De-Facto-Verbot für baden-württembergische Lehrer: Kein Facebook für schulische Kommunikation

Ich musste zunächst einmal diesen Artikel vom SWR zweimal lesen, bevor ich verstand, worum es eigentlich geht. Vielleicht habe ich im Urlaub die Vordiskussion verpasst.

… muss den Umgang mit Kommunikation noch lernen, nicht nur in sozialen Medien.

Worum geht es?

Um unseren lieben Lesern die Verwirrung zu ersparen: Es geht darum, dass Lehrer in Bawü keine Online-Dienste zur „dienstlichen Kommunikation“ nutzen dürfen, die Daten auf ausländischen Servern speichern. Hintergrund ist der Datenschutz bzw. das Telemediengesetz, denn Daten auf FB-Servern unterliegen anderer Rechtssprechung als auf deutschen Rechnern.

So weit, so gut – Datenschutz ist ja prinzipiell eine gute Sache. Weniger gut ist es, wenn der Datenschutz eher wie ein vorgeschobenes Argument wirkt, weil man sich der German Internet Angst hingibt und einfach nicht recht versteht, was da passiert. Richtiggehend schlecht ist es, wenn man den Anschluss zur Zielgruppe verpasst und sie nicht mehr über die Kanäle informieren und mit ihnen kommunizieren darf, die sie routiniert benutzen. Schlichtweg unsinnig wird es, wenn erst gar niemand versteht, worum es eigentlich geht.

Schiefgelaufene Kommunikation: Was bedeutet das alles?

Denn der Fall geriet nur in die Öffentlichkeit, weil sich Lehrer unsicher sind, ob sie nun, wie auch der SWR reißerisch titelt, komplettes „Facebook-Verbot“ haben, ob sie Facebook nur nicht für die Absprache von Unterricht nutzen dürfen und ob das nur für Facebook gilt (Zuckerberg-Klausel o.ä.). Schwammig ist die Frage, was „dienstliche“ Kommunikation ist: Ein Lehrer darf offenbar nicht auf die Frage antworten, ob im Schwimmbad oder in der Halle die nächste Sportstunde stattfindet; aber darf er einen Grillabend zum Jahresende per Facebook organisieren? Und wie steht es mit dem Austausch von Dateien via Dropbox oder Drive, mit unverschlüsselten eMails oder Projektbesprechungen via Skype?

Und so lange diese Punkte so schwammig definiert bleiben, kann es kein richtiges Nutzerverhalten bei Lehrern geben. (Ich vermute ja, dass die Politiker dahinter selbst keine Ahnung von sinnvollem Gebrauch sozialer Netzwerke haben.) Immerhin bleibt Facebook als Gegenstand des Unterrichts erlaubt, wie aber extra betont werden muss.

Fazit: So sollte man nicht mit seinen Bürgern reden. Andererseits: Wer erwartet von diesen ekligen Gestalten, die uns regieren, eigentlich noch etwas Besseres?

"Neue Urheber statt neue Gesetze": Vortragsmitschnitt von literaturcafe.de

literaturcafe.de hat einen sehr hörenswerten, eindreiviertelstündigen Vortrag von Wolfgang Tischer online gestellt, in dem es um Gegenwart und Zukunft des Urheberrechts und vor allem der Urheber geht. Der Vortrag ist unideologisch, unparteiisch und kritisch:

[Dies ist] kein Vortrag zum Thema »Raubkopien«. Es wäre kein Problem, einen Abend zu gestalten und mit Studien zu belegen, wie schlimm das Ganze ist und welche Verluste dadurch für die Kreativen und die Kreativwirtschaft entstehen. Man könnte jedoch auch einen Abend veranstalten, der genau das Gegenteil belegt und der anhand anderer Studien zeigt, dass Nutzer von digitalen Kopien mehr Medienartikel kaufen als der Rest der Welt.

[…]

Was hat es mit der oft geforderten Stärkung des Urheberrechtsgesetzes auf sich? Schon jetzt schützt das Gesetz den Urheber, der gegen unrechtmäßige Verwendungen seiner Texte vorgehen kann. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum, auch wenn dies immer wieder behauptet wird.

Hier der komplette Mitschnitt, auf literaturcafe.de auch als Datei:

Intellectual Disobedience

„A lot of people infringe copyright and they’re apologetic … If you know as much about the law as, unfortunately, I do, I cannot claim ignorance and I cannot claim fair use … I know that I’m infringing copyright and I don’t apologize for it.“

Eigentlich genau das, was ohnehin jeden Tag passiert – nur als bewusste Entscheidung. So schildert  Nina Paley (@ninapaley) ihren Umgang mit geistigen Eigentumsrechten, schön zusammengefasst im O’Reilly Radar und einem Video:

Urheberrecht abschaffen?

Insbesondere Mitgliedern der Piratenpartei wird ja immer wieder vorgeworfen, sie wollten das Urheberrecht und geistiges Eigentum allgemein abschaffen. Das ist natürlich Blödsinn, allerhöchstens wollen das einzelne (und wenige) Mitglieder.

