. d. Red.).

Ich denke, es gibt tatsächlich einige Ansätze, die über das blanke Vorlesen hinausgehen. Wir haben beispielsweise schon mehrere Kurzgeschichten in Theaterstücke umgesetzt. Davon abgesehen ist selbst die klassischer Lesung auf dieser Plattform so etwas wie Neuland – schwer nachvollziehbr, warum sie bisher kaum dafür benutzt wurde.

Dennis SchmolkVielleicht, weil SL immer noch so ein „Das war 2007 mal ein Hype und ist jetzt tot“-Image anhaftet (mal ganz provokant gefragt)?

Kueperpunk KorhonenNein, du hast das Problem exakt auf den Punkt gebracht. Genau da liegt der Hund begraben. Ich sage ja immer, SL war deswegen so schnell unten durch, weil sämtliche Journalisten so enttäuscht vom Cybersex waren. *lach*

Dynamische Inhalte, 3D-Games und virtuelle Theaterstücke

Dennis SchmolkWas denkst du denn, was an neuen Inhalten dort entstehen (und vielleicht auch in andere Medien schwappen) kann? Ich denke etwa an interaktiv erfahrbare „Literatur“, vielleicht etwas Nonlineares (wie es in reiner Textform z.B. von Tools wie https://writer.inklestudios.com/ gerade erprobt wird als „SL-Rollenspiel“).

Kueperpunk KorhonenDenkbar, aber wir reden schon beinahe über alte Hüte. Diese Hypertextexperimente haben nie wirklich gegriffen, es gab sie ja schon Mitte der Neunziger. Ich sehe da eher die Medienkonvergenz bei der Arbeit. Das Format Internetradio läuft zusammen mit Literatur und 3D-Games und manchmal wird auch noch ein Machinima draus.

Kueperpunk KorhonenIch habe meine in c´t erschienene Kurzgeschichte Debugging You über einen Polit-Stalker dort in ein Ein-Mann-Bühnenstück umgewandelt. Zum Beispiel.

Dennis SchmolkJa, eigentlich haben diese Ideen ja seit Vannnevar Bush nur Nerds begeistert und nie richtig greifen können – vielleicht liegt das ja daran, dass Schriftmedien nicht das Richtige sind. Denn im Gaming-Bereich basiert ja alles auf Interaktion und Nonlinearität (zumindest in vielen Genres). Daher dachte ich eben daran, dass SL dafür der richtige Ort sein könnte!

Kueperpunk KorhonenEs gibt übrigens interaktive literarische Spiele. Ein Freund von mir arbeitet mit daran. Da haben wir unter Umständen, das was du suchst. Vergleichbar mit klassischen Adventure Spielen. Gegenstände aufspüren, weiterkommen.

Dennis SchmolkWie sehen die für den User aus? So im Sinne eines klassischen Multi-User-Dungeon-Games? Oder ein Single-Player-Rollenspiel/Adventure?

Kueperpunk KorhonenIn dem Falle reden wir eher von einer Single Player Erfahrung, wobei du ständig anderen Spielern über den Weg läufst. 

Ebenfalls spannend: Real Life/Second Life Experimente. Lesungen werden ins Real Life übertragen. Oder das SecondLife Publikum verfolgt ein Realevent. Ein wie ich finde sehr schönes Beispiel:

Vor einiger Zeit habe ich den Autor Frederic Brake zu einer Lesung eingeladen. Daraus hat sich sehr schnell eine Zusammenarbeit ergeben, aus der ein Thaterstück entstanden ist. Aktiver kann man eigentlich gar nicht mit Literatur hantieren. Ein Ensemble wurde gebildet, es wurde über Wochen hinweg geprobt, Scripter mussten Animation erstellen, Kostüme wurden entworfen und Settings gebaut. Ich denke, in dieser Richtung kann sich noch viel bewegen.

