Pokémon Go: Warum spielt man das?

Ich bin ja generell medienkritisch, mag keine Hypes, habe Angst vor Dingen, die „jeder tut“, und verweigere mich kategorisch diesen ganzen „Trends“. So wie Pokémon Go (Wikipedia).

Aber die Timelines sind voll, die Medien auch – von BILD über Spiegel (Beta) bis heise -, und ich wette, dass diese Release-Wochen als schwarze Periode in die Geschichte einiger Volkswirtschaften eingehen werden.

Menschen fingen sich Malware, weil die Geoverfügbarkeit eingeschränkt war, Menschen rennen auf der Suche nach Pokemon in Raubüberfälle. Das hat schon hysterische Züge. Und auch Datenschutz, Jugendschutz, Akku-Hunger und Datenvolumen sind thematisiert worden: Wir hatten nun also innerhalb einer Woche (seit Erstveröffentlichung am 6.7.) eine vollwertige Netzdebatte (auch wenn einige Medien nicht so recht wissen, was sie sagen sollen). Da ist was im Busch.

Also hab ich auch mal reingespielt.

Erster Eindruck

Der erste Eindruck war miserabel – die App will so ungefähr jede Berechtigung, die sie wollen kann. Die Motivation, diesen merkwürdigen Trend nachzuvollziehen, war letztlich stärker. Erste Niederlage der Vernunft. Merke: Ich brauche ein Sekundärhandy, dessen Datenschutz mir egal ist.

Zweites Problem: Man kann keine neuen Accounts als „Pokemon Trainer“ anlegen, weil die Nachfrage so groß ist. Also musste ich mich via Google registrieren. Zweite Niederlage der Vernunft. Merke: Ich brauche noch mehr Wegwerf-Accounts überall.

Danach fing ich nach mehreren Anläufen ein Glumanda im Flur, lachte und legte die App erstmal weg. Drittes Problem: Das Ding will auch noch Standortdaten und verlangt, dass „Falsche Standorte zulassen“ deaktiviert ist. Ich habe mich allem gebeugt (dritte Niederlage), mir mal meine Perlacher Umgebung angeguckt – und war sehr überrascht: Pokestops und Arenen überall! Neuer Südfriedhof, Forschungsbrauerei, historische Gebäude beherbergen offenbar allerlei AR-Überraschungen.

Neues Konzept, suchterzeugend, aufmerksamkeitsstörend, jeder spielt’s, tolle Marke, Nostalgie, …

Aber warum gehen die Leute so ab? Mir fallen ungefähr 20 Faktoren, aber wenige Gründe ein.

Wirklich „neu“ ist das Konzept ja nicht, es entspricht ungefähr dem von Ingress. Allerdings ist der Breiten-Appeal anscheinend um Welten größer, denn an Pokemon erinnern sich viele Menschen noch aus der Gameboy- und Fernseh-Ära. Die Knuddelwesen kommen gut an, und auch ich habe die Gameboy-Spiele als mechanisch sehr gut in Erinnerung. (Rote Edition! Nostalgie!) Da besteht also Bindung, Wiedererkennungswert usw.

Massenkompatibles AR-Geocaching scheint zudem süchtig zu machen, nicht nur als Spiel, sondern auch als Kommunikationsgegenstand – User verbringen ganze Tage damit und werfen das Netz voll mit Screenshots, Fangberichten, Meta-Analysen (im gefühlten Medienprofi-Style meist ironisch, so wie Teile dieses Artikels), Begeisterung und Unverständnis. Nur entziehen kann sich offenbar kaum einer, egal ob Spieler oder nicht.

Dann kommen Netzwerkeffekte zum Tragen: Wenn es (scheinbar) jeder macht, will es anscheinend jeder machen. Je mehr da sind, desto lustiger, desto mehr Einladungen, desto mehr sind da. Erinnert sich noch jemand an das Tauschen von Pokemon auf dem Schulhof? Mit Verbindungskabel zwischen zwei Gameboys? Pokemon hatte soziale Mechanismen schon immer auf dem Schirm.

Und schließlich rattert der Schädel und man fragt sich: Wenn Perlach schon voll mit Pokestops ist, wie sieht das dann erst am Stachus aus? Ist an meinem hippen Büro-Arbeitsplatz was geboten? Wie sieht es auf dem Land oder in einer Urlaubsregion aus? (Spoiler: Aktuell sind angeblich die besten Jagdzonen auch die, in denen Ingress-Portale liegen.)