Die Position, geistige Eigentumsrechte dienten vor allem einer Blockbuster-Kultur und verstießen gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung, kommt aber durchaus in der Diskussion vor, wenn auch eher am Rande. Leonard Nobusch nimmt sich in einer ausführlichen Besprechung bei nNetzpolitik die „Streitschrift“ No Copyright von Joost Smiers und Marieke van Schijndel vor und behandelt besagte Position. Und sein Schluß stimmt hoffnungsvoll und belässt dieser Extremposition ihre Existenzberechtigung:

Beide Bedingungen, die Konkretheit der Utopie sowie positive Folgen ihrer auch nur teilweisen Realisierung, treffen auf die Streitschrift von Smiers und Schijndel zu. So wären beispielsweise eine Zurückführung des urheberrechtlichen Schutzumfangs oder die Durchsetzung eines stärkeren Wettbewerbsrechts nicht nur Schritte in Richtung der skizzierten Utopie sondern entsprächen auch den Forderungen von moderateren Kritikern des herrschenden Urheberrechtsregimes. Paradoxerweise könnte so Urheberrechtsabolitionismus, auf derart seriöser Art und Weise vorgetragen, einen wichtigen Beitrag für den Urheberrechtsreformdiskurse leisten.

Das Leistungsschutzrecht: Verliert das Web den Hyperlink?

Sowohl Golem.de als auch netzpolitik.org befassen sich mit der Möglichkeit, dass die (deutschsprachige) Wikipedia demnächst ohne externe Links auskommen müssen könnte:

In Wikipedia-Artikeln gibt es Weblinks mit weiterführenden Informationen, bei denen fraglich sei, ob sie unter das Zitatrecht fallen. Bislang sei vollkommen unklar, ob diese Links, die jeweils die Überschriften von Presseartikeln enthalten, eine Verletzung des neuen Leistungsschutzrechts darstellen. Laut der Begründung des Bundesjustizministeriums sollen Links zwar nicht unter das neue Leistungsschutzrecht fallen, unsicher ist jedoch, ob dies auch für den verlinkten Text gilt. (Golem.de)

Beide Quellen beziehen sich damit auf eine Pressemitteilung der Wikimedia Foundation. Wird das Realität, verliert die (deutschsprachige) Wikipedia entsprechend einigen Wert als Quelle und vor allem Rechercheanfang. (Dann nutze jedenfalls ich vermutlich nur noch die englischsprachige.) Und gleichzeitig verliert das deutsche Web mit einer Einschränkung der Linkfreiheit viel von seiner Hauptfunktion – was ist das Web anderes als verlinkte Hypertexte?

Eine weitergehende rechtspolitische Analyse, bei der das geplante Leistungsschutzrecht naturgemäß nicht gut weg kommt, findet sich ebenfalls bei Netzpolitik.

Kann denn nicht einmal jemand an die Kinder denken?

Das bedeutet, dass die Deutsche Nationalbibliothek ihrem gesetzlichen Auftrag, das deutsche Web für nachfolgende Generationen zu archivieren, nicht nachkommen kann.

Letzten Endes liegt das Problem hier wieder wie so oft darin, dass immaterielle Güter in digitaler Form an keinen physischen Träger mehr gekoppelt sind. (neunetz.com)

Wie stellen sich die Gesetzgeber eigentlich vor, dass unseren Kindern einst die Geschichte des Internets vermittelt wird? Vermutlich gar nicht. Also fordern wir doch mit Helen Lovejoy:

Quelle: the future buzz

Matthias Ulmer im Börsenblatt zur Urheberrechtsdebatte

Ich habe erst überlegt, ob man den Artikel wirklich mit einer ausführlichen Kritik würdigen sollte. Und mich dann dafür entschieden, zumindest auf zei Punkte einzugehen.

Ulmer meint, dass die Diskussion beendet und die „Revolution abgeblasen“ werden sollte. Beides habe keine Relevanz mehr.

Steht hier wirklich die Netzgemeinde den Kulturschaffenden, der Kultur- und Medienindustrie und klassischen Bildungsbürgern gegenüber? Nein, denn es gibt keine Netzgemeinde. Nahezu alle sind heute auch Internet-User. Und unter diesen gibt es ein paar Prozent, die sich über gemeinsame Ideen als Community verstehen. Diese sind weder in der Realität noch im virtuellen Raum eine Mehrheit. Sie sind nicht mehr als eine „Lautheit“ in den Blogs.

Ganz gleich, ob man hier nun die richtigen oder die falschen Fronten sieht: Betroffen sind alle. Denn auch die Mehrheit der stillen Nutzer wird täglich mit Fragen konfrontiert, so sie sich denn Fragen stellt – die meisten machen sich vermutlich einfach nur bei ihrem alltäglichen Gebrauch von Netzwerken strafbar. Wie leicht das geht, kann man in diesem willkürlich gegoogleten Stern-Artikel lesen.