60 Autoren nach Second Life „importiert“

Dennis SchmolkKlingt alles sehr spannend. Wie viele Literaturschaffende zählt denn die deutsche SL-Szene? Du hast da bestimmt einen guten Überblick. Und verschmelzen die Konsumenten- und die Produzentenrollen in SL? Werden „Leser“ zu Autoren und steuern selbst etwas bei?

Kueperpunk KorhonenBisher haben wir über 60 Autoren nach SL „importiert“ – also im Crashkurs vermittelt, wie man den Client benutzt und sich hörbar macht. Einer der letzten war Michael Meisheit – Drehbuchautor bei der Lindenstrasse.

Konsumenten werden gelegentlich zu Produzenten, ich beobachte immer wieder User, die sich inspirieren lassen und auf die Idee kommen, zum Beispiel einen Buchladen in SecondLife zu bauen. Da ich selber Science Fiction Autor bin, sind wir gelegentlich etwas „lastig“ in diese Richtung, aber wir versuchen mit Satire, Lyrik, Krimis und Thrillern auszugleichen. Und wir holen tatsächlich Leute rein, die man auch im Buchladen findet: Arno Strobel, Karl Olsberg, Thomas Thiemeyer, Michael Marrak, usw…

„Unkommerziell und ohne jede Absicht, Geld zu verdienen“

Dennis SchmolkDann noch eine letzte, ganz provokante Frage für dieses Kurzinterview: Wie sieht es denn mit Monetarisierung aus? Ist dein/euer SL-Engagement als Marketing zu verstehen, als Hobby, oder ist SL irgendwann als Plattform vielleicht auch zum Verkauf geeignet?

Kueperpunk KorhonenWir persönlich machen das unkommerziell und ohne jede Absicht, Geld zu verdienen. Also für Ruhm und Ehre. Nein, wir haben einfach Spaß an Literatur und den „neuen Medien“ und sind selber auch Vortragende. Ich lese regelmäßig eigene Texte, mache dort auch Comedy Programme, die ich rl in Poetry Slams benutzen kann. Und wir wollen auch neuen Autoren oder weniger bekannten eine Bühne bieten. Da nimmt man keine Eintrittsgelder. Ich halte SL aber auch nicht für völlig ungeeignet als Buchverkaufsplattform. Wir stellen zum Beispiel sehr regelmäßig neue ScienceFiction Anhtologien oder Bücher aus anderen Genres vor. Das ist natürlich auch werbewirksam.

Man darf einen wesentlichen Punkt nicht übersehen:

SL bietet eine einfache Möglichkeit, die Lesung eines Autor zu besuchen, die einem sonst aufgrund der Distanz entgehen würde.

 Simpel, aber ein guter Grund.

Dennis SchmolkIch glaube ja immer an das Gute im Menschen – denkst du denn, die Leute wären bereit, solche Angebote finanziell auf freiwilliger Basis zu entlohnen? Also etwa zu „flattrn“ oder eine „virtuelle Lesereise“ via Crowdfunding zu unterstützen? Oder denke ich dazu naiv?

Kueperpunk KorhonenWir haben nie danach gefragt. Aber wenn man lieb fragt, flattrt vielleicht auch jemand. Ein bißchen Crowdfunding ist sowieso mit drin, denn ein Theaterstück wie der „Drachenblues“ (der Kollegen der Kulturschaukel aus dem virtuellen Köln, das muss ich hier mal deutlich hinzufügen: Das Stück ist nicht UNSER Projekt) lebt davon, dass die Teilnehmer selber etwas Geld investieren – für Requisiten, ihre Kostüme usw.

Wenn Lesungen in Metaversen bekannter werden und folglich mehr Zuschauer finden, dann lässt sich auch Richtung kommerzieller Nutzung vielleicht mehr daraus machen. Der Punkt für uns war nie die kommerzielle Nutzung. Wir arbeiten gern dran und verwerten alles was dabei herauskommt auf unseren Blogs. Nicht fiskale Entlohung würde ich das nennen.

Dennis SchmolkDanke dir vielmals für dieses Gespräch! Wir freuen uns auf einen längeren Artikel von dir!