Zweiter Eindruck

Also müssen vertiefte Erfahrungen her. Die Lösung: Jagd auf dem Neuen Südfriedhof. (Wegen digital.danach kam natürlich sofort die Frage auf, wer denn eigentlich meine Pokemon erbt, aber das ist nerdiger Randbereich.) Die Ausbeute war vermutlich eher schlecht, aber immerhin 7 Pokemon gingen uns in den Ball. Und die Suchtwirkung konnten wir wunderbar beobachten: Noch schnell um die nächste Ecke, vielleicht ist da was! Regelmäßige Lern- und sonstige Erfolge tun ihr Übriges, um gamifiziert bei der Stange zu halten. Ein Pokemon über einem echten Tier zu fangen, hat auch seinen Reiz: Die AR sorgt auch unfreiwillig für Unterhaltung.

Letztlich steht man da und fragt sich, was man an diesem simplen Spiel ohne große Story eigentlich so interessant findet, dass man es weiter spielt … und kann es, wie andere Faszinationen (ich denke da an die gerade zurückliegende Fußball-EM …) nicht ganz erklären.

Nachklapp: Wie kann man das „professionell“ nutzen?

Philipp Steuer hat ein paar Gedanken dazu gesammelt, wie man als Unternehmen Pokémon Go nutzen kann. Auch t3n hat was. Klar ist: Das ist Location based, also kommt es eigentlich nur für lokale Geschäfte oder lokale Aktionen in Betracht. Bibliotheken sind schon dabei. Manche Museen auch, andere Museen sträuben sich teils (aus guten Gründen). Achja: Bald gibt’s da wohl auch lokalisierte Werbung. Und natürlich machen sich auch Leute Gedanken, ob man mit Pokémon Go überhaupt werben darf …

Werbung funktioniert jedenfalls offenbar: Auch im Buch-Sektor! Ein FB-Kommentar:

Pokemon Go im Buchhandel: It works!
Pokemon Go im Buchhandel: It works!

Aber auch die Ansicht „ich denke, die Leute die das spielen, sind und werden nicht unsere Kunden“ kommt vor. Angesichts bahnbrechender Marktdurchsetzung ist das natürlich etwas fraglich. Oder eine schlimme Feststellung.

Geld ausgeben Pokémon Go
Geld kann man natürlich auch ausgeben …

Abgesehen davon scheint eine Sekundärindustrie aufzupoppen, Uber-Fahrer mit Pokemon-Touren, bezahlte „Trainer“ etc.pp. Games sind schon lange mit solchen Sekundärmärkten gesegnet, aber auch hier geht es wieder sehr schnell. Was noch fehlt: „Pokémon Go – das inoffizielle Handbuch“. Aber vermutlich nicht lange, international stehen schon diverse Guides (augenscheinlich von verschiedenster Qualität) zum Kauf bereit.

Und drittens braucht man gar nicht so viel Fantasie, um das als die Killer-Applikation für AR-Brillen und Smart Glasses zu betrachten. Macht die Leutchen süchtig auf dem Handy, dann gebt ihnen das Update exklusiv für die nächste Generation Google Glasses. Ergibt Sinn, ist aber nur meine Verschwörungstheorie. Es passt aber dazu, dass die Ex-Google-Tochter Niantic mit dieser App all den anderen Networks, Apps und Sites die Show stiehlt (siehe Warum Pokemon Go eine schlechte Nachricht für Facebook, Snapchat und Co. ist).

PS: Wie auf Facebook vorgeschlagen, könnten auch Ladestationen für Handys, die von der stromfressenden App erschöpft sind, ein Geschäftsmodell sein …

PPS: Happy Hunting!

PPPS: Kuratorischen Dank an Wibke, die mir gefühlte 10 Links zu diesem Artikel beisteuerte.

PPPPS:

5 Gedanken zu „Pokémon Go: Warum spielt man das?“

    1. Danke für den Hinweis. Sehe ich mir gern an, wobei ich den Eindruck habe, dass die wilde Welle der Pokémon-Jäger mit sinkenden Temperaturen stark abgeflacht ist und trotz diverser Jahresendaktionen kein Tempo mehr bekommt.

      1. Ja, die Pokemonjäger haben abgenommen, aber bei uns schon deutlich vor dem Wintereinbruch. Zur Hochphase fand man am „Dorfplatz“ unseres Münchner Stadtteils jeden Abend um die 80 Leute zwischen 12 und 30, teils in den ersten Autos vorfahrend, und es gab eine Dauerversorgung mit Lockmodulen. Das nahm im Herbst schon ab auf vereinzelte (teils verschämte) Jungs zwischen 12 und 16, und dann brach es ganz ab … Das war dann wohl ein Hype 🙂 Aber ich zweifle nicht, dass wir einige solche Hypes auch 2017 beobachten werden, alleine, weil es jetzt eine konditionierte Generation von Hype-Jägern gibt 😀

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