Und die andere Perle:

Es geht gar nicht um den Gegenstand. Es geht viel mehr darum, dass Gruppen plötzlich zusammenfinden, sich unter einem Slogan integrieren, sich erst als Gemeinschaft wahrnehmen, um dann plötzlich sich selbst als Teil dieser Gemeinschaft sehen.

Das ist natürlich auch Unsinn, es geht sehr wohl um den Gegenstand, der sich einer neuen Mediennutzung anpassen muss – genau so passieren „Revolutionen“, nämlich von unten. Sie werden dann als Reformen von oben durchgesetzt, aber das eigentlich Revolutionäre ist da schon passiert. (Und die Kinder potenziell gefressen.)

Schön ist, dass in den Kommentaren vor allem Widerspruch kam, obwohl der Artikel im Branchenorgan erschienen ist. Mein Favorit von „branchenkenner“:

Aber man kann Herrn Ulmers substanzlose Wortmeldung und auch seine überzogenen Lobpreisungen für die Lobbyarbeit des Verbandes zu diesem Zeitpunkt nachvollziehen: Im Wahlkampf (Vorsitz des Verlegerausschusses) geht es halt nicht immer um die fundierteste Meinung, sondern oft auch einfach nur um die lauteste Stimme.

Die Buchbranchen-Jobbörse: Ein prominentes Abmahnopfer

Mir fiel es erst eine Woche nach Leander Wattigs Posting auf: Die Jobbörse bei wasmitbuechern.de ist verschwunden. Gestern bloggte dann auch Marcel Weiss darüber, mit den richtigen, deutlichen Worten:

Mit Abmahnung drohen. Auch eine Art, auf Disruptionen zu reagieren.

Leider eine recht verbreitete, sieht man sich an, wie Musik- und Bewegtbild-Industrie auf Streaming und Sharing reagieren. Hier muss endlich etwas passieren, denn die bloße Drohung mit einer Abmahnung reicht, um innovative und „disruptive“ Modelle, die dem User mehr Freiraum, mehr Komfort, mehr Zugang bieten, zu unterbinden. Leander fürchtet nämlich keineswegs Repressalien, nur den Aufwand, sich damit zu befassen:

Rein inhaltlich bzw. rechtlich mache ich mir da wenig Sorgen. Ich habe aber schlicht keine Lust, mich mit sowas auseinanderzusetzen.

Der Gesetzgeber ist gefordert, dem „Abmahnwahn“ Einhalt zu gebieten. Aber wenn die Interessen etwa der Verwerter betroffen sind, mahlen die Mühlen der Legislative eben umso langsamer.

Piraten, Schlachtenlärm und Abgesänge: Links zur Urheberrechtsdiskussion

Man hat ein bisschen das Gefühl, dass mehr diskutiert wird. Trotz Manifesten, Unterschriftenaktionen und Unterstützer-Outings scheint ein Dialoginteresse zu entstehen. Drei Lektüreempfehlungen der letzten Tage:

  • Rudolf Maresch fasst in der Telepolis die „Schlacht ums Urheberrecht“ zusammen und wundert sich über Rückwärtsgewandtheit, Gespensterdiskussionen und Sven Regener.
  • Ruben Wickenhäuser nimmt, ebenfalls in der TP, den Aufruf „Wir sind die Urheber“ unter die Lupe und überlegt, ob aus diesem nicht doch etwas Produktives herauskommen kann.
  • Und schließlich stellen die Piraten ihre häufig missverstandenen Reformideen für das Urheberrecht in 10 knackigen Punkten dar.

Eine Reform ist nicht nur für Produzenten und Konsumenten wichtig, sondern auch für Archivare und die Nachwelt. Denn gerade das deutschsprachige Internet zu archivieren gestaltet sich aktuell als juristisch unmöglich.

Update: Und natürlich dürfen wir nicht übersehen, dass auch die SPD mal wieder Trittbrettfahrer spielt.

Sonntagslinks: Haeusler und Beckedahle zu ACTA und Urheberrecht

Markus Beckedahl schreibt bei Netzpolitik über einen Artikel der BrandEins, der sich gegen Urheberrechtsreform und pro ACTA ausspricht.

Johnny Haeusler ärgert sich über die ganze ermüdende Debatte – und kündigt an, „urheberisch“ stärker tätig zu werden. Besonders stören ihn ständig wiederkehrende Halbwahrheiten, etwa:

„Was nichts kostet, kann auch nichts wert sein“?

Aha.

Wikipedia: Nichts wert? Nachbarschaftshilfe: Nichts wert? Gemeinnützige Arbeit: Nichts wert? Meine Texte, die ich seit 10 Jahren ins Netz stelle: Nichts wert? Instagram, hihi: Nichts wert??

Wie furchtbar eindimensional ist eigentlich so ein Leben, in dem man Werte nur anhand ihres Handelspreises misst?

Achja, und den Unsinn Dieter Nuhrs, auf den Fefe hinweist, kann man auch erwähnen – wenn auch nicht im Beitragstitel: